Hellen Schilling Diese Anwältin verteidigt den Hauptangeklagten im ersten Cum-Ex-Verfahren

Historische Fälle scheinen die 45-Jährige anzuziehen.
Bonn Der Fall ist einzigartig. Vor dem Landgericht Bonn steht Martin S., ein früherer britischer Börsenhändler. Zusammen mit seinem ehemaligen Kollegen Nick D. muss er sich in Deutschland wegen des Vorwurfs der schweren Steuerhinterziehung verantworten. Eng an seiner Seite: die Frankfurter Verteidigerin Hellen Schilling. Ohne sie würde es den Prozess so nicht geben.
Am Dienstag fand der vierte Tag der Hauptverhandlung statt. Bislang eine One-Man-Show. Nachdem Staatsanwältin Anne Brorhilker die Anklageschrift verlesen hat, gehört die Bühne Martin S. Der 41-Jährige erklärt, trägt vor, präsentiert per Power-Point Aktienkreislaufgeschäfte auf einer großen Leinwand.
Er schildert wort- und detailreich, wie Banken und Investoren mit Aktiendeals jahrelang Milliarden aus der Steuerkasse holten. Sein Vortrag erinnert an die Vorlesung eines Universitätsprofessors. Nur dass dieser Mann Angeklagter ist – und sich seine Zuhörerschaft aus dem Richter und zahlreichen Rechtsanwälten auf den Zuschauerrängen zusammensetzt. Sie wurden von jenen Banken entsandt, die sich ebenfalls an Geschäften beteiligt hatten, für die sich Martin S. verantworten muss.
Wenn der Angeklagte seinen Vortrag unterbricht, steckt er immer wieder den Kopf mit seiner Anwältin Hellen Schilling zusammen. Es ist im Gerichtssaal zu spüren, wie sehr er seiner Verteidigerin vertraut.
Schilling begleitete den Briten bereits bei den Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft. Im Dezember 2017 kam Martin S. erstmals nach Deutschland, um bei der Staatsanwaltschaft Köln auszusagen. Er ist damit einer von wenigen Kronzeugen, die sich frühzeitig offenbart haben. Rund 400 Beschuldigte führt allein die Staatsanwaltschaft Köln inzwischen, die wenigsten haben sich gestellt.
Dass Martin S. in der Steueraffäre nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein will, darf zum guten Teil auf seine Anwältin zurückzuführen sein. Klein, fast zierlich, sitzt die 45-jährige Schilling neben ihrem Mandanten und gibt immer wieder Rat, wenn er über den größten Steuerskandal referiert, den das Land je gesehen hat.
Dissertation über Jakob von Metzler
Selten hat ein Wirtschaftsverfahren so viel Aufmerksamkeit erfahren. Zahlreiche Medien und Dutzende von Anwälten schauen Schilling bei ihrer Arbeit über die Schulter. Es kann keinen Zweifel daran bestehen, dass sie dabei ist, Rechtsgeschichte zu schreiben.
Bedeutende Fälle scheinen sie anzuziehen. In ihrer Ausbildung war Schilling mit dem Mord an Jakob von Metzler befasst. 2002 ließ der stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident dem Entführer des Bankierssohns Folter und sexuelle Gewalt androhen, damit dieser den Aufenthaltsort des elfjährigen Opfers preisgab. Schilling schrieb später ihre Dissertation über die Verwendung von unlauteren Informationen in einem Strafprozess. Titel: „Illegale Beweise.“
Ihre Karriere war dann von weniger blutrünstigen, aber nicht minder prominenten Mandanten gekennzeichnet. Schilling vertrat den ehemaligen Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, wegen des Vorwurfs des versuchten Prozessbetrugs, den Drogerieunternehmer Dirk Roßmann in einem Kartellverfahren und einen Ceconomy-Manager wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation.
Den Großteil ihrer Arbeitszeit in der Frankfurter Kanzlei „Kempf Schilling“ verschlingt nun Cum-Ex. Schilling beriet bereits die untergegangene Maple-Bank in Deutschlands größtem Steuerskandal, mit ihrer Hilfe schickt sich nun ihr Mandant Martin S. an, eine ganze Lawine von Prozessen gegen andere Beteiligte loszutreten. Er habe „eine „schwierige und mutige Entscheidung getroffen“, lobt Schilling ihren Mandanten.
Die nordrhein-westfälische Justiz stimmt ihr zu. Eine „Blaupause“ nannte Justizminister Peter Biesenbach jüngst den Prozess, in dem Schilling ihrem Mandanten beisteht. Für seine Hilfe stellt sich die Anwältin eine Gegenleistung vor. Martin S. habe „Aufklärungshilfe geleistet“, sagt Schilling und verweist auf das Gesetz. Dies sieht für solche Angeklagten eine Milderung des Strafmaßes vor – im Extremfall sogar einen Freispruch.
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