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Jörg Asmussen im Interview Chef-Lobbyist der Versicherer über die Altersvorsorge: „Jetzt muss neu justiert werden“

Von der neuen Bundesregierung fordert Jörg Asmussen eine umfassende Reform der Altersvorsorge. Die Lebensversicherer sieht er gut aufgestellt – trotz struktureller Probleme.
15.11.2021 - 16:00 Uhr Kommentieren
Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hält die Riester-Rente für reformfähig. Quelle: Dominik Butzmann
Jörg Asmussen

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hält die Riester-Rente für reformfähig.

(Foto: Dominik Butzmann)

Frankfurt, München Bei der Reform der Altersvorsorge in Deutschland lassen sich die Ampelparteien noch nicht in die Karten schauen. Umso lauter trommelt der oberste Vertreter der Lebensversicherer dafür, die notwendigen Veränderungen in der gesetzlichen, vor allem aber in der privaten Rente nicht länger aufzuschieben. „Leider war die vergangene Legislaturperiode aus Sicht einer nachhaltigen Alterssicherungspolitik eine verlorene Zeit“, sagt Jörg Asmussen, Chef des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Jetzt muss neu justiert werden.“

Allerdings: Das, was sich bislang an Vorschlägen der möglichen neuen Bundesregierung abzeichnet, geht dem 55-jährigen Volkswirt nicht weit genug. Im Sondierungspapier der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP fehlt Asmussen beispielsweise ein zukunftsfähiger Vorschlag für die betriebliche Altersversorgung, die immer noch zu wenig Menschen in Deutschland haben, um die Rentenlücke auszugleichen. 

Die Assekuranz wittert hier Chancen. Denn ihr angestammtes Produkt Lebensversicherung ist unter Druck. Die anhaltenden Niedrigzinsen nagen an der Rendite – zumindest dann, wenn die Privatanleger mit möglichst wenig Risiko investieren wollen. Die Versicherer stehen im Feuer und müssen ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden erfüllen. Ein Viertel der deutschen Lebensversicherer ist inzwischen unter intensivierter Aufsicht der Bafin.

Trotzdem verteidigt Asmussen die Lebensversicherung, sie müsse mit neuen Angeboten weiterentwickelt werden: „Für die Lebensversicherung spricht die Auszahlung einer lebenslangen Rente. Das Langlebigkeitsrisiko lässt sich durch kein Produkt besser abdecken.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Asmussen, bei der klassischen Lebensversicherung wird der Garantiezins im kommenden Jahr auf 0,25 Prozent gesenkt, gleichzeitig belastet eine Inflation von über vier Prozent. Wird die Lebensversicherung damit endgültig zum Auslaufmodell?
Lassen Sie uns das Produkt nicht schlechtreden. Wir haben in Deutschland immer noch mehr Lebensversicherungsverträge als Einwohner, pro Jahr fließen 103 Milliarden Euro an Beiträgen. Wenn allerdings der Garantiezins gesenkt wird, muss auch die Beitragsgarantie bei Riester und in der betrieblichen Altersversorgung gesenkt werden. Sonst gerät das Produkt versicherungsmathematisch in Schieflage.

Gäbe es unter einer Ampelkoalition mehr Chancen dafür?
Wir müssen sowohl bei der betrieblichen Altersversorgung als auch bei der Lebensversicherung Sicherheit mit chancenorientierter Anlage verbinden. Unser Vorschlag ist für die Riester-Rente eine garantierte Mindestleistung von 80 Prozent. Das Prinzip wäre auch für die betriebliche Altersversorgung und die Direktversicherung anwendbar. So kann man anders anlegen, damit am Ende mehr als hundert Prozent herauskommen.

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Reicht das für einen Imagewandel der Lebensversicherung?
Aktuell abgeschlossene Verträge haben laut den Daten der Ratingagentur Assekurata im Schnitt noch immer eine Gesamtverzinsung von 2,8 Prozent. Das halte ich für eine gute Verzinsung für ein sicheres Asset. Zudem spielt der Garantiezins wegen der Umstellung auf neue Garantiemodelle oder fondsgebundene Lebensversicherungen im Markt eine geringere Rolle als früher. Die aktuelle Inflationslage halte ich zudem für ein vorübergehendes Phänomen.

