Versicherungen Nach der Mega-Finanzierungsrunde von Wefox: Wer wird das nächste Einhorn im Versicherungsmarkt?

Das Scale-up wurde bei der jüngsten Finanzierungsrunde mit drei Milliarden Dollar bewertet.
Frankfurt Vor wenigen Jahren war hierzulande undenkbar, dass eine junge digitale Versicherungsfirma mehrere Hundert Millionen Dollar bei internationalen Investoren einsammeln könnte. Doch seit der Mega-Finanzierungsrunde von Wefox im Juni ist klar: Insurtechs haben sich als eine feste Größe in der Versicherungsindustrie etabliert. Und trotz Corona-Pandemie scheint jetzt fast alles möglich: „Nach einer kurzen Verschnaufpause Mitte 2020 sind die Investoren aktiver als zuvor„, sagt Nikolai Dördrechter, Co-Autor des aktuellen Insurtech-Radars, einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman und dem Online-Versicherungsvermittler Policendirekt.
Wefox ist allerdings bislang das einzige Insurtech im deutschsprachigen Raum, das sich „Einhorn“ nennen darf – ein Unternehmen also mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar. Das zweite Einhorn scheine aber nur eine Frage der Zeit zu sein, so Dördrechter: „Wir sehen aus dem Kreis der Scale-ups eine Reihe von Anwärtern, die bei ihren nächsten Finanzierungsrunden in die Nähe einer Milliardenbewertung kommen könnten.“
Scale-ups haben im Gegensatz zu Start-ups bereits eine gewisse Marktreife erreicht. Von den rund 210 Insurtechs ist dies der Studie zufolge bei 30 Unternehmen der Fall. Dazu zählen die Neoversicherer Friday, Getsafe und Neodigital, die Anbieter von digitalen Versicherungslösungen Simplesurance und Element, die Vertriebsplattformen Finlex und Thinksurance, die Vorsorgeplattform Xempus und der Versicherungsmanager Clark. Letzterer wird in der Branche als ein möglicher künftiger Einhorn-Kandidat gehandelt.
Junge Versicherer setzen auf anspruchsvollere Technologien
Dass weitere Insurtechs in Richtung Milliardenbewertung marschieren, liegt auch daran, dass sie ausgefeiltere Technologien nutzen und sich auch mit komplexeren Geschäftsmodellen behaupten. Dietmar Kottmann, Partner bei Oliver Wyman und Co-Autor des Insurtech-Radars, sagt: „Seit unserer ersten Studie im Jahr 2016 hat sich die deutschsprachige Insurtech-Szene komplett verändert.“
Zunächst habe man viele E-Commerce-Experten gesehen, die auch etwas mit Versicherungen ausprobieren wollten. Daher habe es am Anfang ein starkes Übergewicht an reinen Vertriebsmodellen gegeben. „Inzwischen beobachten wir auch viele Technologiefirmen, die digitale Versicherungen anbieten oder betriebliche Prozesse digitalisieren.“
Die Coronakrise hat die Entwicklung vieler Insurtechs beschleunigt. Besonders stark zulegen konnten Insurtechs, die sich auf Geschäftskunden fokussieren. „Dies ist eine deutliche Indikation, dass Versicherer eine erhöhte Nachfrage nach digitalen Lösungen verzeichnen und verstärkt Lösungsangebote von Insurtechs nutzen“, stellt Kottmann fest.
Kooperationen zwischen Versicherern und Start-ups dürften daher zunehmen. Auch weitere Übernahmen von Insurtechs durch Versicherer sind denkbar.
Neoversicherer sind Testfeld für etablierte Konzerne
Weiter gewachsen ist zuletzt die Zahl der Insurtechs, die digitale Versicherungsangebote machen. Insgesamt 69 Firmen und damit ein Drittel aller Insurtechs im deutschsprachigen Raum sind in diesem Segment aktiv. Die Studie schätzt das strategische Potenzial insbesondere für die Neoversicherer als hoch ein.
Der Wettbewerb ist es allerdings auch. Zahlreiche Versicherungskonzerne mischen hier mit Tochtergesellschaften mit: Alteos gehört zu Axa, Friday zur Baloise Group, Nexible zu Ergo und Adam Riese zur W&W-Gruppe.
„Die Versicherer haben früh erkannt, wie gut sich Neobanken wie N26 entwickeln, und haben mit der Gründung eigener Neoversicherer darauf reagiert“, sagt Friday-Chef Christoph Samwer. Für Friday sei die Baloise als starker Partner im Hintergrund hilfreich gewesen, um eine Versicherungslizenz in Luxemburg zu erhalten. Denn die regulatorischen Hürden zur Gründung eines Versicherers sind hoch.
Die Start-up-Töchter der Versicherer agieren weitgehend unabhängig. „Wir fürchten aber, dass sich das ändern könnte, je erfolgreicher die Start-ups werden“, sagt Dördrechter. Sobald die Versicherer diese als Konkurrenten ansehen oder von ihnen Know-how abgreifen wollen, könnte es passieren, dass die Neoversicherer stärker an die Konzerne angebunden werden. Das würde die Weiterentwicklung der Start-ups ausbremsen, meint der Insurtech-Experte.
Alteos-Geschäftsführer Sebastian Sieglerschmidt sieht das anders. Auch eine nähere Zusammenarbeit könne sehr fruchtbar sein. Und die gegenseitige Konkurrenz sei eine grundsätzliche strategische Entscheidung: „Unternehmen wie Volkswagen oder Media-Saturn fahren schon viele Jahre sehr erfolgreich mit einer Mehrmarkenstrategie.“
Parametrische Versicherungen gelten als wichtiges Zukunftsfeld
Was aus Sicht der Studienautoren jedoch fehlt, sind Neoversicherer, die echte digitale Produktinnovationen bieten. „Es gäbe ein großes Potenzial für Start-ups, die Versicherungsangebote machen, die durch die zunehmende Vernetzung mobiler Geräte erst möglich werden“, sagt Dördrechter.
Als Beispiel nennt er parametrische Versicherungen, die zahlen, sobald ein konkretes Ereignis eintritt. Die Auszahlung erfolgt unabhängig vom tatsächlichen Schaden.
Erste Produkte in diesem Bereich bietet Wetterheld: Bei der Wetterversicherung, die das Start-up gemeinsam mit Element und dem Deutschen Wetterdienst aufgelegt hat, basiert die Auszahlung auf Wetterdaten. Absichern können sich Landwirte gegen Dürre, Veranstalter gegen Regen oder Skigebiete gegen Schneemangel.

