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Finanzberater Edition

Cyrus de la Rubia „Keine schnelle Erholung“

2020 durchleidet Deutschland die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Die wichtigste Frage von Finanzexperten und Anlegern lautet jetzt: Wie lange wird es dauern, bis sich das Land vom Coronaschock erholt hat? Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, gibt erst mittelfristig Entwarnung.
15.09.2020 - 16:34 Uhr Kommentieren
„Es gab noch nie so große Unsicherheiten in der prognostischen Arbeit.“
Cyrus de la Rubia, Chefökonom der Hamburg Commercial Bank

„Es gab noch nie so große Unsicherheiten in der prognostischen Arbeit.“

Cyrus de la Rubia erwartet für Deutschland einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr um sieben Prozent. Für 2021 rechnet er mit einem deutlichen Aufschwung der Wirtschaft, allerdings geht er von keiner sehr schnellen Erholung aus.

Herr de la Rubia, sind Sie derzeit eher als Prognostiker oder als Prophet gefragt? Der Prognostiker übermittelt schonungslos die derzeit wohl überwiegend negativen Nachrichten die nähere Zukunft betreffend; vom Propheten dagegen erhoffen sich die Menschen Aufmunterndes.

Ich bin zwar der Sohn eines Pastors, aber als Prophet habe ich mich noch nie gesehen. Meine Rolle ist die des rationalen Beraters, der fernab der ganzen Emotionen, die da sind, weil sich viele Bürger in wirklich schwierigen Situationen befinden, die Statistiken anschaut, die Wirtschaftsdaten und die Infektionszahlen analysiert und daraus Schlüsse für die nähere und fernere wirtschaftliche Zukunft zu ziehen versucht.

Hand aufs Herz, wie schlecht steht es um die globale und speziell die deutsche Wirtschaft?

Wir befinden uns in der schwersten Rezession der Nachkriegszeit, und wenn wir diese Krise so gut überstehen wie die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise von 2008, können wir uns bereits glücklich schätzen. Das bringt es schonungslos auf den Punkt.

Mit welchen prozentualen Wachstumseinbußen rechnen Sie hierzulande und weltweit in diesem Jahr? Und wie könnte es 2021 weitergehen?

Ich erwarte für Deutschland einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr von um die sieben Prozent. Für 2021 rechne ich mit einem deutlichen Aufschwung der Wirtschaft. Allerdings erwarte ich anders als manch anderer keine sehr schnelle Erholung. Frühestens Ende kommenden Jahres sehe ich die deutsche Wirtschaftskraft wieder ungefähr auf dem Niveau vor Ausbruch der Pandemie. Auch wenn ich einen „V“-Verlauf für wahrscheinlicher halte als die negativeren Konjunkturverläufe im „U“ oder „L“-Modell, benötigen wir alle und besonders die Unternehmen einen sehr langen Atem.

Und das alles funktioniert auch nur unter der Bedingung, dass die Infektionszahlen jetzt wirklich abebben, die Lockerungsmaßnahmen seit Anfang Mai Bestand haben und nicht neuerliche Lockdowns das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben abermals lahmlegen.

Was erwarten Sie für den Rest der Welt?

Für die Weltwirtschaft bin ich vorsichtig optimistischer, da sich viele Schwellenländer auf deutlich höheren Wachstumspfaden befinden als Deutschland: Für die globale Wirtschaft erwarte ich unter dem Strich für das laufende Jahr „nur“ einen Rückgang um drei bis 3,5 Prozent. Das ist verglichen mit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2009 aber immer noch eine gewaltige Einbuße: Damals schrumpfte die Weltwirtschaft nur um 0,1 Prozent.

Neu für Ihre Arbeit ist sicherlich, dass Sie nichtwirtschaftliche Faktoren wie die Entwicklung der Infektionszahlen für Ihre Prognosen zugrunde legen müssen.

