Assekuranz Naturkatastrophen, Cyberrisiken, Inflation: Die Rückversicherer stehen vor Zeitenwende

Weniger als ein Drittel der 2021 in Deutschland entstandenen Schäden durch Naturkatastrophen war versichert.
München, Baden-Baden Die Rückversicherer stehen vor den größten Herausforderungen seit vielen Jahren. Zu den enormen Kosten durch die Coronapandemie sind in diesem Jahr Rekordsummen für Naturkatastrophen, eine stark gestiegene Zahl an Cyberangriffen sowie die jüngst deutlich gestiegene Inflation in Deutschland und Europa hinzugekommen.
Der Branchentreff in Baden-Baden, der in diesen Tagen nach der Absage im vergangenen Jahr wieder in Präsenzform stattfindet, markiert damit auch eine Trendwende. Deutlich gestiegene Risiken bedeuten höhere Prämien – für die Erstversicherer und in der weiteren Konsequenz für deren Kunden.
Doris Höpke, im Frühjahr 2022 scheidende Vorständin bei der Munich Re, erwartet schon im kommenden Jahr spürbar steigende Rückversicherungsraten. Im Januar steht die nächste Vertragserneuerung zwischen Erst- und Rückversicherern an. Dann dürfte es vor allem am europäischen Markt deutlich teurer werden.
Bei der Konkurrenz gehen die Erwartungen in eine ähnliche Richtung. „Nachdem bereits das Vorjahr von hohen Belastungen aus der Covid-19-Pandemie geprägt war, erfordern die jüngsten Unwetterschäden, die Niedrigzinsen sowie die Preisanstiege im Baugewerbe eine spürbare Erholung der Rückversicherungspreise“, sagt Michael Pickel, Vorstandschef der Hannover Rück-Tochter E+S.
Dabei sind die Auswirkungen der Pandemie inzwischen spürbar geringer geworden als noch vor einem Jahr. Viele Verträge, in denen zuvor die Absicherung von Pandemieschäden noch unklar formuliert war, sind nachjustiert.
Zudem zeigte sich die Wirtschaft auch während der Lockdowns robust und dürfte nach Einschätzung etlicher Volkswirte im kommenden Jahr weiter zulegen. Dennoch: Der Verlust für die globale Volkswirtschaft durch die Auswirkungen der Pandemie liegt nach Berechnungen der Munich Re jetzt bereits bei 3,8 Billionen Euro.
Naturkatastrophen: Ein teures Jahr 2021
Die größte Herausforderung in diesem Jahr: die schweren Naturkatastrohen. Die E+S Rück rechnet damit, dass die versicherten Schäden im deutschen Markt durch das Sturmtief „Bernd“ am oberen Ende der Spanne von acht bis zehn Milliarden Euro ausfallen könnte.
Die Schadensumme liegt somit über den bisherigen Prognosen, beispielsweise von der Finanzaufsicht Bafin. Überrascht habe vor allem die enorme Wucht der Sturzflut, wodurch der durchschnittliche Schaden pro Schadenfall deutlich höher ausfalle als ursprünglich gedacht, so Pickel.
Insgesamt lagen die Schäden in Deutschland jüngsten Berechnungen zufolge bei 33 Milliarden Euro, weniger als ein Drittel war somit versichert. Ähnlich ist das Missverhältnis in Europa. Von den 46 Milliarden Euro, die in diesem Jahr an Gesamtschäden angefallen sind, waren nur mehr als neun Milliarden Euro versichert. Die Quote von versicherten Schäden zu Gesamtschäden lag damit noch unter dem Langfristvergleich: Set 1980 waren im Schnitt 35 Prozent der Schäden durch Unwetter, Fluten und Hagel in Europa abgedeckt.

Im Januar steht die nächste Vertragserneuerung zwischen Erst- und Rückversicherern an.
