Übernahme von Altverträgen Finanzinvestoren greifen nach deutschen Lebensversicherungen

Großbritannien hat schlechte Erfahrungen mit dem Verkauf von Lebensversicherungs-Policen gemacht.
Frankfurt, London Der deutsche Markt für Lebensversicherungen steht vor einem Umbruch. Große Player wie Ergo und Generali wollen Millionen Policen loswerden, die im Niedrigzinsumfeld nicht mehr profitabel genug sind. Ausländische Finanzinvestoren wie Cinven aus Großbritannien oder Fosun aus China kaufen Altverträge auf, um mit besserem Management stabile Renditen zu erzielen. „Der deutsche Markt bietet aus dem Ausland gesehen viele Gelegenheiten“, sagt Ned Cazalet, ein auf Versicherungen spezialisierter Unternehmensberater.
Bei vielen Lebensversicherungskunden lösen die Übernahmen hingegen ein mulmiges Gefühl aus. Sie befürchten negative Auswirkungen bei Service, Kosten und Ertrag, sollte ihre Police tatsächlich den Besitzer wechseln. Als abschreckendes Beispiel wird oft Großbritannien genannt. Doch die Käufer der Altbestände versichern, dass sich die Fehler hierzulande nicht wiederholen werden.
Auf der Insel begann die Konsolidierung der Lebensversicherer anders als in Deutschland bereits vor zwanzig Jahren. Die Risikoaufschläge auf Anleihen waren stark gesunken, nachdem die Regierung die Bank of England im Jahr 1997 in die Unabhängigkeit entlassen hatte. Das traf die Gewinne der Versicherer empfindlich, sie konnten die hohen Garantiezinsen für die Policenhalter nicht mehr finanzieren. Zugleich wurden Zulassungsprüfungen für Versicherungsvertreter eingeführt, die Personalkosten stiegen. Das alte Geschäftsmodell mit den billigen Drückerkolonnen, die auf Kommissionsbasis Neuverträge heranschleppten, war am Ende.
Rund hundert Firmen verschwanden in den folgenden Jahren vom Markt. Sie stellten die Werbung um Neukunden ein und verwalteten nur noch den Altbestand. Der Selfmademan Clive Cowdery begann, diese aufzukaufen, und entwickelte ein neues Geschäftsmodell. Er hatte erkannt, dass man erhebliche Kosten und Steuern sparen konnte, wenn man nur genug Policen gemeinsam verwaltete. Mit diesen „Zombie-Fonds“ ließen sich auch im Niedrigzinsumfeld noch Gewinne machen. Diese Grundidee findet sich jetzt auch bei den Unternehmen, die in Deutschland Altbestände aufkaufen wollen, wieder.
„Cowdery war der Katalysator“, erklärt Berater Cazalet. Investoren wie Cowderys Firma Resolution, die Pearl Group und Chesnara trieben die Konsolidierung der Branche voran. In der Öffentlichkeit wurden die Übernahmeschlachten als „Zombie-Kriege“ bekannt. „Jeder konnte gefressen werden“, sagt Cazalet.
Teilweise wurden Bestände gekauft und Jahre später wieder mit hohem Gewinn verkauft. Cinven stieg 2011 in den britischen Markt ein. Für 275 Millionen Pfund kaufte die Private-Equity-Firma die traditionsreiche Guardian Life mit 500.000 Altverträgen. Vier Jahre später verkaufte die Gruppe das Geschäft für 1,6 Milliarden Pfund an Swiss Re. In Deutschland ist Cinven an der Viridium-Gruppe beteiligt, die mittlerweile die Bestände dreier kleinerer Versicherer übernommen hat.
Die Finanzinvestoren werben damit, dass sie Prozesse effizienter gestalten und die Kostenersparnis teilweise an die Kunden weitergeben. Doch häufig bedeuteten gerade in Großbritannien Eigentümerwechsel für die Versicherten nichts Gutes. Nach vielen Beschwerden startete die Finanzaufsicht FCA im Jahr 2014 eine Untersuchung. Geprüft wurden elf Firmen mit 9,4 Millionen Kunden, die ihre Lebensversicherung vor dem Jahr 2000 abgeschlossen hatten.
Die Aufseher fanden etliche Missstände. Manche Firmen hatten ihre Altkunden jahrelang nicht über den Stand ihrer Lebensversicherung informiert. In Mitteilungen wurde nicht genau ausgewiesen, welche Gebühren erhoben wurden. Manchem Unternehmen genügte ein Hinweis aufs Kleingedruckte. Anleger, die ihre Versicherung kündigen oder beitragsfrei stellen wollten, wurden mitunter nicht über die wahren Kosten informiert. Ein weiterer Trick war, eine deutlich höhere Inflationsrate aus der Vergangenheit zur Berechnung der jährlichen Gebührenanhebung zu benutzen. Auch bei der Überschussbeteiligung stellte die FCA Mängel fest: Eine Firma habe sich auf ihr „Bauchgefühl“ verlassen, um die Höhe der Auszahlung festzulegen.
Sensibilisierte Aufseher
Nach dieser Bestandsaufnahme leitete die FCA im vergangenen Jahr formelle Ermittlungen gegen sechs Versicherer ein: Prudential, Old Mutual, Police Mutual, die zu Chesnara gehörende Countrywide, Scottish Widows von der Lloyds-Bank und Abbey Life, damals noch im Besitz der Deutschen Bank und inzwischen übernommen von der Phoenix-Gruppe. Einige Firmen müssten Veränderungen vornehmen, die „erhebliche zusätzliche Kosten“ für ihre Prozesse verursachen würden, warnte die Aufsicht.
Die Ermittlungen gegen Police Mutual wurden gerade ergebnislos eingestellt, die restlichen Verfahren laufen noch. Die FCA betonte, man solle aus der Einstellung des einen Verfahrens keine Rückschlüsse auf die anderen ziehen. Chesnara beruhigte die Anleger, man erwarte keine wesentlichen Auswirkungen auf das Firmenergebnis.
Ob das Geschäft in Deutschland besser läuft, muss sich noch zeigen. Inzwischen seien die Aufseher stärker für das Thema sensibilisiert, sagt jedoch Berater Cazalet. Es sei nahezu unmöglich für einen Finanzinvestor, „irgendetwas zu tun, was dem Kunden schadet“. Auf seiner Seite hat er dabei Frank Grund, den Chef der Versicherungsaufsicht bei der Bafin. Seine Behörde entscheidet, ob ein Bestand übertragen werden darf oder nicht. „Wir werden die Belange der Versicherten wahren – nicht nur in finanzieller Hinsicht“, betonte er erst vor wenigen Tagen. Je größer die betreffenden Bestände seien, desto größer seien auch die Anforderungen an die übernehmende Gesellschaft.
Die Käufer der Altbestände in Deutschland versichern, aus den negativen Beispielen in Großbritannien gelernt zu haben. Die Versicherungsverträge würden mit unveränderten Garantien, Konditionen und Bedingungen fortgeführt, versprach Anja van Riesen, Vorstand bei der Fosun-Plattform Frankfurter Leben, nach der Übernahme der Bestände des Versicherers ARAG. „Das A und O in der Altersvorsorge ist, dass das, was zugesagt wurde, bis zum Ende erfüllt wird“, sagte Heinz-Peter Roß, Chef der Viridium-Gruppe, gerade im Handelsblatt-Interview. Man wolle das Vertrauen der Kunden nicht verlieren, Verbraucherschutz spiele hierzulande vollkommen zu Recht eine sehr große Rolle.
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