Digitalisierung Versicherer nähern sich an digitale Start-ups an
Frankfurt, München Lange haben viele Versicherer die jungen technologiegetriebenen Start-ups belächelt. Das hat sich geändert, aktuell finden Versicherer und Versicherungs-Start-ups (Insurtechs) immer öfter zueinander.
Die Nürnberger Versicherung, Volkswohl Bund und die Bayerische beteiligen sich an dem jungen Onlinemakler Worksurance, wie das Unternehmen diese Woche bekanntgab. Die Nürnberger hat vor Kurzem bereits das Insurtech Getsurance geschluckt und die HDI Lebensversicherung die Mehrheit am Insurtech Community Life übernommen.
Auslöser für diese Entwicklung ist auch die Coronakrise. Sie hat den etablierten Versicherern deutlich vor Augen geführt, wie anfällig ihr Geschäftsmodell ist. Plötzlich fehlte der Kundenkontakt, und der Großteil der Mitarbeiter musste innerhalb weniger Wochen ins Homeoffice geschickt werden. Vielerorts zeigt die Pandemie auch Spuren bei Prämieneinnahmen und Gewinnen.
Die Digitalisierung hat daher eine ganz neue Bedeutung gewonnen. Eine Rückkehr in die alte, analoge Versicherungswelt schließen viele in der Branche inzwischen aus. In der Partnerschaft mit den jungen Start-ups suchen Versicherer nun einen Ausweg aus den immensen Veränderungen und Herausforderungen.
Weltweit ist das Interesse an den digitalen Versicherungs-Start-ups groß. Insgesamt wurden im abgelaufenen Jahr 377 Transaktionen mit einem Investitionsvolumen von 7,1 Milliarden Dollar getätigt, meldete die Unternehmensberatung Willis Towers Watson. Das war trotz des Corona-bedingten Einbruchs im ersten Quartal ein neuer Rekord. Im laufenden Jahr halten die Berater mehr als 400 Transaktionen für möglich.
Versicherer verfolgen unterschiedliche Strategien
Bislang hielten sich Versicherer bei solchen Finanzierungsrunden in Deutschland oft stark zurück. Doch jetzt scheint vieles in Bewegung zu kommen.
Dabei sind die Ansätze so unterschiedlich wie die einzelnen Beteiligten. Manche Versicherer kooperieren lediglich mit Start-ups, ohne sich mit Kapital zu beteiligen, andere investieren in bestehende Insurtechs oder bauen eigene Digitaltöchter auf.
Letzteres hat den Vorteil, dass die Versicherer sich im Digitalgeschäft ausprobieren können, ohne ihre Kernmarke zu beschädigen. Bekannte Ausgründungen von Versicherern sind Alteos der Axa, Andsafe der Provinzial, Nexible der Ergo sowie Adam Riese der W&W-Gruppe.
Große Versicherungskonzerne wie Allianz und Munich Re investieren international und mit einem breiten Fokus. Robert Rieckhoff, Leiter Projekte und Services beim New Players Network
Die Branchenriesen, die ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung haben, beteiligen sich zudem bereits seit Längerem an diversen Start-ups. „Große Versicherungskonzerne wie Allianz und Munich Re, die oft auch über eine eigene Venture-Einheit verfügen, investieren international und mit einem breiten Fokus“, beobachtet Robert Rieckhoff, Leiter Projekte und Services beim New Players Network, einer Start-up-Initiative der Versicherungsforen Leipzig.
So ist der Versicherungsriese Allianz über seinen Digitalarm Allianz X am inzwischen börsennotierten US-Digitalversicherer Lemonade beteiligt, zudem an Control Expert, einer Plattform für KI-gestützte Schadenabwicklung und am Berliner Insurtech Simplesurance. Auf rund 20 Unternehmen ist die Zahl der Minder- und Mehrheitsbeteiligungen in den vergangenen Jahren gewachsen.
Ähnlich verfährt der Rückversicherer Munich Re, der mit seiner Tochter Munich Re Ventures in rund 30 Unternehmen investiert hat, unter anderem in das indische Insurtech Acko und den US-Gebäudeversicherer Hippo, der nun ebenfalls an die Börse strebt.
Mittelständische Versicherer treten als Investoren auf
Doch es sind längst nicht mehr nur die großen Namen, die die Annäherung an die Insurtechs vorantreiben, beobachtet Rieckhoff: „Einige mittelständische Versicherer treten inzwischen ebenfalls als Investoren auf, werden sich dabei aber auch künftig vor allem auf den deutschsprachigen Raum konzentrieren.“ Meist gehe es den mittelständischen Versicherern um den strategischen Hintergrund ihrer Investments: „In manchen Fällen entwickeln die Unternehmen gemeinsame Produkte und Services“, sagt Rieckhoff.
Ein Sprecher der Nürnberger Versicherung erklärt dazu: „Passen Unternehmens- und Personalstrategie langfristig zusammen, ist es für uns sinnvoll, in Start-ups zu investieren.“ Das sei ein Grund, warum man beim insolventen Berliner Insurtech Getsurance als aktiver Investor eingestiegen sei. Im Laufe des Jahres soll der Anteil auf 100 Prozent erhöht werden, so der Plan.