Rund 20 Lebensversicherer befinden sich aber unter intensivierter Beobachtung der Bafin. Das ist doch keine Werbung für die Branche.
Es ist wichtig festzuhalten, dass jede Kundin und jeder Kunde sich auf die garantierte Leistung seiner Lebensversicherung verlassen kann. Wir haben ausreichend Kapital, um alle bestehenden Verpflichtungen zu erfüllen.

Altbestände an Lebensversicherungen mit hohen Garantiezinsen sind eine Last für die Versicherer. Warum gibt es dennoch so wenige Verkäufe von Portfolios?
Das frage ich mich als ehemaliger Investmentbanker auch manchmal. Ich denke, dass viele Lebensversicherer schon eine umfassende Nutzen-Kosten-Analyse gemacht haben. Es sind aber komplexe Transaktionen, bei denen auch Aspekte wie die Reputation eine Rolle spielen. Wichtig für Kunden ist, dass die Lebensversicherer zu ihren Verpflichtungen stehen. 

Zurück zur Altersvorsorge in Deutschland. Muss sie nicht komplett neu gedacht werden?
Leider war die vergangene Legislaturperiode aus Sicht einer nachhaltigen Alterssicherungspolitik eine verlorene Zeit. Jetzt muss neu justiert werden. Zwei Beispiele: Wir hätten eine Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge benötigt. Das war Teil des vergangenen Koalitionsvertrags. Passiert ist nichts. Die Riester-Rente braucht dringend eine Reform. Sie ist reformbedürftig und reformfähig. Wir brauchen eine einfachere Förderung, die auch verstanden wird. 

Und zweitens?
Zweitens geht es mir um die gesetzliche Altersrente mit ihren vier Stellschrauben Rentenniveau, Beitragsniveau, Renteneintrittsalter und Steuerzuschuss. Um das System tragfähig zu machen, muss man an allen vier Stellschrauben drehen. Aber auch im Sondierungsprogramm hat man schon zwei der vier Stellschrauben komplett vom Tisch genommen. Somit bleiben nur Beiträge und Steuerzuschüsse übrig.

Das klingt so, als seien Sie schon im Vorfeld sehr enttäuscht von der neuen Regierung.
Ein Sondierungspapier ist ein Sondierungspapier, es hat nur zwölf Seiten. Aber ich hätte mir einen nach vorn gerichteten Vorschlag für die betriebliche Altersversorgung gewünscht. Das Grundsystem ist gut und richtig. Wir brauchen eine ordentliche Mischung aus Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rente und Kapitaldeckung durch private und betriebliche Vorsorge. Beim Anteil der Kapitaldeckung ist deutlich Luft nach oben.

Gerade Menschen mit niedrigen Einkommen fehlen oft die finanziellen Mittel für eine private Altersvorsorge. Dort wäre sie besonders nötig. Was müsste geschehen?
Wir sind offen für ein einfaches und günstiges Standardprodukt in der geförderten staatlichen Altersvorsorge. Die sinnvollste Neuerung in der vergangenen Legislaturperiode war die Einführung der Geringverdiener-Förderung, die aber dynamisiert werden müsste. Sie hat gerade für Leute mit einem Bruttolohn von unter 1500 Euro im Monat viel gebracht.

Noch ist offen, wie es mit der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge weitergeht. Quelle: dpa
Riester-Rente

Noch ist offen, wie es mit der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge weitergeht.

(Foto: dpa)

In der Realität ist die betriebliche Altersvorsorge jedoch weiter meist etwas für Menschen in der Verwaltung und für Facharbeiter.
Ich gebe Ihnen recht und karikiere das mal: Bisher haben Männer im Alter von 55 Jahren in Großunternehmen eine betriebliche Altersversorgung. Die Verbreitung muss sich verbessern.

Seit 2018 gibt es das sogenannte Sozialpartnermodell. Trotzdem wird die daraus entsprungene Nahles-Rente noch in keinem Unternehmen umgesetzt. Ist dieses Modell tot, noch ehe es gelebt hat?
Den Eindruck halte ich für falsch. Die ersten Modelle stehen vor dem Start. Alle Beteiligten hätten sich aber eine schnellere Umsetzung gewünscht, auch ich. Ich würde dafür werben, dass wir die betriebliche Altersversorgung auch in kleinen und mittelgroßen Unternehmen verbreiten. 