Das stimmt. Wir haben immer schon in Szenarien gedacht und gearbeitet, in Korridoren mit Best- und Worst-Case-Annahmen. Das Verheerende an der aktuellen Situation ist aber, dass die Wirklichkeit im März und April ungleich schlimmer wurde, als wir es uns in unseren düstersten Stress-Szenarien vorher ausgemalt hatten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Neben altbekannten volkswirtschaftlichen Parametern spielen jetzt auch die erwähnten epidemiologischen Faktoren für unsere Prognosen eine sehr wichtige Rolle. Das macht unsere Arbeit noch spannender, aber auch herausfordernder, weil die Unwägbarkeiten zunehmen. Es gab noch niemals so große Unsicherheiten in der prognostischen Arbeit.


In den vergangenen Jahren vor der Krise war China für rund 40 Prozent des gesamten Wirtschaftswachstums in der Welt verantwortlich. Hängt die Erholung der Weltkonjunktur damit entscheidend davon ab, wie schnell in China, dem Ursprungsland der Pandemie, wieder Business as usual gilt?

In der Tat spielt China – neben den Vereinigten Staaten – eine entscheidende Rolle für die Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität vor Corona. Gerade die deutsche Wirtschaft mit ihrer hohen Exportabhängigkeit wird kaum in Schwung kommen, wenn sich nicht zugleich die europäischen Nachbarstaaten wie Frankreich erholen und besonders auch die Nachfrage aus den USA und China wieder zunimmt. Insofern stimmt es mich optimistisch, dass uns China im Zurückdrängen der Pandemie um Monate voraus ist und dabei nach allen Berichten weitere große Fortschritte macht. Doch die Einbrüche im ersten Quartal in China waren gewaltig. Das ist nicht so schnell wettzumachen. Dazu kommt: China allein wird den Karren nicht wieder aus dem Dreck ziehen können. China ist engstens mit der Weltwirtschaft verflochten und abhängig davon, dass das globale Wachstum wieder in Schwung kommt. In diesem Jahr wird die chinesische Wirtschaft bestenfalls um ein Prozent zulegen – das bedeutet immer noch einen riesigen Einbruch verglichen mit den Wachstumsraten vergangener Jahre, in denen Zuwächse beim Bruttoinlandsprodukt von sechs oder sieben Prozent den Normalfall markierten.

Sind Sie mit dem Krisenmanagement der Politik in Deutschland zufrieden?

 Die Politik, auf Bundes- wie auf Länderebene, macht derzeit vieles richtig. Es ist wichtig, im ersten Schritt die Produktionskapazitäten aufrechtzuerhalten, bis hoffentlich eines nicht allzu fernen Tages die Binnen- wie die Auslandsnachfrage wieder anziehen. Insofern sind die gewählten Rezepte wie das Kurzarbeitergeld, die Liquiditätskredite oder notfalls auch (Teil-)Verstaatlichungen die richtigen Mittel. Die Hilfen sind großzügig, gleichzeitig hat die Politik aber auch Notbremsen eingeführt. Denn es kann nicht Sinn und Zweck sein und würde auch die Staatskassen sprengen, wirklich jedes Unternehmen retten zu wollen.

An welche Unternehmen denken Sie dabei?

Das betrifft jene Firmen, die bereits vor Corona finanzielle Probleme hatten und anfällige Geschäftsmodelle aufwiesen. Kritisch bewerte ich allerdings den wachsenden Widerstand in der Bundesregierung, notleidenden europäischen Nachbarstaaten zu helfen. Wir benötigen einen europäischen Wiederaufbaufonds. Es ist uns bei der großen Abhängigkeit gerade des deutschen Mittelstands vom übrigen Europa nicht geholfen, wenn nur Deutschland sich erholt, aber der wichtige Absatz- und Produktionsstandort Italien beispielsweise jetzt ein ähnliches Schicksal erleidet wie Griechenland vor knapp zehn Jahren.

Politiker, Wissenschaftler, aber auch Lobbyisten etwa aus dem Bereich der erneuerbaren Energien fordern einen New Deal und eine neue Wirtschaftsordnung nach Corona: grüner, klimafreundlicher, gemeinwirtschaftlicher. Spricht nicht vieles dafür, die Wirtschaftsstruktur, die jetzt teils in Scherben liegt, gleich komplett neu zu modellieren?

