Um sich durch die komplexe Welt von Token, dezentralen Börsen und Lending-Protokollen zu navigieren, verbringt Münchinger viel Zeit mit Recherche. Auf Twitter folgt er den Gründern wichtiger Kryptoplattformen, denen er sein digitales Geld anvertraut. Über Messenger-Apps wie Discord diskutiert er mit Gleichgesinnten, holt sich Hilfe, wenn es Unklarheiten oder technische Probleme gibt. Er liest Konzeptpapiere, um die Projekte genau zu verstehen. „Ich will sichergehen, dass ich mein Geld in gute Projekte stecke“, stellt er klar.
Das DeFi-System, in dem die Nutzer auf verschiedensten Wegen Renditen und anderweitige Gewinne „ernten“ können, ist in den vergangenen zwölf Monaten rasant gewachsen. 58 Milliarden Dollar haben Nutzer aus der ganzen Welt derzeit in DeFi-Projekte investiert.
Newsletter wie „Alpha Tractor“ weisen regelmäßig auf die neusten aussichtsreichen Projekte und Strategien hin. Dienste wie Zapper.Fi und InstaDapp helfen den Farmern mit Dashboards, die Übersicht über die verschiedenen Investments zu behalten. Auch Profis wie der US-Milliardär Mark Cuban, der Besitzer des Basketball Teams Dallas Mavericks, und der kanadische Investor Kevin O’Leary engagieren sich in der DeFi-Welt.
„Alles was bei 500 bis 1000 Prozent liegt ist ordentlich“
„Renditen im oberen zweistelligen Prozentbereich sind Standard. Alles was bei 500 bis 1000 Prozent liegt, ist ordentlich. Manchmal locken Protokolle mit Renditen von 10.000 Prozent und mehr. Das ist aber oft ein Alarmzeichen, dass da was nicht mit rechten Dingen zugeht“, fasst Troy Mason (Name von der Redaktion geändert) die Lage zusammen. Mason, Mitte 30, Vollbart, Baseballkappe, ist ein Farmer aus Denver, Colorado, der gern die neusten Protokolle ausprobiert und – typisch amerikanisch – sich Kryptowährungen leiht, um seine Investments zu hebeln.
„Gerade in einen Umfeld, das von Null- oder Negativzinsen geprägt ist, sind die hohen Renditen in DeFi ein zentraler Anziehungspunkt“, wie es in einer Studie der niederländischen Bank ING heißt, die das dezentrale Finanzsystem beleuchtet.
Renditen ändern sich im Sekundentakt
Doch wer im Krypto-Finanzsystem unterwegs ist, der muss wissen: Hier ist nichts garantiert. Effektive Erträge und Jahreszinsen werden von den Protokollen algorithmisch berechnet und können sich mehrmals pro Minute ändern, je nach Angebot und Nachfrage. In so einer schnelllebigen Welt bewegen „Farmer“ ihr Geld zum Teil mehrmals am Tag in die lukrativsten Protokolle.
„Niemand geht davon aus, dass tatsächlich einer sein Geld für ein Jahr lang irgendwo lässt und dann das an Rendite kassiert, was da angegeben ist“, sagt Mason. Einige Kryptofans haben ihre Jobs aufgegeben, um sich Vollzeit auf ihre Farmen konzentrieren zu können.
Wer wie Mason mit geliehenen Coins hantiert, der muss aufpassen, dass die Kreditkosten nicht aus dem Ruder laufen. „Das DeFi-System ist wie Lego. Man muss sicherstellen, dass das Fundament stimmt, sonst fällt alles schnell in sich zusammen“, gibt Mason zu bedenken und wischt über seinen Laptop, um einen Einblick in seine „Farms“ zu geben.
Die einfachste Variante des Yield Farmings ist, in einer Art Pingpongverfahren sich Kryptowährungen auf einer Plattform zu leihen und diese dann gegen höhere Zinsen wieder zu verleihen. „Das lohnt sich, wenn bestimmte Coins gerade besonders stark beworben werden“, erklärt Mason.
Decentralized Finance (DeFi) – Glossar
So zahlte Mason vergangen Woche 1000 Dollar in der Kryptowährung Matic auf der Lending-Plattform Aave ein. Darauf gab es zu dem Zeitpunkt vier Prozent Zinsen plus weitere fünf Prozent als zusätzlichen Anreiz. „Anbieter wie Matic profitieren davon, wenn ihre Coins und damit ihre Blockchains möglichst viel genutzt werden, daher gibt es immer wieder solche Lockangebote“, sagt Mason.
Die Matic-Coins gelten als Sicherheit für einen Kryptokredit. Aave erlaubt es den Nutzern, sich 50 Prozent der hinterlegten Summe in Matic-Coins zu leihen. Diese Coins, im Wert von 500 Dollar, legt Mason wiederum als Sicherheiten an und kann sich Coins im Wert von 250 Dollar leihen. Die Zinsen auf die geliehenen Coins betragen elf Prozent. Allerdings bekommen Nutzer hier zwölf Prozent an zusätzlichen Matic-Coins ausgezahlt. „Damit verdiene ich noch Geld, dafür dass ich mir was leihe“, so Mason.
Wenige Tage später waren die Anreize auf Aave jedoch verschwunden. Mason löste seine Positionen auf, weil sich das Pingpongspiel nicht mehr gelohnt hat. Dafür haben sich anderswo neue Möglichkeiten aufgetan.