Nach den Unwettern im Sommer war aus Teilen der Politik schnell der Ruf nach einer Pflichtversicherung für sogenannte Elementarschäden aufgekommen, wie es sie bis zum Jahr 1994 in Baden-Württemberg gegeben hat. Inzwischen ist es um dieses Thema wieder ruhig geworden.
Im Management der Swiss Re macht man sich trotzdem weiter für diese Idee stark. „Wenn 80 Prozent der Schäden staatlich beglichen werden, kann das die Idee der Vorsorge hintertreiben“, sagt Deutschlandchef Frank Reichelt. Sowohl mit der eigenen Branche als auch mit staatlichen Institutionen geht Reichelt hart ins Gericht. Die Kunden würden viel zu wenig über Gefahren und Schutz aufgeklärt, und die Staaten, speziell Deutschland, würden zu wenig in den Katastrophenschutz investieren.
Swiss Re-Konkurrent E+S rechnet deswegen nach den verheerenden Hochwasserschäden mit teilweise deutlich steigenden Preisen im deutschen Markt und verbesserten Konditionen in der Schaden-Rückversicherung. „Wir gehen davon aus, dass viele Versicherer nach den jüngsten Schäden ihren Rückversicherungsschutz weiter ausbauen werden“, sagt Pickel. Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Rückversicherungsschutz ziehe weiter an.
Zustimmung erhält er von Munich-Re-Vorständin Höpke. „Die Raten bilden das Risiko bei Naturkatastrophen nicht mehr ab.“ Der Zusammenhang zum Klimawandel werde die Prämien weiter nach oben treiben. Dabei stehen die Rückversicherer vor einem globalen Problem.
Cyberangriffe: Chancen und Risiken
Durch das erheblich gewachsene Ausmaß an Cyberangriffen ergibt sich für Rückversicherer ein neues Geschäftsfeld mit erheblichen Chancen wie Risiken. Die Munich Re besetzt hierbei seit Jahren einen globalen Marktanteil von zehn Prozent, der wegen der außergewöhnlichen Geschwindigkeit, in der dieser Markt wächst, zu erheblichem Prämienwachstum geführt hat.
Auf der Gegenseite zeigen Umfragen in den Unternehmen, dass sie die Gefahr, zum Opfer eines Cyberangriffs zu werden, inzwischen als größtes Risiko überhaupt einstufen. Für E+S-Chef Pickel ist somit offenkundig, dass angesichts der stark gestiegenen Gefahrenlage in Zukunft deutlich höhere Preise verlangt werden müssten.
Von Cyberangriffen betroffen sind mittlerweile auch Versicherer selbst. Im Juli wurde die im Branchenvergleich kleine Haftpflichtkasse aus der Nähe von Darmstadt Opfer eines Datendiebstahls.
Weil die Herausforderungen durch Cyberrisiken immer schnelleren Veränderungen unterliegen, sehen die Rückversicherer ihre Rolle künftig vermehrt als Anbieter von Prävention und Resilienz – sie sollen sozusagen das Bewusstsein schaffen für mögliche Gefahren. Bei der Munich Re, die dieses Thema vorantreibt, kommt den hausinternen Spezialisten dabei eine Schlüsselrolle zu. Auch die Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen und Wissenschaftlern soll forciert werden.
Inflation: Spürbare Belastung im Portfolio
Auf die Preisentwicklung können Rückversicherer allerdings kaum direkten Einfluss nehmen. Die zuletzt stark gestiegene Inflation führt inzwischen zu erheblichen Belastungen in den milliardenschweren Portfolios. Im September lag die Teuerungsrate in Europa bei mehr als drei Prozent, in Deutschland sogar bei über vier Prozent.
Munich-Re-Vorständin Höpke betont, dass dadurch ein besonderer Druck entsteht – denn das Zinsniveau am Kapitalmarkt hat sich kaum verändert. Auch diese Belastung dürfte die Prämien bei Versicherungen nach oben treiben. „Langfristig dürften sich die Inflationsraten wieder normalisieren, aber über dem Vor-Corona-Niveau bleiben“, erwartet Höpke.
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