Versicherer HDI bemüht sich um gesunde Weiterentwicklung

Aktuell arbeiten sie in Hannover an vielen Schnittstellen.
München Der Erstversicherer HDI steht vor gewaltigen Herausforderungen: Die Digitalisierung verändert die Branche radikal, dazu könnten Tech-Giganten wie Amazon oder Google in den Markt eintreten. Vorstandsmitglied Christoph Wetzel, der bei der Talanx-Tochter die Sach-, Haftpflicht-, Unfall- und Kfz-Versicherung verantwortet, blickt trotzdem positiv in die Zukunft: „Auf dem Weg der Veränderung würde ich HDI derzeit auf einer Skala von eins bis zehn bei sieben bis acht einstufen.“
In den jüngsten Zahlen der HDI-Mutter Talanx dürfte sich Wetzel bestätigt sehen. Dort läuft im mittlerweile sechsten Jahr das Wachstums- und Effizienzprogramm KuRS für das deutsche Privat- und Firmenkundengeschäft – mit Erfolg: Am vergangenen Donnerstag meldete Talanx ein vorläufiges Rekordergebnis von 923 Millionen Euro für das abgelaufene Jahr.
Ein Plus von 30 Prozent gegenüber 2018. Dabei legte auch der Ergebnisanteil der HDI zu, heißt es. Konkrete Zahlen soll es mit dem endgültigen Ergebnis am 16. März geben. Deutschlands Nummer drei unter den Versicherern sieht sich aber noch lange nicht am Ende seines Weges.
Gerade weil die Digitalisierung mittlerweile in alle Ebenen des Konzerns Einzug hält und die Branche immer mehr auf branchenübergreifende Plattformen und Ökosysteme setzt. Beispiele finden sich vor allem in China, wo Versicherungen für Kunden Teil eines Rundumservice sind, vom Handyvertrag über Mobilität und Reisen bis zum Lieferservice für Lebensmittel.
Aktuell arbeiten sie in Hannover an vielen Schnittstellen: Altsysteme werden abgestellt – zuletzt wurden zum Jahreswechsel rund 1,5 Millionen Kundenverträge auf deutlich leistungsstärkere Systeme überführt. In der Schadenbearbeitung sowie bei Regressansprüchen kommt dazu Künstliche Intelligenz zum Einsatz. Dabei wird mit jungen Versicherungs-Start-ups, sogenannten Insurtechs, ebenso kooperiert und zusammengearbeitet wie mit etablierten Mittelständlern.
Veränderte Arbeitsprozesse
Durch diese Entwicklung ist absehbar, dass die Zukunft der Branche anders aussehen wird als die Gegenwart. Christian Mylius, Partner beim Berater EY Innovalue, mahnt zur Eile: „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sich Versicherer – aber auch Broker und Finanzvertriebe – schnellstmöglich noch kundenzentrierter aufstellen und Kundenbedürfnisse in Vertriebs-, Produkt- und Pricingstrategie erfüllen.“
Bei HDI versuchen sie, solche Forderungen in konkreten Aufgabenstellungen aus der Praxis umzusetzen. Beispielsweise bei den rund sechs Millionen Texten und Schriftstücken, die jedes Jahr im Bereich Schaden anfallen. „Hier probieren wir im Moment sehr viel aus“, so Christoph Wetzel. Bisher geschieht vieles noch manuell durch Mitarbeiter – obwohl sich etliche Prozesse stetig wiederholen oder ähneln.
Forscher der Oxford Martin School hatten deswegen schon vor wenigen Jahren eine Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent errechnet, dass Risikoprüfer einer Versicherung in Zukunft durch eine Maschine ersetzt werden. Solche Extremszenarios erwartet HDI-Vorstand Wetzel für sein Haus nicht. Dennoch arbeiten die Hannoveraner verstärkt mit Künstlicher Intelligenz, beispielsweise auf dem Feld Glasbruch. Hier ist der Sachverhalt - zum Beispiel bei einer gebrochenen Scheibe - meist offensichtlich.
