Digitalversicherer Bafin erhöht die Hürden bei der Zulassung von Insurtechs

Die neuen Vorgaben der Behörde sorgen in der Branche für Wirbel. Insurtechs fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Frankfurt Die Finanzaufsicht Bafin kritisiert, dass junge Versicherungsunternehmen in der Aufbauphase oft zu wenig Geld einplanen. Das soll sich nach Wunsch der Behörde bald ändern: Künftige Neugründungen sollen schon zum Start über deutlich mehr Eigenmittel verfügen, als das bei vergleichbaren Vorgängern der Fall war, heißt es in der aktuellen Ausgabe des „Bafin-Journals“. Die Insurtechs müssten, so die Aufsicht, schon am Tag ihres Zulassungsantrags vollständig ausfinanziert sein, damit sie keine ergänzenden Finanzierungsrunden mehr benötigen.
In der Branche sorgt das für Wirbel. Zwar fordere die Bafin von Start-ups bereits seit Längerem in der Gründungsphase mehr Kapital, sagt Frederik Winter, Partner und Experte für Aufsichtsrecht bei der Wirtschaftskanzlei Linklaters. „Mit der Forderung nach einer kompletten Ausfinanzierung bei der Zulassung legt die Aufsicht die gesetzlichen Vorgaben aber sehr streng und extensiv aus.“
Stephen Voss, Mitgründer des Insurtechs Neodigital, ergänzt: „Durch die strengeren Vorgaben wird es künftig um ein Vielfaches schwieriger werden, einen neuen, unabhängigen Versicherer in Deutschland zu gründen.“ Neodigital hat seine Bafin-Lizenz 2018 erhalten.
Digitale Versicherungs-Start-ups haben zu Beginn meist noch eine überschaubare Zahl von Kunden und somit auch geringe Prämieneinnahmen. Zugleich müssen sie stark in die IT investieren – etwa in die Entwicklung von Softwarelösungen und Apps. Wie bei Start-ups oft üblich, arbeiten sie in den ersten Jahren nicht profitabel.
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Doch viele Insurtechs haben laut der Bafin dann Mühe, die Verlustzone zu verlassen. „Wenn sich die häufig zu optimistischen Prognosen zur Geschäftsentwicklung nicht erfüllen, sind die Unternehmen auf Nachfinanzierungen angewiesen, um ihren Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten“, heißt es in dem Artikel.
Neodigital-Mitgründer Voss betont: „Schon bei der Beantragung unserer Lizenz hat uns die Aufsicht darauf hingewiesen, dass wir in der Aufbauphase nicht auf Nachfinanzierungen angewiesen sein sollten.“ Das Unternehmen habe den Geschäftsplan darauf ausgerichtet und konservativ kalkuliert. „Möglicherweise waren die Geschäftspläne anderer Firmen enger genäht“, so Voss.
Die Bafin reagiert mit ihren strengeren Vorgaben auch auf die Coronakrise. Seit Ausbruch der Pandemie sitze das Geld bei den Investoren nicht mehr so locker, und ihre Bereitschaft, erneut Geld nachzuschießen, sinke mit jeder Finanzierungsrunde, argumentiert die Aufsicht.
Winters Kollege Thomas Broichhausen, Partner und Versicherungsexperte bei Linklaters, kann das im Ergebnis so nicht nachvollziehen: „Die Finanzierungsrunden gingen zuletzt nach oben, Insurtechs sind bei Investoren weiterhin stark gefragt.“
Sechs Insurtechs haben eine Bafin-Lizenz
Die Bafin hat laut eigenen Angaben seit 2017 sechs Insurtechs eine Versicherungslizenz erteilt. Auch wenn sie keine Namen nennt, dürften wohl neben Neodigital die Start-ups Andsafe, Coya, Element und Mailo gemeint sein, die alle über eine Lizenz als Schaden- und Unfallversicherer verfügen, außerdem der Krankenversicherer Ottonova. Zudem gibt es Start-ups ohne Bafin-Zulassung, die als Dienstleister der Versicherungsbranche agieren.