Welche weiteren Verbesserungen sind nötig?
Das Thema Portabilität, also die Mitnahmemöglichkeit der Betriebsrentenverträge bei einem Arbeitgeberwechsel, gewinnt an Bedeutung. Wir haben heute andere Erwerbsbiografien als noch vor 30 oder 40 Jahren.

Sollte das Sozialpartnermodell auch für Unternehmen ohne Tarifbindung möglich sein, damit vermehrt Geringverdiener davon profitieren?
Politisch war es explizit so gewollt. Man wollte die Tarifautonomie stärken.

Auffällig ist nach wie vor die Versorgungslücke bei Frauen. Was müsste sich hier ändern?
Hier ist der Ansatzpunkt der Arbeitsmarkt. Frauen sind heute immer noch in geringerem Umfang erwerbstätig als Männer und verdienen im Durchschnitt weniger. Das macht sich bei der Rente bemerkbar. Es gab noch keine Generation von Frauen, die so gut ausgebildet war. Das muss sich dann auch im Gehalt und den Möglichkeiten der Altersvorsorge niederschlagen.

Spezielle Modelle für Frauen brauchen wir also nicht?
Nein. Gleiche Erfolge im Arbeitsmarkt bedeuten auch eine Gleichstellung bei der Altersvorsorge.

Das Thema Altersvorsorge ist komplex. Viele Menschen setzen sich nicht gern damit auseinander. Wie kann man das ändern?
Wir müssen die Finanzbildung insgesamt verbessern, auch wenn das banal klingt. Ein Schritt nach vorn ist auch die in der letzten Legislaturperiode beschlossene digitale Renteninformation, in der die Menschen ihre Rentenansprüche und ihre Rentenlücke auf einen Blick haben. Stand heute soll sie in zwölf Monaten in den Probebetrieb gehen.

Dem GDV zufolge können sich Versicherte auf die garantierten Leistungen aus ihrer Lebenspolice verlassen. Quelle: imago/imagebroker
Altersvorsorge

Dem GDV zufolge können sich Versicherte auf die garantierten Leistungen aus ihrer Lebenspolice verlassen.

(Foto: imago/imagebroker)

Wie soll Deutschland in vier Jahren aussehen?
Ich hoffe, dass wir eine umfassende Reform der Altersvorsorge bekommen, die das gesamte System nachhaltiger macht. Die nächsten zehn bis zwanzig Jahre werden demografisch deutlich schwieriger als die letzten zehn bis zwanzig Jahre. Schon heute sind von 83 Millionen Menschen in Deutschland 21 Millionen im Rentenalter. Dieses nachhaltige System besteht aus allen drei Säulen. Die gesetzliche Umlage bleibt für viele Menschen der zentrale Pfeiler. Daneben haben wir hoffentlich eine weit verbreitete betriebliche Altersversorgung. Dazu gibt es die geförderte private Vorsorge, für jede und jeden, der noch selbst spart. Wenn man sich rund um den Globus verschiedene Länder anschaut, sind immer Mischsysteme langfristig die erfolgreichsten.

Wer ist das beste Vorbild im Ausland?
Altersvorsorgesysteme sind immer sehr stark in der institutionellen Historie eines Landes verankert. Deshalb ist es unmöglich, ein einzelnes Land als Vorbild hervorzuheben. Manche führen Schweden an, andere die Niederlande oder Österreich. Vor 20 Jahren gab es auch viel Literatur zu Chile. Das unterliegt auch gewissen Moden.

Noch eine persönliche Frage: Sie waren lange im politischen Tagesgeschehen tätig. Würde es Sie reizen, da auch mal wieder mitzumischen?
In meinem Alter macht man nur noch das, was einem Spaß macht. Und mein Job beim GDV macht mir Spaß.

In Frankfurt gibt es bei der Bundesbank aber auch gerade eine interessante Stelle.
Eines habe ich in der Politik gelernt: Bleibe am besten immer bei der ersten Antwort.
Herr Asmussen, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Neugeschäft bei Lebensversicherern läuft wieder besser

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