Werden Prozesse in der Abwicklung standardisiert, kommen Kunden in der Regel schneller an ihr Geld. Noch nicht ganz so ausgereift sind die Systeme bei komplexen Sachverhalten. „Risikobewertung braucht zwar nur wenige, dafür aber die richtigen Informationen“, sagt Christoph Wetzel.
Insofern könne es zwar sein, dass bei den rund 300.000 Kfz-Schäden, die jedes Jahr bei HDI auflaufen, etliches standardisiert werden kann. Allerdings deckt sich die Auffassung des Kunden nicht immer mit der des Versicherers. Dann muss ein Mitarbeiter noch mal im Detail prüfen, wie ein Schaden zu werten ist.
Wieder verabschiedet hat sich die HDI-Gruppe dagegen von sogenannten Telematik-Tarifen in der Kfz-Versicherung. Zu gering war das Kundeninteresse an Policen, die Fahrstil, Strecke, Geschwindigkeit und andere Faktoren in die Berechnung des Versicherungsbeitrags einfließen ließen. Und zu teuer kam HDI die technische Ausstattung über einen so genannten Dongle, also einen Kopierschutzstecker, der die Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Versicherer herstellt.
30 bis 50 Euro kosten die kleinen Stecker, die die Assekuranzen ihren Kunden bei den entsprechenden Tarifen zur Verfügung stellen. Auch eine App-basierte Lösung war zu teuer und fand wenig Kundeninteresse. „Entscheidend ist, dass es hier künftig kostengünstige Geräte gibt“, blickt Christoph Wetzel nach vorne. Dann würde der Versicherer noch einmal über das Thema nachdenken.
Öffnung zu anderen Branchen
Aus diesem Grund hat die HDI-Gruppe auch Teile der IT mit den Fachebenen zusammengelegt. 250 Datenanalysten beschäftigt Talanx im Moment, vor allem in Fragen von Pricing, Betrugs- und Schadenmanagement. Tendenz stark steigend. Zusammengearbeitet wird allerdings in kleineren Gruppen als vorher, weil die Anforderungen spezifischer werden. Zudem müssten Produkte schneller in Serienreife gebracht werden, heißt es.
Hinzu kommt die generelle Öffnung hin zu anderen Branchen. Versicherer verstehen sich nicht mehr allein als Anbieter von Schutz und Absicherung, sondern suchen verstärkt die Zusammenarbeit. Das gilt speziell bei Produkten und Services auf sogenannten Plattformen oder in Ökosystemen: Dann wird beispielsweise beim Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung ein Versicherungs- und Servicepaket mit angeboten.
HDI arbeitet hier inzwischen mit dem Heizungsbauer Viessmann, mit der Plattform Immobilienscout oder dem Portal Gewerbefuchs zusammen. Auf der IAA im Herbst wurde zudem die langjährige Partnerschaft mit der Mercedes Benz-Bank verlängert. Hier ist die HDI weiter als etliche Wettbewerber. „Jeder vierte hat diese Kanäle noch immer nicht in sein Vertriebsmodell integriert“, heißt es in einer Umfrage von EY Innovalue.
An einen generellen Wandel hin zum rein digitalen Kunden glaubt Christoph Wetzel nicht. Er ist überzeugt: „Den digitalen Kunden als solchen gibt es gar nicht.“ Als Beispiel dafür wertet er das Direktgeschäft via Internet in der Sparte Kfz-Versicherung. Hier stagniert der Anteil am Gesamtmarkt in der Branche seit Jahren bei rund 20 Prozent.
Sehr viel größer ist Wetzels Respekt vor Tech-Giganten wie Amazon. Ihnen wird nachgesagt, dass sie bereits seit geraumer Zeit Marktmodelle im Versicherungssegment testen. Noch fürchtet laut EY-Innovalue-Umfragen nur jeder fünfte Versicherer mögliche Marktaktivitäten der finanzkräftigen Technologiekonzerne. Christoph Wetzel sieht das anders: „Sollten Tech-Riesen wie Amazon an den Versicherungsmarkt gehen, wird das der etablierten Branche wehtun.“
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