Sex-Party von Ergo Bitte keinen Prozess!

Ein Ausflug der Ergo-Versicherung nach Budapest endete mit einem handfesten Sexskandal. Der soll nun juristisch aufgearbeitet werden.
Düsseldorf Der Versicherungskonzern Ergo hat bei der Aufarbeitung seiner berüchtigten Budapest-Reise offenbar seine Strategie geändert. In vier Wochen sollen sich vor dem Landgericht Hamburg zwei Männer verantworten, die 2007 eine rauschende Sex-Party in der historischen Gellert-Therme organisierten. Die Anklage lautet auf schwere Untreue und Beihilfe zur Untreue. Jetzt zeigen Recherchen des Handelsblatts: Das Unternehmen, das 2011 selbst Anzeige wegen der Exzesse stellte, will von einem Prozess mittlerweile nichts mehr wissen.
„Aus Sicht der Ergo ist kein im Jahr 2016 noch ins Gewicht fallender kompensationsfähiger Schaden im Strafverfahren zu berücksichtigen“, bestätigt Ergo-Sprecherin Uta Apel. Ziel der Anzeige sei lediglich gewesen, „den Sachverhalt strafrechtlich würdigen zu lassen. Der hauptsächlich entstandene Reputationsschaden ist schwerlich bezifferbar.“
Das sah der Konzern einmal ganz anders. „Der durch die Negativberichterstattung entstandene Rufschaden hat dazu geführt, dass die über 50 Millionen Euro teure Werbekampagne der Ergo (…) neutralisiert und entwertet wurde“, stand in der Strafanzeige vom 28. Juni 2011. „Die zur Aufklärung des Sachverhalts ‚Budapest-Reise‘ eingesetzten internen und externen Ressourcen haben darüber hinaus erhebliche Aufwendungen erforderlich gemacht.“
Die Ergo störte sich nicht nur an dem extremen Imageschaden der Reise, sondern auch an ihrer Abwicklung. „Aufwendungen für die Prostitutionsdienstleistungen in Höhe von 40.000 bis 50.000 Euro“ bedeuteten einen „Verstoß gegen die Einkaufs- und Vergaberichtlinie EVR 2004“.
Zum einen sei der Einkauf solcher Dienstleistung pflichtwidrig gewesen. Zum anderen hätten die Angezeigten weder verschiedene Angebote eingeholt, um das günstigste auszuwählen, noch seien diese Dienstleistungen klar gekennzeichnet gewesen. Deshalb sei „hinsichtlich der Aufwendungen für die Prostituierten ein Vermögensnachteil im Sinne des §266 StGB zu bejahen.“
Das Verfahren nahm schnell Fahrt auf. Hatte Ergo zunächst den ehemaligen Vertriebsvorstand der Hamburg-Mannheimer und deren ehemaligen Vertriebsdirektor angezeigt, dehnte die Staatsanwaltschaft Hamburg ihre Ermittlungen im Juli 2011 auf zwei weitere Männer aus.
Nun beschuldigte sie auch einen anderen Vertriebsdirektor sowie einen Handelsvertreter der Hamburg-Mannheimer. Nach einem Jahr, für Wirtschaftsverfahren relativ zügig, erhob die Staatsanwaltschaft gegen drei der Männer Anklage. Dann war Pause – drei Jahre lang.
Die Hamburger Justiz war überlastet und hatte dringlichere Fälle zu bearbeiten. Erst Mitte 2015 schaute sich das Landgericht das Verfahren näher an. Dann wuchsen die Zweifel.
Der Schriftverkehr zeigt, dass keiner der Beteiligten wusste, wie hoch der Schaden eigentlich war. Die Staatsanwaltschaft bezifferte ihn mit 52.000 Euro. Das ist juristisch knapp über der Schwelle, an der eine einfache Untreue zur schweren Untreue wird – und mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Nach Berechnungen des Gerichts könnte der Schaden auch nur die Hälfte gewesen sein – und eine exemplarische Kalkulation in der Vorverhandlung kam nur auf 17.000 Euro.
Seltsam auch: Den riesigen Imageschaden hatte Ergo seit 2011 nicht mehr angesprochen. Dabei beklagte der Konzern in seiner Strafanzeige neben der verpufften Werbekampagne noch „zahlreiche Kündigungen verärgerter Kunden“ und den Verlust des „bekannten Fußballtrainers Jürgen Klopp“ als Markenbotschafter. „Auf Wunsch kann eine Aufstellung der Kosten nachgereicht werden.“ Dann ließ Ergo das Thema fallen.
Trotzdem lebte das Verfahren auf. Ergo hatte das Gericht gebeten, den Konzern auf dem Laufenden zu halten. Im September 2015 kam die Nachricht: Ein Prozess könnte bald beginnen. Das gefiel dem Konzern dann aber nicht mehr. Gerade erst hatte Ergo einen Neuanfang versucht. Vorstandschef Torsten Oletzky war abgetreten, die Erinnerung an Himmelbetten, Armbändchen und Stempelkissen in Budapest begann zu verblassen. Die Nachricht, all diese unsäglichen Details 2016 in einem öffentlichen Verfahren wiederzufinden, machte den Versicherer nervös. Ließe sich kein anderer Weg finden?
Ergo versuchte es: „Das Thema Schaden wird seitens der Ergo für erledigt angesehen“, schrieb eine Ergo-Anwältin am 6. Oktober 2015 an die Staatsanwaltschaft. Eine „strafrechtliche Aufarbeitung dieses Sachverhaltes“ erscheine deshalb „nicht mehr sinnvoll“. „Vor diesem Hintergrund wäre ich Ihnen sehr zu Dank verbunden, die Frage der Verfahrenseinstellung gemäß §153a StPO außerhalb einer Hauptverhandlung nochmals zu überdenken.“
Doch Ergo wurde die Geister, die sie gerufen hatte, nicht mehr los. Zwar kann eine Staatsanwaltschaft gemäß Paragraf 153a der Strafprozessordnung „von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen“, wenn ein Beschuldigter eine Geldauflage zahlt. Doch der sogenannte Freispruch zweiter Klasse ist nur möglich, wenn alle Seiten zustimmen.
Die Staatsanwaltschaft war dazu sogar bereit. Das Umfallen der Ergo in Sachen Schaden machte ihre Arbeit schließlich nicht leichter. Doch von den Angeklagten ließ sich nur der ehemals ranghöchste Ergo-Manager auf einen Kompromiss ein. Im April 2016 zahlte der 56-jährige Vertriebsdirektor 12.500 Euro an die Staatskasse und konnte seinen Sommer ohne Gerichtstermine planen. Die beiden sechs und zehn Jahre jüngeren anderen Angeklagten weigerten sich, das Verfahren mit Geld zu beenden.
Das mussten sie auch nicht. „Wenn ein Verfahren eröffnet ist, dann hat der Angeklagte einen Anspruch auf ein Verfahren“, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. „Er hat ein Recht darauf, im Gerichtssaal seine Unschuld zu beweisen.“
So ist Ergo machtlos. Selbst wenn der Versicherungskonzern angibt, es gebe gar keinen Schaden, führt das nicht zu einem Abbruch des Verfahrens. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Geschädigter seine Meinung darüber ändert, ob er ein Verfahren möchte oder nicht“, erklärt Gerichtssprecher Wantzen. „Das Verfahren steht aber nicht zur Disposition.“