Digitalisierung Bundesbank sucht Kreditrisiken mit Künstlicher Intelligenz

Setzt auf internationale Kooperation.
Frankfurt Wenn Bankenaufseher Risiken in einer Bankbilanz finden, ist es oft schon zu spät. Wie kann eine Behörde es schaffen, schon früher eine sich anbahnende Krise zu erkennen? Und wie können die Beamten dicke Prüfungsberichte schneller auswerten, in denen sich wichtige Hinweise manchmal unter einem Wust von irrelevanten, jedes Jahr gleichlautenden Sätzen verbergen?
Nach einer Antwort auf diese und andere Fragen sucht die Bundesbank in ihrem neuen Digitallabor „Innowerk“. Im zehnten Stockwerk des Trianon-Hochhauses, das mitten im Frankfurter Bankenviertel liegt, sollen bald 70 Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fachbereichen der Notenbank an verschiedenen Digitalprojekten arbeiten.
Dazu gehört zum Beispiel der Aufbau eines Frühwarnsystems für Kreditrisiken. Darin sollen Echtzeitdaten einfließen wie die täglichen Insolvenzzahlen, Google-Trends zu Insolvenzen und andere Indikatoren, die durch Künstliche Intelligenz ausgewertet werden. Es gibt auch Projekte zu Robotik, maschinellem Lernen und Sprachverarbeitung. Presseberichte werden auf bestimmte Stichworte hin ausgewertet, die auf Krisen hindeuten könnten.
Ein weiteres Projekt dreht sich um das automatische Lesen von Texten. Momentan müssen die Bankenaufseher jährlich Prüfberichte im Umfang von 1400 PDF-Dokumenten lesen und prüfen. Künftig sollen Computer die Berichte durch Spracherkennung und den Einsatz Künstlicher Intelligenz automatisch lesen – und im Vorfeld kritische Stellen identifizieren.
„Es geht nicht darum, die Bankenaufseher durch Maschinen zu ersetzen, aber sie sollen mehr Zeit haben, um sich um die wesentlichen Dinge zu kümmern“, sagt Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling bei der Vorstellung des neuen Labors.
Schritt halten mit privaten Geldhäusern
Die Bundesbank folgt mit dem Projekt dem Beispiel kommerzieller Geldhäuser wie der Deutschen Bank, der Commerzbank oder der Staatsbank KfW. Sie alle haben in unterschiedlicher Form Digitallabore eingerichtet, tun sich mit jungen Fintechs zusammen oder gründen eigene Ableger.
Die ganze Finanzbranche digitalisiert sich. Eine neue Studie der US-Bank JP Morgan beschreibt unter anderem, welche Projekte sie selbst vorantreibt. Ein wichtiger Bereich sei beispielsweise die Nutzung alternativer, großer Datenmengen mithilfe von Künstlicher Intelligenz, um damit Investmententscheidungen zu treffen. Schon bei der Zusammenstellung des Reports ließen die Banker ein Programm, das natürliche Sprachen versteht, über 60.000 auf der Website von JP Morgan veröffentlichte Studien lesen und so die 146 relevantesten Reports zum Thema herausfiltern.
Als Beispiel für Anwendungen nennt JP Morgan Studien über spanische Banken, Windenergie in China, Fitnessstudios in Saudi-Arabien und die Auswertung des Handels im Aktienoptionsmarkt. Für eine Studie über Sektoren im indischen Aktienmarkt hat eine Maschine Unmengen Transkripte von Analystencalls gelesen und ausgewertet. Ganz ähnlich werden die Verlautbarungen der US-Notenbank (Fed) maschinell gelesen.
Ein komplexes Thema ist die Reaktion von ESG-Portfolios – die also auf Umwelt (E), Soziales (S) und gute Unternehmensführung (G) achten – auf Verschiebungen am Markt. Wenn der Markt auf traditionelle, vom Konjunkturzyklus abhängige Werte umschwenkt und dafür die Tech-Branche vernachlässigt, kann das reine ESG-Portfolios schwächen. Mit KI soll dieser Effekt abgebremst werden.
Bei einem Ausblick auf die Forschungen außerhalb der eigenen Bank zeigt JP Morgan auf, wie sehr intelligente, lernende Maschinen inzwischen auch verschiedene Fähigkeiten kombinieren. Microsoft etwa behauptet, ein System zu haben, das Bilder in natürlicher Sprache genauso gut wie ein Mensch beschreibt.
Den Digital-Euro vorantreiben
Mit diesen Entwicklungen will die Bundesbank Schritt halten und zugleich die Zusammenarbeit mit anderen Notenbanken stärken. „Wir wollen einen Raum schaffen, um mit modernster Technik und neuen Methoden die digitalen Initiativen der Bundesbank anzustoßen. Dafür bringen wir hier Mitarbeitende aus unterschiedlichsten Fachbereichen zusammen“, sagt Wuermeling.
Auch die technische Entwicklung eines Digital-Euros will die Bundesbank von hier aus vorantreiben. Eine wichtige Rolle soll dabei das Innovationszentrum der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) spielen, das ebenfalls in den Räumen von Innowerk untergebracht ist. Gemeinsam mit Paris gehört Frankfurt für das Euro-System zum globalen Netzwerk der „BIS Innovation Hubs“. Andere Standorte sind Stockholm, Hongkong und Singapur. Als eine Art Dachorganisation der Notenbanken weltweit treibt die BIZ in diesen Hubs Forschungen zu Themen wie Green Finance, Cybersicherheit und Digitalwährungen voran.
Der EZB-Rat hat sich bereits auf Eckpunkte für einen Digital-Euro geeinigt. Viele Fragen über die Ausgestaltung sind aber offen. Zum Beispiel: Wie soll er verteilt werden? Oder: In welcher Form soll er den Bürgern zur Verfügung stehen? Um solche Fragen zu klären, ist zunächst eine zweijährige Untersuchungsphase vorgesehen, in der es darum geht, einzelne technische Lösungen in der Praxis zu testen. Laut Wuermeling soll Innowerk auch dabei eine wichtige Rolle spielen.
„In der Untersuchungsphase stehen jetzt vor allem konzeptionelle Fragen im Fokus. Es geht darum, einzelne technische Prototypen zu entwickeln und Anwendungen in Fokusgruppen zu testen. Das ist genau das, wo wir helfen können“, sagt er. Bis die neuen digitalen Euros virtuell in der Wallet klappern, wird es aber noch Jahre dauern.
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