Geld verdienen auf dezentralen Börsen
Eine andere, beliebte Form des Yield Farmings ist, sich als Anbieter von Liquidität auf dezentralen Börsen zu engagieren. Dort gibt es Pool, in denen sich zwei Kryptowährungen gegenüberstehen, die die Investoren handeln können.
Die Yield Farmer können für diesen Handel Liquidität bereitstellen, indem sie in diese Pools einzahlen. Dafür bekommen sie einen Anteil der Transaktionsgebühren, die für den Kryptohandel anfallen. Zudem bekommen sie sogenannte Liquidity-Token. „Das ist der Nachweis dafür, dass ich Kryptowährungen in die Pools eingezahlt habe“, sagt Münchinger, der unter anderem die Börse Quickswap Exchange nutzt.
Dieser Vorgang wird als „Liquidity Mining“ bezeichnet. Den Liquidity-Token hat Münchinger dann wiederum an einen anderen Stelle hinterlegt, um zusätzliche Quick-Token zu „ernten“, die hauseigene Kryptowährung von Quickswap.
„In etwa drei Monaten habe ich so 53 Token gefarmt, mit einem Einsatz von 1000 Dollar“, erinnert er sich. Diese waren am Anfang nur ein paar Dollar wert, haben gerade im Frühjahr jedoch deutlich an Wert zugelegt. In der Spitze lag der Kurs bei rund 1500 Dollar pro Stück, nun liegen sie noch bei rund 530 Dollar.
Die neue Finanzwelt, die auf Blockchains und Kryptowährungen gebaut ist, erinnert an Videospiele. „Gamification“ heißt das Stichwort. Zapper-Fi etwa animiert seine Nutzer, jeden Tag bestimmte Aufgaben zu erfüllen, um dafür Punkte zu sammeln. Diese Punkte könnten die User eines Tages zu weiteren Coins berechtigen, so ihre Hoffnung, die sie dann investieren oder zurück in Dollar oder Euro tauschen könnten.
Das war auch bei Uniswap so. Die größte dezentrale DeFi-Börse beglückte frühe Nutzer im September mit einem sogenannten Airdrop. „Dabei wurden 400 Uni-Token in unsere digitalen Geldbeutel transferiert, nur dafür, dass wir das Angebot genutzt haben“, so Münchinger. Am Anfang waren sie vier Dollar pro Stück wert, heute sind es 22 Dollar.
Milliardär erleidet Totalverlust
Kryptorenditen zu erzielen ist nicht nur etwas für Kleinanleger, Unternehmen interessieren sich ebenfalls zunehmend dafür – auch in Deutschland. So hat sich Sternberg Partners aus Osnabrück darauf spezialisiert, Firmen bei Krypto-Anlagestrategien zu beraten.
„Es gibt Unternehmen, die ihre Cash-Bestände optimieren wollen und fünf bis zehn Prozent ihrer Barmittel in DeFi-Projekte investieren“, erklärt Geschäftsführer Lukas Osterheider. „Typisch sind Summen zwischen 25.000 und 70.000 Euro. Bis zu 100 Prozent Rendite im Jahr zu erzielen ist dabei keine Seltenheit.“
Osterheider setzt unter anderem auf die DeFi-Chain, eine Blockchainplattform, die den Umtausch von Token anbietet, genauso wie Liquiditätspools und die passende digitale Geldbörse dazu. Gerade für Firmen sei es wichtig, verschiedene Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, sowie auf etablierte Protokolle und Plattformen zu setzen.
Doch in der weitgehend unregulierten DeFi-Welt kann viel schiefgehen, wie Milliardär Mark Cuban selbst vor wenigen Tagen feststellen musste. Er hatte in seinem Blog-Eintrag offenbart, dass er in einen Pool eingezahlt hatte, in dem der sogenannte Titan-Token enthalten war.
Mehr Regulierung gefordert
Titan war ein relativ neues Projekt, dessen Computercode, sogenannte Smart Contracts, noch keiner unabhängigen Prüfung unterzogen wurden. Am Mittwoch zogen dann plötzlich viele große Investoren ihre Gelder ab. Der Titan-Kurs kollabierte, von 65 Dollar auf weit unter einen Cent. Wer hinter dem Projekt steht, ist nicht bekannt.
Das Twitter-Konto des Projektes versprach eine detaillierte, unabhängige Analyse, „wenn der Bank Run vorbei ist“. Einige DeFi-Experten hatten am Dienstag noch via Twitter vor dem Projekt gewarnt, was Cuban offenbar nicht gesehen hatte.
Der Milliardär fordert nach seinem Totalverlust nun mehr Regulierung, um sicherzustellen, dass Projekte stabiler sind. Doch die Schuld gibt er vor allem sich selbst. Bei solchen DeFi-Konzepten „geht es immer um Umsätze und Mathematik und ich war zu faul nachzurechnen, ob die wichtigsten Kennzahlen stimmen“.
Mehr: Dezentrale Netze: Krypto-Revolution an den Finanzmärkten
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Jede Generation muss ihre eigenen Erfahrungen machen. Kostolany würde fragen: Wozu brauche ich Yield Farming im Jahr 2021, wo man doch mit den alten, früheren Möglichkeiten sein Geld genauso gut verlieren konnte? Das menschliche Gehirn hat heute die gleichen Schwächen, wie wie vor 100 Jahren. Wenn die Renditeversprechen hoch genug sind, schaltet sich der rationale Verstand aus. Woher diese gigantischen Renditen kommen sollen und wer so großzügig ist, diese zu bezahlen, muss man ja nicht wissen. Das ganze System ist von Menschenfreunden und Altruisten entwickelt.