Der Leiter des operativen Geschäfts von Element sieht große Wachstumschancen bei parametrischen Versicherungen.
Eric Schuh, der das operative Geschäft von Element leitet, rechnet bei parametrischen Versicherungslösungen mit „massiven“ Wachstumsraten: „Damit könnten Deckungen möglich werden, die bis dato nicht existieren, weil eine Schadenbearbeitung viel zu aufwendig wäre.“
Bei der Digitalisierung des Versicherungsbetriebs hinken deutsche Start-ups hinterher
Auch die Digitalisierung des Versicherungsbetriebs ist ein Dauerthema in der Branche. Insurtechs bieten Lösungen, um Risiken besser zu erkennen, Schadenprozesse zu unterstützen und Vertrieben digitale Angebote zu machen. 84 Firmen und damit 40 Prozent aller Insurtechs im deutschsprachigen Raum konzentrieren sich hierauf.
Kottmann beobachtet jedoch gewaltige Unterschiede: „In der Schweiz gibt es überproportional viele innovative Firmen, die Versicherern helfen, ihre Geschäftsprozesse technologiegetrieben zu optimieren.“ In Deutschland sehe er dagegen Aufholpotenzial, vor allem wenn es um Plattformmodelle geht.

Bei der Schadenregulierung durch den Versicherer lassen sich viele Prozesse digitalisieren.
Ein gutes Plattformmodell im Bereich Schadenmanagement bietet laut Kottmann beispielsweise das Schweizer Insurtech Jarowa, das verschiedene Spieler wie Versicherer, Reparaturwerkstätten und Rechtsanwälte zusammenbringt.
Vertriebsmodelle sind inzwischen weniger dominant
Waren 2016 noch zwei Drittel aller Insurtechs mit einem Vertriebsgeschäftsmodell am Markt, sind es jetzt noch 27 Prozent. Großes Potenzial sieht der Insurtech-Radar bei Vertriebsplattformen wie Finlex, Thinksurance und Wefox. Firmen wie Xempus, die Mitarbeitern von Unternehmen Versicherungs- und Altersvorsorgeprodukte bieten, gelten ebenfalls als aussichtsreich.
Ursprünglich gab es auch diverse digitale Versicherungsmakler unter den Start-ups. Doch der Wettbewerbsdruck durch klassische Vertriebe ist hoch. Nur das Insurtech Clark, das heute über 400.000 Kunden hat, konnte sich durchsetzen. Neben Deutschland ist Clark in Österreich aktiv.

Noch konzentrieren sich die Insurtech-Unternehmen bei der Internationalisierung auf Europa.
Auch andere Insurtechs arbeiten an der Internationalisierung: Wefox brachte seinen Versicherer in die Schweiz und nach Polen, Italien ist als Nächstes geplant. Friday und Thinksurance starteten in Frankreich. Getsafe ist in Großbritannien tätig. Klar ist: Je mehr die Insurtechs den Einhorn-Status im Blick haben, desto stärker werden sie gezwungen sein, ins Ausland zu expandieren.
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