Direktversicherer Fehlstart für die Allianz Direct: Bätes Reformprojekt verärgert Kunden

Die Policen von rund 750.000 Kunden wurden zu Allianz Direct transferiert.
München Die Mail von Susanne W. lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Über ihre Erfahrungen mit dem neuen Direktversicherer Allianz Direct schreibt sie: „Das Ganze nimmt schildbürgerhafte Züge an.“ Ihren Fall beschreibt die Kundin als Paradebeispiel für missglückte Kundenkommunikation, schwaches Projektmanagement, schlechten Service und irreführendes Webdesign.
Auf drei allesamt fristgerechten Wegen habe sie versucht, ihre alte Police beim Allianz-Direct-Vorgänger Allsecur loszuwerden – und den unverlangt neu erstellten Vertrag bei der neuen Tochter des Münchner Konzerns ebenso. Trotzdem wurde ihr am Jahresanfang ein vollständiger Jahresbeitrag abgebucht.
Wie Susanne W. scheint es im Moment vielen ehemaligen Kunden der einstigen Allsecur zu gehen. Aus dem bisherigen Direktversicherer der Allianz, der sich auf die Sparte Kfz-Versicherungen konzentrierte, wurde zum Jahreswechsel die Allianz Direct, eines der zentralen Reformprojekte von Konzernchef Oliver Bäte.
Hinter der Änderung steht weit mehr als ein neuer Name, es geht um den Versuch, einen paneuropäischen Direktversicherer aufzubauen. Um so stärker schmerzt die Kritik der Kunden und die miserablen Bewertungen auf den einschlägigen Onlineportalen.
Rund 750.000 Kunden wurden zum Start am 1. Januar zur Allianz transferiert. Europas größter Versicherer will damit endlich auch im immer wichtigeren Onlinegeschäft durchstarten, nachdem in der Vergangenheit Versuche unter verschiedenen Namen wie Allianz 24 nicht den großen Erfolg gebracht hatten.
Vor allem aber will der Konzern mit dem neuen Onlineangebot endlich europaweit unter der Marke Allianz Direct auftreten. Nach dem Launch in Deutschland und den Niederlanden sollen in diesem Jahr bereits Italien und Spanien folgen.
Länderübergreifende Teams hatten in den vergangenen Jahren festgestellt, dass ein großer Anteil an Vertragsinhalten und Konditionen in den einzelnen Ländern gleich oder ähnlich war. Ein zentraler Ansatz sei damit sinnvoll, lautet die Vorgabe aus dem Konzern.
Ehrgeiziges Projekt
Der neue Ansatz spiegelt sich auch in der Organisation wider. War die alte Allsecur noch unter dem Dach der Tochter Allianz Deutschland angesiedelt, so ist Allianz Direct direkt der Konzernzentrale in der Münchner Königinstraße unterstellt, der Firmensitz wurde bewusst etwas abseits ins hippe Gründerviertel am Münchener Ostbahnhof verlegt.
„Mit der Allianz Direct wollen wir etwas erreichen, was wir noch nie erreicht haben und etwas ganz Neues schaffen“, kündigte Finanzvorstand Giulio Terzariol noch im August an. In der Werbung, die ab Herbst großflächig überall im Land plakatiert war, war gar von einer „Mission“ und einem „Wow-Effekt beim Kunden“ die Rede.
Die Realität sieht allerdings bereits nach wenigen Tagen anders aus. Von einem „Super-GAU“ ist in Kundenreaktionen die Rede. Der Transfer der bisherigen Allsecur-Kundendaten in das System von Allianz Direct habe überhaupt nicht funktioniert, heißt es.
Kunden berichten, dass sich die Allianz damit rechtfertige, dass Daten noch einmal per Hand eingegeben werden mussten. Das ist in der Branche zwar nicht unüblich, in der Regel beschränkt sich die händische Transformation bei solchen Größenordnungen aber auf wenige Hundert Kunden. So war es beispielsweise bei HDI in Hannover, wo zum Jahreswechsel die Daten von rund 1,5 Millionen Kunden in neue Systeme transferiert wurden.
Auf Anfrage des Handelsblatts spricht man auch bei der Allianz von Einzelfällen, bei denen es Probleme gegeben habe. „Im Zuge der Migration unserer Bestandskunden gab es einzelne Herausforderungen, die wir aber im Rahmen einer derartigen Umstellung als üblich einstufen“, heißt es in einem schriftlichen Statement des Versicherers.
Diese Herausforderungen wollten die Teams nun schnell lösen. „Dies waren aber jeweils klare Ausnahmefälle“, betont das Unternehmen in der Stellungnahme weiter.
