Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

EZB Gerechtfertigte Warnungen oder „übliche Paranoia“? Ökonomen streiten über die Inflationsgefahr

Deutsche Bank und DZ Bank befürchten, dass die Preisdynamik unterschätzt wird. Goldman Sachs sagt das Gegenteil voraus und erwartet erst 2025 eine Zinserhöhung der EZB.
26.07.2021 - 15:37 Uhr 2 Kommentare
Wie wertstabil bleibt die Gemeinschaftswährung? Quelle: dpa
Euro-Skulptur in Frankfurt spiegelt sich in einer Pfütze

Wie wertstabil bleibt die Gemeinschaftswährung?

(Foto: dpa)

Frankfurt Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag nach ihrem Zinsentscheid deutlich gemacht, dass ihr nach wie vor eher eine zu niedrige als eine zu hohe Inflation Sorgen macht. Diese Einschätzung wird von vielen Ökonomen geteilt.

Aber nicht von allen. Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank, macht im Gespräch auf Parallelen zu den 60er- und 70-Jahren aufmerksam. Die veranlassen ihn zu der Warnung, dass sich auf längere Sicht eine zu große Staatsverschuldung aufbauen könnte, die wiederum Inflation nach sich zieht. Und auch die Deutsche Bank stellt in einer Studie die Frage, ob die Inflationssorgen in Deutschland gerechtfertigt oder der „üblichen Paranoia“ geschuldet seien. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sie doch ernst zu nehmen sind.

Die Gegenposition vertritt Jari Stehn, Chefvolkswirt für Europa von Goldman Sachs: Er sieht, ähnlich wie die EZB, nur wenig nachhaltigen Inflationsdruck. Aber auch die besorgteren Volkswirte denken nicht an eine Hyperinflation wie in den 20er-Jahren, sondern lediglich an deutlich höhere Preissteigerungen, als wir in den letzten Jahrzehnten gewohnt waren.

Holstein von der DZ Bank sieht einige Parallelen zwischen der Situation in den 60er- und 70er-Jahren und heute. Damals gab es in Deutschland zunächst eine lange Phase stabilen Wachstums, niedriger Inflation und moderater Staatsverschuldung. Dann folgte der Wechsel zu einer expansiven Fiskalpolitik. Die Inflation stieg an.

Die Bundesbank konnte zunächst nicht angemessen reagieren, weil sie durch das System der festen Wechselkurse gebunden war. Nach dessen Zusammenbruch 1973 hob sie die Zinsen deutlich an. Real, also nach Abzug der Inflation, waren die 70er aber eine Phase der Minuszinsen. Und die Bundesbank hatte Mühe, die Inflation unter Kontrolle zu halten.

Ansprüche an den Staat steigen

Heute, so Holstein, kommen wir ebenfalls aus einer stabilen Phase mit niedriger Inflation. Auch jetzt wird der Staat finanzpolitisch aktiver, bedingt durch die Corona-Pandemie. Aber das ist nicht alles: „Mit Blick auf die Wahlprogramme der Parteien befürchte ich, dass die Ansprüche an den Staat deutlich steigen“, sagt Holstein, „was der Staat leisten soll, wird zu groß.“

Grafik

Die Folge könnte eine weiter steigende Staatsverschuldung sein. „Und die wird ein Problem sein, wenn die Zinsen wieder auf normales Niveau steigen“, befürchtet er. Für dieses Problem gibt es aus seiner Sicht zwei Lösungen, und beide sind nicht schön.

Entweder die Inflation steigt, oder der Staat schwenkt um auf Sparpolitik und würgt damit möglicherweise die Konjunktur ab. Wenn die Staaten zu hoch verschuldet sind, kann es passieren, dass die EZB de facto nicht frei ist, zu einer strafferen Geldpolitik überzugehen, um die finanzielle Stabilität der Euro-Zone nicht zu gefährden.

Außerdem fürchtet Holstein, dass es in den USA zu einer Überhitzung der Konjunktur kommt, die über höhere Rohstoffpreise auf Europa übergreift. Auf der anderen Seite seien aber heute die Gewerkschaften schwächer als damals und damit auch die Gefahr, dass hoher Lohndruck entsteht.

Die Deutsche Bank glaubt ebenfalls, dass die Inflationsgefahr unterschätzt wird. Die EZB will explizit für eine gewisse Zeit ein Überschreiten ihres Inflationsziels von zwei Prozent tolerieren. Dies könne aber ein Dauerzustand werden, befürchten die Volkswirte der Bank.

Sie kritisieren vor allem das Zusammenspiel einer großzügigen Finanzpolitik mit einer ebenso großzügigen Geldpolitik. Außer in Deutschland werde die Verschuldung in allen G7-Ländern auf über 100 Prozent steigen, und dazu gebe es noch weitere große Ausgabenprogramme. Außerdem hätten die großen Notenbanken weltweit ein Drittel bis zur Hälfte der Staatsdefizite „monetarisiert“, also mit frisch geschaffenem Geld finanziert; die EZB liege dabei sogar über 50 Prozent.

