Aber Schildknecht ist nicht nur mit den Auswirkungen der Corona-Infektion eingespannt. Die Kölner tragen auch die Reisepreisabsicherung für den in die Insolvenz gerutschten Reisekonzern Thomas Cook in Deutschland. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) droht Zurich wegen der Pleite mit juristischen Konsequenzen und verlangt, dass der Konzern die Kosten für die Rückholung von knapp 60 Millionen Euro noch zusätzlich zum Haftungstopf bezahlt.
Dagegen wehrt sich der Manager: „Warum sollte man einen Deckel in ein Gesetz hineinschreiben, wenn er dann nicht gilt? Insofern kann auch das Ministerium später nicht noch Leistungen wie die Rückholung plötzlich hinzuaddieren. Bürger und Unternehmen sollten sich doch darauf verlassen können, dass Gesetze, die die Regierung verabschiedet hat, auch gelten“, betont Schildknecht.
Er wirbt für einen Gegenvorschlag. Zurich sei bereit, die Abwicklung der gesamten Erstattung über seine Abwicklungsplattform laufen zu lassen und nur Sonderleistungen abzurechnen. Unabhängig davon könnte sich der Konzern „in einem schlanken Verfahren“ mit der Bundesregierung über die Rückholkosten streiten.
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Schildknecht, geben Sie Geschäftspartnern derzeit noch die Hand?
Die Gewohnheit verleitet manchmal dazu. Aber unsere Richtlinien sehen in dieser Lage vor, den körperlichen Kontakt möglichst zu minimieren. Aber ich gebe zu, dass es einen Grundanspruch an Umgangsformen gibt, den man nur schweren Herzens ablegen möchte.
Wie sehr wird die neuartige Lungenkrankheit die deutsche Wirtschaft und ihr Geschäft durcheinander wirbeln?
Allgemein sind die Auswirkungen des neuartigen Coronavirus derzeit nach wie vor schwierig abzuschätzen. Diese Unsicherheit spielt dementsprechend auch bei den jüngsten Kursrückgängen am Aktienmarkt eine zentrale Rolle. Das zeigt die Unsicherheit, die mit dem Coronavirus weltweit einhergeht. Die Krankheit und ihre Auswirkungen muss man ernst nehmen und weiter beobachten. Man sollte jetzt aber auch nicht in Panik verfallen.
Carsten Schildknecht
Vor seinem Wechsel in die Versicherungsbranche war er in leitenden Positionen bei der Deutschen Bank tätig.
(Foto: obs/Zurich Gruppe Deutschland/Richard Unger)
Haben Sie Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter getroffen?
Ja, natürlich. Wir beobachten die Situation sehr genau. Als Arbeitgeber haben wir schließlich eine Fürsorgepflicht für die Beschäftigten, der wir auch nachkommen. Wir haben deshalb vorerst international alle Reisen, die vermeidbar sind, gestrichen. Auch größere Veranstaltungen werden abgesagt oder verschoben. Wir versuchen jetzt viel über Videokonferenzen und per Telefon zu machen und nutzen häufig Home Office. Das lässt sich alles gut abfedern, wenn das über einen kürzeren Zeitraum passiert. Auch wenn uns das Virus noch monatelang beschäftigen sollte, erwarten Kunden, dass wir ihre Schadensfälle wie gewohnt bearbeiten und den gewohnten Service erbringen. Dazu haben wir entsprechende Business-Continuity-Pläne, damit es nicht zu Engpässen im Service kommt.
Noch weiß niemand so richtig, wie massiv die Auswirkungen sein könnten. Gibt es bei Ihnen eine Worst-Case-Rechnung, wie sehr es Sie im schlimmsten Fall treffen könnte?
Im Vergleich zu China ist das Ausmaß des Virus und seiner Ausbreitung in Deutschland noch deutlich weniger ausgeprägt, aber die Fallzahlen steigen auch hierzulande. Besonders die Situation in Italien ist besorgniserregend. Die jüngsten Entwicklungen an den Börsen haben gezeigt, wie groß derzeit die Nervosität in den Märkten ist, denn so etwas wie Corona gab es in dieser Form noch nicht. Wir beschäftigen uns natürlich auch fortwährend mit möglichen direkten Auswirkungen auf unser Geschäft. Das Virus wird uns voraussichtlich in ausgewählten Verträgen auf der Industrieversicherungsseite treffen, aber der Schutz ist keine Standardbedingung. Sobald weitere Informationen vorliegen und man die Dynamik besser abschätzen kann, werden wir auch die Gesamtauswirkung auf uns bestimmen können.
Viele Reisekonzerne und Luftfahrtunternehmen haben mit massiven Stornierungen zu kämpfen. Kann ein Kunde das über seine Reiseschutzversicherung abrechnen?
Wenn Sie selbst als Privatkunde krank werden, dann können Sie – abhängig von der Vertragsausgestaltung - selbstverständlich ihre Reiserücktrittsversicherung in Anspruch nehmen, wenn Sie eine solche abgeschlossen haben. Die Reiserücktrittsversicherung springt aber unter Umständen nicht ein, wenn Sie aus Furcht vor einer Ansteckung nicht mehr in eine bestimmte Region reisen wollen. Das müssen Sie im Einzelfall direkt mit dem Reiseveranstalter ausmachen, bei dem Sie ihre Reise gebucht haben.
