Coaching In der Krise dazulernen

Hamburg Jonas Keller hätte nicht gedacht, dass seine Ideen so schnell realisiert werden. Seit einigen Jahren zeigt der Coach und Geschäftsführer der Agentur Explain Unternehmern, darunter viele Manager und Finanzberater, wie sie ihre interne und externe Kommunikation mithilfe digitaler Kanäle optimieren können. „Immer wieder habe ich vorgeschlagen, Online-Meetings und Online-Pressekonferenzen auszuprobieren und für den Vertrieb auf digitale Tools zu setzen“, erinnert sich Keller.
Neben Apps wie Teams, Zoom und Skype für Gespräche empfiehlt er automatisiertes Marketing und digitale Whiteboards für Online-Workshops. So mancher Kunde aber wollte an Altbewährtem festhalten und winkte zunächst ab. Der technische Aufwand sei zu groß und es fehlten bei vielen Tools der persönliche Kontakt und die nonverbale Ebene, so das Feedback.
In diesem Frühjahr haben viele Chefs ihre Meinung geändert: Schon in den ersten Wochen der Pandemie bekamen Keller und seine Mitarbeiter viele Anfragen, etwa von einem mittelständischen Pharmahersteller, der eine Pressekonferenz in einem Hotel absagen musste. Der Coach wurde gebeten, die Produktvorstellung vor der Fachpresse online abzuhalten.
Das Konzept lag vor, die Technik war schnell via Internet bestellt oder geliehen. In einem Mini-Filmstudio brachten Keller und sein Team Kameras und Mikrofone in Stellung. Im Hintergrund installierten sie einen sogenannten „green screen“, eine Art grünes Rollo. Damit lassen sich Bilder hinter die Protagonisten „zaubern“. Die Umsetzung ist heute so einfach und preiswert, wobei sogar die Qualität eines Profistudios erreicht wird.
Erfolg mit digitaler Pressekonferenz
Im April ging die fünfköpfige Führungsriege eines Pharmaherstellers mit ihrem neuen Produkt auf Sendung. Mit Erfolg: 80 Journalisten blieben zweieinhalb Stunden vor ihren Bildschirmen und gaben positives Feedback. „Es waren doppelt so viele Teilnehmer wie bei einer analogen Pressekonferenz, die wir ein Jahr zuvor abhielten“, sagt Keller. Ein weiterer Pluspunkt: Die Kosten für die Cyber-Veranstaltung waren geringer als für eine herkömmliche Pressekonferenz.
„Das Beispiel steht für einen optimalen Einsatz innovativer digitaler Tools“, sagt Said Shiripour. Der gebürtige Iraner ist Online-Marketing-Coach. Er setzt ausschließlich auf das Netz als Vertriebskanal: „Nirgends sonst kann man so schnell und so einfach Produkte verkaufen.“ Seine Meinung: „Jeder kann sein Business selbst digitalisieren. Insbesondere im Verkauf.“ Dafür hat er eine Software entwickelt. Name: ez-funnels. Damit lässt sich in einfachen Schritten eine Landingpage erstellen.
Motivation entsteht durch Vertrauen zwischen Chef und Angestellten. Wolfgang Freibichler, Porsche Consulting
Auch Webinare, digitale Lernkurse und Bereiche für potenzielle Kunden und Mitglieder lassen sich damit bauen, Hosting und Domain inklusive, „ohne dass dafür ein Programmierer engagiert werden muss“, betont Shiripour. Die Coronakrise sei zur Lehrstunde geworden. Die Berührungsängste vor digitalen Tools hätten abgenommen. Der Marketing-Coach rät seinen „Schülern“, konsequent Online-Konferenzen und -Gespräche anzubieten, jetzt sei die beste Gelegenheit.
Trotzdem sei auch ein Telefonanruf oder ein persönliches Treffen weiterhin sinnvoll – je nach Kundentyp. Die individuelle Note des Beraters müsse im Fokus stehen, egal ob im Netz oder Face to Face. Alles Weitere sei Learning by Doing: „Jeder Finanzberater muss die digitale Technik wirklich verstehen, um sie optimal zu nutzen.“
Finanzielle Unterstützung auf dem Weg zum digitalen Erfolg ist rar. Zwar gab es seit 2016 im Rahmen des Programms „Förderung unternehmerischen Know-hows“ vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle für Gewerbetreibende und Freiberufler bis zu 4000 Euro Unterstützung – für Unternehmensberatung, auch für die Digitalisierung von Geschäftsbereichen. Doch das Programm ist ausgesetzt. Grund: Durch die Auswirkungen der Pandemie war die Nachfrage im Frühjahr so groß, dass 80 Prozent der Antragsteller leer ausgingen.
Nach der durch Corona bedingten Durststrecke hat sich im Juli und August die Stimmung in vielen Betrieben gebessert. Vielerorts werden die Ärmel wieder hochgekrempelt. „Motivation entsteht durch Vertrauen zwischen Chef und Angestellten“, ist Wolfgang Freibichler von Porsche Consulting überzeugt. Der Experte für Arbeitsatmosphäre hat von Forsa eine Umfrage unter rund 1000 Arbeitnehmern durchführen lassen. Demnach stellen diese heute andere Anforderungen an ihre Chefs als vor der Pandemie.