Im vergangenen Jahr hat auch der Versicherungsanbieter Getsafe eine Bafin-Lizenz beantragt. Im ersten Halbjahr 2021 soll der Sachversicherer an den Start gehen. Bislang arbeitet das Start-up als Assekuradeur, der zwar eigene Versicherungspolicen entwickelt und vertreibt. Risikoträger ist aber jeweils ein anderer Versicherungskonzern.
Die modifizierte Marschrichtung der Aufsicht hat einer Unternehmenssprecherin zufolge keine Auswirkungen auf Getsafe: „Wir sind im Prozess schon fortgeschritten und von Anfang an in enger Abstimmung mit der Bafin.“ Man sei „bestens aufgestellt“ und sehe „keine besonderen Hürden für den Start“.
Unter anderem geht es der Bafin um den Organisationsfonds. Diesen müssen Versicherer bei ihrer Zulassung zur Deckung der Aufwendungen für den Aufbau der Verwaltung und des Vertreternetzes stellen. Es reiche künftig nicht mehr, nur die schon in der analogen Welt anfallenden Kosten zu veranschlagen, heißt es in dem Artikel: „Das haben die Erfahrungen der Bafin gezeigt.“
Stattdessen soll dieser Orgafonds so ausgestattet sein, dass auch die bei den jungen Digitalversicherern besonders wichtigen IT-Aufbaukosten auf lange Sicht finanziert sind. Alle erwarteten, realistisch prognostizierten Verluste von der Gründung bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Profitabilität sollen damit abgedeckt werden.
Welche Erfahrungen die Bafin mit den bisherigen Neugründungen konkret gemacht hat und welche der Insurtechs rückblickend beim Start zu wenig Kapital hatten, wollte ein Bafin-Sprecher auf Nachfrage nicht kommentieren. Dass es wohl nicht bei allen Versicherungs-Start-ups gleich gut läuft, wird in der Branche aber schon länger diskutiert.
Junge Versicherer könnten verstärkt ins Ausland gehen
Frederik Winter von Linklaters rechnet damit, dass die neue Bafin-Strategie den Insurtech-Standort Deutschland „nachhaltig verändern könnte“. Manche der jungen Versicherer dürften sich überlegen, einen Sitz im europäischen Ausland, etwa in den Niederlanden oder Luxemburg, zu wählen und über den EU-Pass in Deutschland tätig zu werden.
Bereits heute sind manche der in Deutschland tätigen Insurtechs in einem anderen europäischen Land lizenziert. Wenn sich Länder in der Folge gezielt als „Insurtech-Standort“ positionieren würden, wäre der Weg ins Ausland erst recht attraktiv, sagt Winter. „Der Gesetzgeber sollte daher einheitliche Wettbewerbsbedingungen für Insurtechs in Europa schaffen.“ Ein anderer Weg wäre, dass Start-ups verstärkt auf nicht lizensierte Geschäftsmodelle als Makler oder Assekuradeure setzen.
Der Bafin selbst geht es wohl weniger um die Förderung der deutschen Insurtech-Szene, sondern in erster Linie um den Schutz der Versicherungsnehmer. Dieser dürfe nicht geringer sein, nur weil sie sich bei einem jungen, innovativen Unternehmen versichert haben oder versichern werden, heißt es in dem Artikel.
Linklaters-Partner Broichhausen rechnet auch mit Änderungen im Finanzierungsmarkt. „In der Praxis ist mir bislang kein Fall bekannt, bei dem sich ein Start-up durch die anfänglichen Finanzierungsrunden für die nächsten Jahre voll ausfinanzieren konnte“, sagt der Experte. „Üblicherweise planen, jedenfalls bislang, Investoren und Start-ups Finanzierungsrunden mit einem deutlich geringeren Zeithorizont.“ Der Finanzierungsmarkt werde sich an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen, etwa in Form von größeren Finanzierungsrunden, Garantien der bisherigen Anteilseigner oder über die Einbeziehung von Rückversicherungsstrukturen.
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