Munich Re Zeitenwende in München

Mit einem einfachen „Weiter so“ wird der neue Chef den Konzern nicht durch die kommenden Jahre führen können.
Es waren vollmundige Worte, die Nikolaus von Bomhard wählte. „Wir wollen der weltweit profitabelste Rückversicherer sein“, gab der Vorstandschef des weltgrößten Rückversicherers Munich Re im Jahr 2007 als Zielgröße für den Konzern aus, als er das Wachstumsprogramm „Changing Gear“ präsentierte.
Es war ein Versprechen, das von Bomhard nicht ganz gehalten hat. Mehr als eine Dekade führte der Topmanager mit der runden Brille und der hohen Stirn den Assekuranzriesen zwar erfolgreich. Anders als die lange gefeierten Rivalen AIG und Swiss Re brachte er die Münchener ohne Schrammen durch die Finanzkrise und übergibt beim Stabwechsel Ende April ein gesundes Unternehmen. Doch völlig ohne Fehl und Tadel ist die Bilanz des Edelmannes nicht, wenn er nach der Hauptversammlung am Mittwoch an seinen Nachfolger Joachim Wenning übergibt.
Für die neue Nummer eins, ein Eigengewächs des Konzerns, bedeutet dies: Mit einem bloßen Weiter-so wird er den Konzern nicht durch die kommenden Jahre führen können. Das Vermächtnis, das von Bomhard überlässt, ist kein Ruhekissen, auch wenn die Munich Re alles andere als ein Krisenfall ist.
Falls Wenning dafür noch einen Fingerzeig brauchte, liefert ihn spätestens der Ärger vor der Hauptversammlung. In letzter Minute musste der Konzern seine Vorlage für eine mögliche Kapitalerhöhung auf Druck der Großinvestoren revidieren, um eine Abstimmungsniederlage zu vermeiden.

Vor einem schwierigen Weg.
Der Vorgang ist nicht nur eine ungewöhnliche Blöße. Er ist auch ein deutliches Signal, dass das Verhältnis zwischen Investoren und Management kritischer geworden ist. Die Zeiten sind vorbei, in denen die großen Fondsgesellschaften Anträge einfach durchwinkten. Die jüngste Erfahrung von Bayer und Monsanto, deren Fusion ohne Plazet der Anleger möglich war, hat viele Aktionäre bei Blankoschecks für Kapitalmaßnahmen vorsichtiger gemacht – und das ist keine schlechte Entwicklung. So fällt auch der geplante Vergütungsplan der Munich Re bei wichtigen institutionellen Anlegern wegen mangelnder Transparenz durch.
Für Wenning steckt im Widerstand der Anleger eine wichtige Lektion: Er muss den Konzern in Teilen neu denken. Wohin die Reise gehen soll, haben wichtige Investoren bereits klargemacht. Der neue Boss wird sich stärker um eine neue Wachstumsstory für den Konzern bemühen und stärker als sein Vorgänger auf die Kosten achten müssen. Das hört natürlich niemand gern in München, aber noch trägt der Konzern einen Wohlstandsbauch vor sich her. Auch wenn das Firmenmantra in München Kontinuität lautet, darf der neue Mann an der Spitze für die Ausrichtung des Konzerns nicht allein auf Altbewährtes setzen, sondern sollte mit frischem Blick auf sein Unternehmen schauen sowie neue Geschäftsfelder ausmachen, die das bieten, was der Munich Re so fehlt: Wachstum.
Einfach wird dieser Weg nicht. Davon zeugte gerade die Auflösung des erst 2008 unter großem Tamtam gegründeten Gesundheitsbereichs Munich Health. Wenning muss sich aber nicht nur nach außen als vorsichtiger Reformer profilieren. Mindestens ebenso wichtig wird sein, den Wandel intern zu vermitteln. Denn die Erkenntnis am grünen Tisch ist das eine, die gefühlte Wirklichkeit etwas anderes.
Das Problem des neuen Chefs ist, dass es seinem Unternehmen im Kern noch immer so gut geht, dass eigentlich alles gegen Veränderungen spricht. Rekorddividenden und milliardenschwere Gewinne suggerieren ein Bild, das mit Krise wenig zu tun hat. Doch die ordentlichen Geschäftszahlen der Branche dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Assekuranzen mitten in einem Transformationsprozess stecken, dessen Ende nicht absehbar ist. Eine Lektion, die andere Branchen und Unternehmen wie der Industrieriese Siemens bereits lernen mussten. Doch die vergleichsweise wohlbehütete Versicherungsbranche steht noch am Anfang dieses schwierigen Lernprozesses.
Mindestens ebenso wichtig für Wenning wird es darum sein, die Botschaft von der notwendigen Veränderung auch nach innen zu vermitteln. Gerade ein Seitenblick auf den Münchener Rivalen Allianz und den internen Widerstand, mit dem dort Vorstandschef Oliver Bäte zu kämpfen hat, dürfte dem Eigengewächs Wenning klarmachen, dass diese Aufgabe keineswegs trivial ist. Es ist eine Sache, einem kränkelnden Unternehmen eine Rosskur zu verpassen. Eine augenscheinlich gesunde Firma auf eine Zeitenwende vorzubereiten ist dagegen eine deutlich schwierigere Aufgabe. Doch auch die Munich Re kann sich vor dem Umbruch, den der digitale Fortschritt bringt, nicht verstecken. Die größte Bedrohung für den konservativen Giganten besteht nicht darin, Altbewährtes infrage zu stellen, sondern darin, den Wandel komplett zu verschlafen. Die Börse – Aktionäre wie Investoren – wird Wenning daran messen, ob ihm diese Überzeugungsarbeit gelingt.
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