Neben großzügigen Homeoffice-Regelungen, flexibleren Arbeitszeiten, mehr Transparenz seitens der Vorgesetzten, mehr Spielraum für kreative Ideen und bereichsübergreifende Zusammenarbeit mit Kollegen anderer Abteilungen wünschen sie sich eine bessere Digitalausstattung. „Vorgesetzte müssen ihr Steuerungsverhalten ändern und sich voll auf ihr Team konzentrieren, anstatt ihre Zeit hauptsächlich in Konferenzen und Gremien zu verbringen“, sagt Freibichler. Im Fokus stünden Nähe, Verständnis, Einfühlungsvermögen und Rückendeckung.
Dass direkte Betreuung oft entscheidend ist, zeigt ein Blick nach Hamburg: Hier hat Frank Jorga, Geschäftsführer der auf digitale Identifizierungsverfahren spezialisierten WebID, die beispielsweise bei Kontoeröffnungen und Vertragsabschlüssen eingesetzt werden, persönlich das Coaching seines Betriebsstandortleiters übernommen. Ferhat Alimci war als Quereinsteiger in das 700-Mitarbeiter-Fintech gekommen, hatte vorher in einer Apotheke, einem Maschinenbaubetrieb und einer Immobilienmaklerfirma gearbeitet.
Jorga erkannte die „intellektuellen, analytischen und emotionalen Stärken“ des heute 33-Jährigen und nahm ihn unter seine Fittiche, um ihn auf eine Führungsposition vorzubereiten. Alimci: „Er hat mir den Rücken gestärkt und mir sukzessiv schwierigere Aufgaben und mehr Verantwortung übertragen. Ich konnte ihn immer fragen und durfte selbstverständlich auch mal Fehler machen.“ Mittlerweile ist Alimci Vorgesetzter von 20 Mitarbeitern „und einer unserer besten Manager“, so Jorga.
„Die individuellen Potenziale der Mitarbeiter gezielt zu fördern ist meist effizienter, als sie externen Coaches zu übergeben, und garantiert günstiger als teure Kurse, Seminare oder Workshops“, sagt der WebID-Geschäftsführer. Die letzten zwei Monate hat Jorga genutzt, seine Mannschaft durch die Herausforderungen der Coronazeit mit steigender Nachfrage nach digitalen Lösungen zu führen: „Wir brauchen jetzt den Enthusiasmus und Teamgeist aller, um weiterhin Vollgas fahren zu können.“
Das bestätigt Erdwig Holste, Geschäftsführer der Hamburger Management Angels, einem Provider für Führungskräfte auf Zeit: „Zufriedene Mitarbeiter sind auch gesunde Mitarbeiter und diese sichern den Erfolg eines Unternehmens.“ Holste hat für seine Studie „Interim Leadership – Gesund und erfolgreich“ gemeinsam mit der Helmut-Schmidt-Universität 850 selbstständige Führungskräfte nach ihrer psychischen Verfassung und körperlichen Fitness befragt. Ein Ergebnis: Gesundheit hängt eng mit Motivation und Resilienz zusammen.
Selbstständig arbeitende Führungskräfte melden sich nur drei Tage pro Jahr krank, und dass obwohl sie hohen Belastungen wie Zeitdruck und fehlender Planungssicherheit ausgesetzt sind. „Sie kompensieren dies durch Sinnerfüllung“, ist Holste überzeugt. Denn 80 Prozent der befragten Interim-Manager beurteilen ihre Tätigkeit als wichtig. Auch die Ergebnisse des AOK-Gesundheitsreports bestätigen diesen Zusammenhang: Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit als sinnvoll empfinden, werden im Schnitt nur neun Tage im Jahr krank. Fehlt der Sinnbezug, steigt die Krankheitsquote auf 19 Tage.
„Jeder Tag, an dem wir arbeiten, ist ein gewonnener Tag.“ Mit diesem Satz hat Nicholas Matten, Geschäftsführer des Heizungs- und Wärmepumpen-Spezialisten Stiebel Eltron in Holzminden, seine Belegschaft zuletzt motiviert. Viele Mitarbeiter waren während des Lockdowns im Homeoffice, andere nicht, weil die Produktion der Wärmepumpen und der Heizanlagen weiterlaufen musste – mit Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen. Der Chef musste die Mitarbeiter bei Laune halten, auch als plötzlich wichtige Bauteile aus China fehlten. Die wurden dann schnell statt mit dem Flugzeug per Bahn nach Holzminden transportiert.
„Inside“ heißt die App, mit der Stiebel-Mitarbeiter fast täglich mit Informationen über den Betrieb versorgt werden. Diese Kommunikation sei Gold wert, so Matten, „denn damit sind alle immer auf dem gleichen Stand“. Er will auch in den nächsten Wochen auf seinen Coaching-Mix aus offline und online setzen. Das funktioniert, ist die Lehre, die er und andere Unternehmer aus der Krise gezogen haben: „Wenn wir auch künftig so zweigleisig agieren, stehen die Signale für eine erfolgreiche Nach-Corona-Zeit auf Vorfahrt.“
Die Gesamtausgabe der Handelsblatt Finanzberater Edition finden Sie hier.
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