Beschwerden im Netz
Die Reaktion vieler Kunden im Netz sieht allerdings anders aus. Hier ist die Verärgerung groß. Im Bewertungsportal Trustpilot gaben bis zu dieser Woche 97 Prozent der Nutzer der Allianz Direct die Note „Ungenügend“, zwei Prozent rangen sich zu einem „Mangelhaft“ durch.
Zwar hat Allianz Direct auch seine Fans, ein Prozent bewertet das Angebot mit „hervorragend“, die überwiegende Mehrzahl der Wortmeldungen sind allerdings Beschwerden. Die Klage der Kunden reicht von trotz Kündigung zu Unrecht abgebuchten Beiträgen, über erhebliche Wartezeiten in der Hotline, mangelnde Erreichbarkeit auf den digitalen Kanälen bis hin zu schlechteren Konditionen und höheren Kosten im Vergleich zur Vorgängerorganisation Allsecur. Deren Kundenbewertungen waren in der Vergangenheit stets gut.
Rein rechtlich hat die Allianz die Kundenverträge mit der Allsecur durch das Ende des Unternehmens zum Jahresende einseitig beendet. Es folgte ein Fortsetzungsvertrag mit der Allianz Direct. Dabei erhielten die Altkunden ein Sonderkündigungsrecht bis zum 15. Januar. Aber beim Handelsblatt und im Netz beschweren sich viele Kunden, dass ihre fristgerechte Kündigung entweder untergegangen oder schlicht ignoriert worden sei.
Insider berichten von einer hohen Anzahl von Beschwerden, die direkt bei der Allianz eingehen, und in denen sich Kunden über Abbuchungen trotz vorheriger Kündigung beklagen. Andere Nutzer im Netz beschweren sich über wenig vertrauenserweckende Mails zum Beispiel mit folgendem Wortlaut: „Du erhältst diese E-Mail erneut, weil die Preisangabe in unserer ersten E-Mail nicht stimmte.“
Per Du mit der Allianz
Stets wird der Kunde dabei geduzt, was Teil der neuen Kundenansprache ist und europaweit durchgezogen werden soll. Auch das sorgte bei vielen ehemaligen Allsecur-Kunden für Verwunderung.
Insider machen übertriebene Eile bei der Umsetzung des Projekts für das Desaster verantwortlich. Der Start von Allianz Direct im Oktober war bewusst vor der wichtigen Wechselsaison in der Kfz-Versicherung gewählt worden, in der sich die Konzerne jedes Jahr bis Ende November einen harten Kampf um Kundenanteile liefern.
Von einer zu schnellen Umsetzung will man bei der Allianz nichts wissen. „Die Vorbereitungszeit war ausreichend“, heißt es auf Anfrage. Alle Prozesse und Produkte seien vor der Einführung entsprechend getestet worden. „Es handelt sich unserer Erfahrung nach um die üblichen Herausforderungen bei IT-Projekten dieser Größenordnung.“
Statements dieser Art waren von der Allianz bereits im vergangenen Jahr zu hören. „Wir bauen den neuen Direktversicherer gerade auf und arbeiten an der Technologieplattform. Alle Vorbereitungen laufen nach Plan“, sagte Konzernchef Bäte im Februar 2019.
Im vergangenen Jahr war Allianz Direct eines der großen Prestigeobjekte im Konzern und genießt noch jetzt im Management hohe Priorität.
Probleme mit der IT gab es bei der Allianz in der jüngeren Vergangenheit immer wieder. Erst Anfang Oktober fiel bei der Allianz Deutschland über Stunden hinweg die IT-Infrastruktur aus. „Nachdem wir seit Jahresbeginn erhebliche Fortschritte bei der IT-Stabilität und der Verfügbarkeit unserer Systeme verzeichnen konnten, sind seit Ende August mehrere IT-Großstörungen aufgetreten“, hieß es danach in einer Mitteilung an die Mitarbeiter.
Monate davor klagten Kunden der privaten Krankenversicherung über mangelnde Erreichbarkeit durch den Ausfall der Systeme. In einem anderen Fall ging bei den rund 8000 Vertretern im Land wegen fehlerhafter IT tagelang gar nichts.
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Aus Spaß hab ich mir mal eure Bewertungen angesehen auf Trustpilot, sehen auch nicht gerade rosig aus: 88% ungenügend (https://de.trustpilot.com/review/www.handelsblatt.com).
Jeder weiß, dass wenn Kunden nicht aktiv dazu aufgefordert werden nur die Rezensionen schreiben, die ihren Frust loswerden wollen. Die Stimme von den ganzen zufriedenen Kunden bleiben aus.