Run-off-Geschäft bei Lebensversicherungen Der Reiz der Resterampe

Für viele Versicherer verlieren die alten Lebens-Policen an Attraktivität.
Frankfurt Es ist ein Verdikt, das Bände spricht. Die Allianz werde die klassischen Lebensversicherungen angesichts des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes nicht mehr „aktiv“ vertreiben, sondern nur noch auf Wunsch von Kunden verkaufen – und gegebenenfalls sogar von dem Produkt abraten, gab der Vorstandsvorsitzende der Lebensversicherungs-Sparte Allianz Leben, Markus Faulhaber, im vergangenen Herbst als neue Losung aus. Die Botschaft dahinter ist klar: Für viele Versicherer sind die alten Policen im Schatten der Niedrigzinsen zum Ballast geworden – von denen einige sich gerne trennen möchten.
Die Verlockung der Resterampe. Was für die großen Versicherer zunehmend zur Last wird, ist für einige Spezialfirmen ein interessantes Betätigungsfeld. Sie wittern ein großes Geschäft. „In den kommenden fünf Jahren wollen wir Kapitalanlagen von rund 30 bis 40 Milliarden Euro übernehmen“, sagte Bernd Neumann, Vorstand der Konsolidierungsplattform Frankfurter Leben dem Handelsblatt. Die Firma hat sich auf den sogenannten Run-Off von Lebensversicherungen spezialisiert. Dabei werden keine neuen Verträge mehr gemacht, bestehende aber fortgeführt.
Für Arag-Vorstandschef Paul-Otto Faßbender ist das mehr als graue Theorie. Erst vor wenigen Tagen gab der Düsseldorfer Versicherer 92 Prozent seiner Sparte Lebensversicherung an die Frankfurter Leben ab, die damit die Verwaltung von 322.000 Versicherungsverträgen übernimmt. „Die Verträge werden exakt fortgeführt, Überschussbeteiligungen sind durch den Verkauf nicht betroffen“, betonte Neumann. Das Geschäft mit dem Run-Off gewinnt damit an Fahrt. Denn auch der neue Chef des Großversicherers Ergo, Markus Rieß, will mehr als sechs Millionen Verträge mit starren Garantiezusagen abwickeln – allerdings intern.
In Deutschland ist ein solcher Abschied von den Lebens-Policen ein vergleichsweise neuer Trend. Für die Versicherten ändert sich dabei grundsätzlich nichts. Ihre Policen verschwinden nicht – und die neuen Käufer übernehmen die alten Verpflichtungen, was von der Finanzaufsicht Bafin genau kontrolliert wird. So muss der Arag-Deal noch von den Finanzwächtern abgesegnet werden. Aber der Wunsch vieler Versicherer, für das frühere Vorzeigeobjekt neue Lösungen zu finden, ist unübersehbar.
Vom Auslaufmodell zum Reizobjekt: Das Geschäft mit Run-Off-Plattformen wird zulegen, prognostiziert Dirk Spenner, der für den britischen Versicherungsmakler Willis Re das Geschäft in Nord-, Ost- und Zentraleuropa führt. Denn was für Deutschland relativ neu erscheint, ist in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien bereits seit längerem Praxis. Was aber können die Spezialisten besser? „Run-Off-Plattformen bieten Kostenvorteile“, betonte Spenner. „Eine gute Plattform hat ein sehr gutes EDV-System und kann sehr viel agiler die Bestände bewirtschaften.“ Es sei vor allem der Mengenvorteil, der die Spezialisten interessant mache.
Die Nische lockt inzwischen auch etablierte Konzerne an. So wirft der Schweizer Rückversicherer Swiss Re bereits ein Auge auf den Kauf von Lebensversicherungs-Portfolios zur Abwicklung. Swiss Re spreche mit einer Reihe von Verkäufern, sagte Finanzchef David Cole jüngst am Rande des Branchentreffens in Monte Carlo. Der Konzern hatte vor einem Jahr die Firma Guardian Financial Services übernommen, die in Großbritannien und Irland rund 900 000 Lebensversicherungs- und Rentenpolicen verwaltet.
Es ist ein Geschäft, das die Deutschen aber nicht mehr allein der ausländischen Konkurrenz überlassen wollen. So haben sich neben der Frankfurter Leben, die der BHF Bank sowie dem chinesischen Investor Fosun gehört, auch die Viridium Gruppe, die bisher unter dem Namen Heidelberger Leben lief, bereits in Stellung gebracht. Die ehemalige MLP Leben und die Skandia Leben gingen bereits in dem Unternehmen auf, hinter der der britische Finanzinvestor Cinven und die Hannover Rück stehen. Nun steht die Firma kurz davor, die rund 100.000 Lebensversicherungsverträgen der ehemaligen Mannheimer Leben von der Auffanggesellschaft Protektor zu übernehmen. Noch haben viele Versicherer zwar Angst, den Kontakt zum Kunden mit einem Verkauf zu kappen. Deshalb hat sich nicht nur die Ergo zunächst dafür entschieden, die Altbestände innerhalb des Konzerns zu betreuen. Auch Generali, Talanx und Zurich verkaufen keine klassischen Policen mit garantierten Zinsen mehr, sondern wickeln die bisherigen Verträge nur noch intern ab. Doch die Furcht vor dem Verkauf schwindet im Schatten der Niedrigzinsen allmählich.
Verbraucherschützer sehen den neuen Trend bislang noch skeptisch. Sie haben grundsätzliche Bedenken gegenüber solchen Policen-Endlagern. „Der Kunde wird zur Ware“, warnte Axel Kleinlein, Vorstand des Bunds der Versicherten. Zudem fehlt aus seiner Sicht der Zwang, die Versicherten mehr als nötig an den laufenden Überschüssen zu beteiligen. Der Grund ist das fehlende Neugeschäft. Die Plattformen sind überhaupt nicht darauf aus, neue Kunden anzulocken – und müssen deshalb auch nicht mit hohen Ausschüttungen für sich werben.
Versicherungsexperte Hermann Weinmann von der Hochschule Ludwigshafen am Rhein sieht vor allem die Finanzaufsicht Bafin in der Pflicht darüber zu wachen, dass Lebensversicherte von dem Policen-Abwicklern nicht benachteiligt werden. Seine Mahnung lautet: „Wenn die Abwickler-Kunden ‚mies‘ behandelt werden, dann müssen die Alarmglocken schrillen.“
Doch den Trend zu Auslagerungen werden auch die Zweifel der Verbraucherschützer nicht stoppen. „Wer von einer jahrelangen Ultraniedrigzinsphase ausgeht“, lautet das unmissverständliche Verdikt von Weinmann, „muss mit weiteren Run-offs rechnen.“
Der in einer vorherigen Version des Artikels in seiner Funktion als Leiter Vertrieb und Marketing der Viridium Gruppe zitierte Thomas Klein hat das Unternehmen verlassen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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