Am Ende steht die Zweiteilung: Getsurance richtet sich an die Kunden, die rein digital unterwegs sind. Die Nürnberger bietet Produkte mit größerem Leistungsumfang und persönlicher Beratung an.
Beim Einstieg von Nürnberger, Volkswohl Bund und die Bayerische mit jeweils unter zehn Prozent beim Start-up Worksurance geht es darum, geeignete Produkte für den Onlinevertrieb zu entwickeln. Worksurance ist auf den Bereich Arbeitskraftsicherung spezialisiert und bietet auf seiner Plattform auch viele Informationen dazu an. „Es sollen Kunden angesprochen werden, die online selbst recherchieren und bisher nicht in der stationären Beratung erreicht wurden“, erklärt Worksurance-Geschäftsführer Christian Schwalb.
Häufig geht es bei den Investments der Versicherer um einen Wissenstransfer in beide Richtungen, erklärt Rieckhoff: „Während die Start-ups von der Versicherungskompetenz der Investoren profitieren, können die Versicherer auf die technologischen Fähigkeiten und Erfahrungen der Insurtechs zurückgreifen.“ Interessant sind für die Versicherer vor allem Themen wie Künstliche Intelligenz (KI), Programmierschnittstellen (API), Datenanalyse sowie die Vernetzung von Anlagen und Maschinen (IoT).
Beteiligungen nicht nur wegen Versicherungsprodukten
Auch die HDI-Gruppe hat zuletzt bei Start-up-Investments Fahrt aufgenommen. Die HDI Leben will mit dem Kauf von Community Life „einen starken Fußabdruck in der digitalen Welt der Lebensversicherung im Bereich der Biometrie hinterlassen“, hieß es. Die Gruppe ist mit der im Jahr 2017 gegründeten Einheit Hannover Digital Investments auch als Kapitalgeber für junge, innovative Unternehmen aktiv. Das jüngste Investment ist eine Beteiligung am Cybersecurity-Spezialisten Cybsafe.
Investments
100
Millionen Euro
hat Signal Iduna für Investments in junge Unternehmen bereitgestellt.
Längst aber muss es sich bei den Beteiligungen der Versicherer nicht nur um reine Versicherungsprodukte handeln. Von 15 Beteiligungen, die der Versicherer Signal Iduna in seinem 2017 gegründeten Innovations-Ökosystem Signals bündelt, beschäftigen sich nur zwei mit Versicherungen – etwa der White-Label-Versicherer Element. Das Insurtech kreiert Produkte, die Anbieter dann unter ihrem jeweiligen Namen vertreiben können.
Insgesamt 100 Millionen Euro hat die Signal Iduna für Investments in junge Unternehmen bereitgestellt. Voraussetzung ist für Unternehmenschef Ulrich Leitermann auch die Rückwirkung auf das Kerngeschäft des Versicherers. Bei Start-up-Investitionen reiche es heute nicht mehr, das rein als Inspirationsquelle zu sehen: „Wir messen uns an echtem Output“, so Leitermann. Das gelte auch für den eigenen Venture Capital Fonds Signals VC, der sich an seinen finanziellen Erträgen messen lassen muss.
So ist beispielsweise durch die Beteiligung am damals größten deutschen E-Scooter-Verleiher Circ ein Geschäftsbereich für neue Mobilität entstanden. Und weil Circ inzwischen an den amerikanischen Wettbewerber Bird verkauft wurde, sind die Dortmunder nun auch an einem sogenannten Einhorn beteiligt. Darunter versteht die Branche Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet sind.
Zahlreiche Versicherer haben Nachholbedarf
Trotz der aktuellen Entwicklungen sieht Fabian Nadler, Insurtech-Experte beim Digital-Verband Bitkom, bei den deutschen Versicherern weiterhin Nachholbedarf bei der Digitalisierung: „Viele Versicherer sind nur Beobachter. Sie haben immer noch nicht die Notwendigkeit erkannt, sich mit neuen digitalen Geschäftsmodellen und dem veränderten Kundenverhalten auseinanderzusetzen.“
Allerdings räumt er ein, dass Kooperationen zwischen Versicherern und Insurtechs häufig einfacher umzusetzen seien als größere Kapitalbeteiligungen. Kleinere Beträge für eine Minderheitsbeteiligung auszugeben sei bei einigen noch möglich. Viel Geld mit einem eigenen Venture-Capital-Arm in mehrere Start-ups zu stecken, bei denen man noch nicht weiß, wie sie sich künftig entwickeln, könnten sich vor allem kleinere Versicherer oft nicht leisten.
Hinzu kommt: Viele Start-ups wollen gar keinen Versicherer als Gesellschafter im Boot haben. „Wenn sie im B2B-Segment tätig sind, ist es ihnen in vielen Fällen wichtiger, verschiedene Versicherer als Kunden bedienen zu können“, sagt Nadler. Wer im Endkundengeschäft eine gut funktionierende Technologie aufgebaut hat, bleibt oft lieber unabhängig.
So kommt es auch vor, dass sich die Wege von Versicherern und Start-ups wieder trennen: Anfang 2020 hat beispielsweise die Bayerische den Hamburger IT-Spezialisten Sum.cumo wieder verkauft.
Mehr: HDI-Gruppe investiert verstärkt in Start-ups – Fokus liegt auf der Cybersicherheit
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