In der Studie heißt es weiter: „Einer der gefährlichsten Aspekte in der heutigen Situation ist, dass die Angst vor Inflation ebenso fehlt wie die Bereitschaft, die Kosten einer möglichen Inflation ernst zu nehmen.“ Weil es schon so lange keine hohen Preissteigerungen mehr gegeben habe, sei in Vergessenheit geraten, welche verheerenden Folgen Inflation, gerade auch für wirtschaftlich schwächer gestellte Menschen, habe.

Die Deutsche Bank sieht die Inflationsgefahr vor allem für Deutschland. Hier habe sich die Wirtschaft besonders schnell erholt. Die Industrie sei stabiler als der in anderen Ländern vorherrschende Dienstleistungssektor. Die Unterauslastung der Wirtschaft könne daher viel schneller geschlossen werden.

Grafik

Auf der anderen Seite machten sich Lieferschwierigkeiten gerade in der Industrie durch höhere Preise bemerkbar. Auch wenn die Tarifabschlüsse moderat bleiben sollten, könnten viele Beschäftigte jetzt individuell eine bessere Bezahlung verlangen, heißt es.

Stehn von Goldman sieht dagegen, wie die EZB selbst, die Preissteigerungen als vorübergehend an. Er erwartet für November den Höhepunkt der Inflation mit vier Prozent in Deutschland und 2,8 Prozent im Euro-Raum, im kommenden Jahr aber schon wieder einen deutlichen Rückgang. Mit Blick auf Kennziffern, die vor allem stabile und konjunkturabhängige Preistrends berücksichtigen, sieht Goldman zurzeit nur eine „grundlegende“ Inflationsrate von rund einem Prozent, die bis Ende 2024 auf 1,5 Prozent steigen könnte.

Wird PEPP verlängert?

Entsprechend sagt Stehn: „Wir erwarten für 2025 die erste Zinserhöhung der EZB.“ Das Anleiheprogramm PEPP, das speziell für die Corona-Pandemie geschaffen wurde, wird nach Schätzung von Goldman möglicherweise im kommenden Jahr von Ende März bis Ende Juni verlängert, um so das ursprüngliche Gesamtvolumen von 1,85 Billionen Euro voll auszuschöpfen.

Eine andere, weniger wahrscheinliche Optionen sei, PEPP zu stoppen und das laufende Kaufprogramm APP für einen begrenzten Zeitraum zu erhöhen, etwa für sechs Monate von 20 Milliarden Euro auf 40 Milliarden monatlich. Die dritte Option wäre, für PEPP einen anders gearteten Nachfolger einzuführen. Stehn sagt aber: „Was nach unserer Erwartung nicht passieren wird, ist, APP ohne zeitliches Limit zu erhöhen oder es ähnlich flexibel wie PEPP zu gestalten.“

Unter PEPP kann die EZB sehr gezielt Anleihen einzelner Länder kaufen, während sie sonst an den Kapitalschlüssel gebunden ist, der sich an der Größe der Wirtschaft und der Bevölkerung der Euro-Länder orientiert.

Für September erwartet Stehn erste Hinweise, was mit den Kaufprogrammen passieren soll, Entscheidungen aber erst im Dezember: Dann gibt es neue Prognosen der EZB bis ins Jahr 2024. Nachdem schon in der EZB-Sitzung am Donnerstag Meinungsverschiedenheiten über die Linie der Zinspolitik zutage getreten sind, könne es über die Kaufprogramme zu weiteren strittigen Diskussionen kommen. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat im Interview mit dem Handelsblatt bereits klargemacht, dass die EZB nach der Coronakrise auch den Krisenmodus verlassen sollte.

Mehr: Ein historischer Vergleich zur Inflation

Startseite
Mehr zu: EZB - Gerechtfertigte Warnungen oder „übliche Paranoia“? Ökonomen streiten über die Inflationsgefahr
2 Kommentare zu "EZB: Gerechtfertigte Warnungen oder „übliche Paranoia“? Ökonomen streiten über die Inflationsgefahr"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Ein wenig Inflation von bis zu 5% wäre volkswirtschaftlich sogar wünschenswert. Man betrachte bitte auch die wirtschaftliche Dynamik die mit einherginge.

  • Den Begriff "Hyperinflation" sollte man nur verwenden, wenn man auch die Definition dazu mitliefert. Höhe und Zeitraum wäre zu nennen. Desweiteren sollte man doch stets im Blick haben, dass wir Kapitalismus haben. Eines der erfolgreichsten Module, neben der Freiheit, ist im Kapitalismus der Wettbewerb. Nach der Conona-Zeit wird es zu Entspannungen kommen, gerade da wir Kapitalismus haben. Wenn dann nach der Entspannung der Wettbewerber plötzlich die Preise senkt, warum auch immer, wird es spannend werden. Die Preisdynamik kommt dann ins Stottern, garantiert, denn wir haben eben den erfolgreichen Kapitalismus als Wirtschaftssystem und den gnadenlosen Wettbewerb, kapitalistisch-darwinisch.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%