Vita Carsten Schildknecht
Zurich hatte mit der Reisebranche im letzten Jahr keine allzu große Freude. Haben Sie dem Leiter ihrer Rechtsabteilung, Michael Reuter, eigentlich schon eine Gehaltserhöhung versprochen?
Sie spielen auf die Insolvenz von Thomas Cook an, die wir versichert haben und wo wir mit zig Millionen Euro eingesprungen sind. Da kann ich nur sagen: Das gesamte Zurich-Team hat da einen hervorragenden Job gemacht und sehr schnell und professionell auf die schwierige Lage reagiert. Wir sind bei der Rückholung der 140.000 gestrandeten Thomas-Cook-Kunden über die eigentlichen Pflichten eines Versicherers hinausgegangen. Ich selbst habe beispielsweise nachts noch mit dem Chef einer nordafrikanischen Airline telefoniert, um ihn zu überzeugen, die Cook-Kunden auf die Maschinen zu nehmen. Unsere tolle Teamleistung ist auch das Resultat unseres Kulturwandels hin zu mehr Agilität und Schnelligkeit, direkter Kommunikation und flachen Hierachien.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht scheint nicht ganz so begeistert wie Sie. Sie droht Zurich wegen der Pleite mit juristischen Konsequenzen und verlangt, dass Sie die Kosten für die Rückholung von knapp 60 Millionen Euro noch zusätzlich zum Haftungstopf bezahlen. Rechnen Sie damit, dass es zum Prozess kommt?
Also, unsere Rechtsposition ist da eindeutig. Warum sollte man einen Deckel in ein Gesetz hineinschreiben, wenn er dann nicht gilt? Insofern kann auch das Ministerium später nicht noch Leistungen wie die Rückholung plötzlich hinzuaddieren. Bürger und Unternehmen sollten sich doch darauf verlassen können, dass Gesetze, die die Regierung verabschiedet hat, auch gelten. Das ist ein Glaubwürdigkeitsthema für die Regierung. Wir haben einen Gegenvorschlag gemacht und sind bereit, die Abwicklung der gesamten Erstattung, die die Regierung versprochen hat, über unsere Abwicklungsplattform laufen zu lassen und nur Sonderleistungen, falls diese gewünscht sind, abzurechnen. Im Gegenzug könnten wir uns mit der Regierung in einem schlanken Verfahren – und das muss nicht ein Gerichtsverfahren zu Lasten des Steuerzahlers sein – über die Rückholkosten streiten.
Warum sollte die Regierung darauf eingehen?
Weil es für den Steuerzahler die günstigste Lösung ist und für die Betroffenen die attraktivste Einigung, da sie schnell für Klarheit sorgt. Die Bundesregierung hat allein für Abwicklung und Rechtskosten rund 38 Millionen Euro veranschlagt. Diese Summe könnte sich auf einen einstelligen Millionen-Euro-Betrag reduzieren, wenn unser Vorschlag für eine vernünftige Kooperation angenommen wird.
Wie laufen die Gespräche?
Nun, wir haben noch kein definitives Signal erhalten, wie die Regierung unseren Vorschlag findet. Wir waren zwar anfangs in sehr intensive Gespräche eingebunden. Aber diese sind ins Stocken geraten, nachdem die Regierung vor Weihnachten die Zusage gemacht hat, die Kunden komplett zu entschädigen. Wir hoffen, dass unsere Lösung auf Interesse bei Frau Lambrecht stößt. Wir wollen, dass für alle das Beste herauskommt, für den Steuerzahler und für Thomas-Cook-Kunden, die jetzt auf die Erstattung ihrer Anzahlungen warten.
Zurich hat inzwischen mit der Auszahlung der Entschädigungen begonnen. Mit welcher Quote dürfen die Cook-Kunden rechnen – und bis wann werden alle Betroffenen ihr komplettes Geld erhalten haben, wie die Regierung versprochen hat?
Wir haben bisher rund die Hälfte aller 220.000 Schadensfälle mit einer Quote von 17,5 Prozent reguliert. Bis Juni sollten alle Kunden von uns in dieser ersten Runde ausgezahlt sein. Geht die Regierung auf unseren Vorschlag ein, könnten alle Cook-Betroffenen bis Ende des Jahres das gesamte Geld zurückerhalten haben. Denn im November werden wir ohnehin in einer zweiten Runde noch eine geringfügige Nachzahlung leisten und das Geld verteilen, das dann von der Versicherungssumme noch übrig ist, weil beispielsweise nicht alle Kunden Ansprüche angemeldet haben. Bei dieser Gelegenheit könnten wir dann auch den Restbetrag, der von der Regierung zugesagt wurde, mit auszahlen. Wenn Berlin unserem Vorschlag zustimmt, hätten alle Cook-Kunden ihr Geld noch vor Weihnachten zurück.
Herr Schildknecht, vielen Dank für das Interview.
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