Der Gedanke an sich birgt in der Tat einigen Charme, besonders mit Blick auf Nachhaltigkeit und den Schutz des Klimas. Doch zum einen war ja bei Weitem nicht alles schlecht vor Corona. Und zum anderen würde uns das zum jetzigen Zeitpunkt überfordern. Im ersten Schritt geht es darum, die Produktionskapazitäten aufrechtzuerhalten. Und dafür zu sorgen, dass aus der realwirtschaftlichen Krise keine Finanzmarktkrise resultiert – weil die Zahl der notleidenden Kredite in den Bilanzen der Geschäftsbanken steigen wird. Daran muss sich dann aber im dritten Schritt in vielen Branchen in der Tat ein schneller Wandel bei Technologien und Grundhaltungen einstellen. Und das könnte auch die öffentliche Hand durch einen klugen Mix aus Angebots- und Nachfragepolitik gezielt fördern – ich denke dabei neben der Klima- und Energiewende an die Bereiche Digitalisierung und Bildung.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele mittelständische Unternehmen, aber womöglich auch mancher Konzern diese Megakrise nicht überleben werden. Auch der Staat dürfte nicht die finanzielle Kraft haben, jedes Unternehmen zu stützen. Was also macht diese Krise mit der deutschen Volkswirtschaft?

Ich sehe keine fundamentale Veränderung der deutschen Wirtschaftsstruktur, auch wenn längst nicht alle Unternehmen diese Krise überleben werden. Die überlebenden mittelständischen Firmen werden in der Breite aber weiterhin stark auf den Weltmärkten präsent bleiben. Gleichwohl wird es eine Entwicklung hin zu einer Re-Regionalisierung geben.

Was meinen Sie damit?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, welche Folgen es hat, wenn sich ganze Branchen auf nur wenige Zulieferer verlassen. Wenn diese dann ausfallen, weil ein Virus die Produktion in einer Region lahmlegt, brechen gleich ganze Lieferketten und Kreisläufe zusammen. Diese Lehre dürften Mittelständler und Konzerne sicherlich ziehen: Sie müssen ihr Lieferantennetz wieder vergrößern. Sie werden nicht nur größere Lager aufbauen, sondern auch beim Einkaufsmanagement viel mehr diversifizieren und künftig auf fünf oder sieben Zulieferer setzen statt wie bisher auf nur einen oder zwei. Wie das organisiert werden wird, bleibt abzuwarten. Werden Konzerne ihren Teileinheiten mehr Autonomie gewähren, oder wird es künftig gleich ganz viel mehr kleinere Firmen geben? Das bedeutet für die Wirtschaftsstruktur auf jeden Fall mehr Kleinteiligkeit, aber auch mehr Vielfalt – und für Geschäftspartner und Endverbraucher letztlich sicher auch höhere Preise.

Aber ein Ende der Globalisierung wie manch anderer befürchten Sie nicht?

Nein, wir werden auch weiterhin auf Arbeitsteilung setzen und beispielsweise Vorleistungen aus China oder Malaysia beziehen. Nur werden die Unternehmen tunlichst darauf achten, in diesen Regionen auch weitere Zulieferer zu gewinnen und zusätzlich vor der eigenen Haustür regionale Zulieferer an sich zu binden. Zudem werden die Logistikketten vielfältiger werden: Unternehmen sollten sich nicht von einem Transportweg abhängig machen und werden künftig etwa gleichzeitig auf Schiffscontainer und Frachtlieferungen per Flieger setzen, soweit es die Produkte erlauben.

Woher schöpfen Sie selbst Optimismus in diesen schweren Zeiten?

Die Familie ist eine ganz wichtige Stütze. Die Tage des Shutdowns hatten insofern ihr Gutes, als dass meine Töchter sehr viel für uns gekocht haben. Diese Extrapfunde müssen wir uns jetzt erst einmal wieder ablaufen. Als Volkswirt stimmt mich das Vertrauen in die Kraft und Flexibilität unseres marktwirtschaftlichen Systems optimistisch. Wir haben schon manche Krise überstanden. Und auch wenn Corona eine völlig neuartige und große Herausforderung ist, wird die Marktwirtschaft auch das überleben.

Die Fragen stellte Florian Flicke.

Die Gesamtausgabe der Handelsblatt Finanzberater Edition finden Sie hier.

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