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Geldpolitik Türkische Notenbank überrascht mit Zinssenkung

Der Leitzins in der Türkei sinkt um einen Prozent. Die Türkische Lira fällt nur leicht. Nicht alle Ökonomen sind über Erdogans Geldpolitik überrascht.
23.09.2021 - 13:30 Uhr Kommentieren
Notenbankchef Sahap Kavcioglu ist Gegner einer straffen Geldpolitik. Quelle: Imago/Westend61
Bankenviertel in Istanbul

Notenbankchef Sahap Kavcioglu ist Gegner einer straffen Geldpolitik.

(Foto: Imago/Westend61)

Istanbul Die türkische Notenbank hat auch wegen der hohen Inflation ihren Leitzins überraschend gekappt. Der geldpolitische Schlüsselsatz sinke auf 18 von 19 Prozent, teilten die Währungshüter am Donnerstag mit. Eine Änderung der Geldpolitik sei nötig, hieß es.

Der Zinsbeschluss drückte die Währung des Landes auf ein Rekordtief. Die Teuerungsrate war im August angesichts steigender Lebensmittel- und Energiepreise auf 19,25 Prozent geklettert. Das ist das höchste Niveau seit mehr als zwei Jahren und liegt damit höher als der Leitzins.

Zinssenkung: Wer leidet - wer profitiert?

Die Unabhängigkeit der Notenbank war zuletzt eine der Hauptsorgen von Investoren. Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist ein erklärter Zinsgegner und hat bereits die letzten drei Notenbank-Gouverneure aufgrund von Differenzen hinsichtlich der Geldpolitik vor die Tür gesetzt.

Mitte März hatte er überraschend Notenbankchef Naci Agbal entlassen und durch Sahap Kavcioglu ersetzt - einen erklärten Gegner einer straffen Geldpolitik.

Der prompte Fall der Lira nach der Bekanntgabe der Leitzinssenkung deutet an, wer unter Erdogans Geldpolitik leiden wird. Wenn die heimische Währung an wert verliert, verteuern sich umgehend Importprodukte. Für viele Verbraucher in dem Schwellenland verteuern sich nahezu alle Produkte im Land, von Gemüse über Benzin bis zu Elektrogeräten. Überall stecken Zwischenprodukte, die importiert werden müssen, zum Beispiel Dünger, Öl oder Computerchips.

Freuen dürften sich Unternehmen. Sie können die Verkaufspreise erhöhen, bei zumindest teilweise gleichbleibenden Kosten zum Beispiel für Löhne. Am stärksten profitieren daher Exportfirmen, die ihre Produkte in Euro oder Dollar verkaufen, aber lokale Löhne in der nun noch schwächeren Lira abrechnen.

Ausländische Firmen: Einnahmen in Euro, Aufwändungen in Lira

Das Gleiche gilt für ausländische Firmen im Land. Nach Angaben der Zentralbank hat die Kreditaufnahme dieser Firmen im Inland in den vergangenen Wochen stark zugenommen. Daraus lässt sich schließen, dass sie auf eine Zinssenkung sowie eine schwächere Lira spekuliert hatten. Das Kalkül zum Beispiel aus Sicht einer deutschen Firma, die in der Türkei produziert: Wenn die Lira verliert, wird der Kredit - in der Heimatwährung Euro berechnet - günstiger. 

Ebenfalls freuen können sich die Finanzdienstleister des Landes. „Die Banken müssten den heutigen Tag zum Feiertag erklären“, meint Alaatin Aktas, Kolumnist der Wirtschaftszeitung „Dünya“. Sie können die insgesamt gut 900 Milliarden Lira Einlagen auf den Konten der Türkinnen und Türken investieren - zumindest, solange sie den Wechselkurs zu Euro, Dollar und Yen einigermaßen vorausberechnen können. 

Das Paradoxe ist, dass Erdogan vor allem finanziell schwächere Schichten zu seinen Stammwählern zählt, und weniger die Wirtschaftsbosse, die nun das Geld einstreichen. Es waren vor allem Ärmere sowie die Landbevölkerung, die jahrelang von seiner Wirtschaftspolitik profitiert hatten. Zwischen 2002 und 2013 steigerte Erdogan das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Dollar gerechnet um mehr als das Dreifache. Seitdem ist es um ein Drittel gesunken.

Ökonomen sind uneins über Erdogans Geldpolitik

Die Urteile von Ökonomen fallen unterschiedlich aus. Atilim Murat, Ökonom an der Tobb-Universität, hätte sogar eine noch stärkere Zinssenkung für möglich gehalten, wenn die Lira zum Dollar nicht bereits so schwach gewesen wäre. "Die Zinssenkungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit fortgesetzt", glaubt er.

Tugrul Belli, Kolumnist der Wirtschaftszeitung "Dünya", kritisiert, dass die Notenbank sich offenbar von der Inflationsbekämpfung verabschiedet hat. Die Notenbank habe eine Phase der geldpolitischen Lockerung eingeleitet, indem sie aus den Erklärungen zur Zinsentscheidung strich, dass sie eine Zinspolitik anhand der Inflation verfolgen würde. "Es wurden Gründe für diese neue Marschrichtung angeführt, und ehrlich gesagt finde ich es schwierig, diese Gründe sehr überzeugend zu finden."

Der Vizerektor der Piri-Reis-Universität, Erhan Aslanoglu, kritisiert dies ebenfalls. Vor allem die Tatsache, dass die Zentralbank fortan die Inflation bei Energie und Lebensmitteln kaum noch berücksichtigen wird, irritiere ihn. "Das ist ein riskanter Schritt."

"Die Türkei war lange zu importabhängig."

Robin Brooks, Chefökonom am Institut für Internationale Finanzwissenschaften (IIF), bemerkt, dass die Türkei derzeit als einziges Schwellenland die Leitzinsen senke, während andere Notenbanken ihre Zinsen erhöhten. Aus seiner Sicht liegt das daran, dass die Türkische Lira - trotz der starken Wertverluste der vergangenen Monate - immer noch überbewertet sei.

Die schwache Lira helfe der türkischen Wirtschaft viel mehr dabei, das chronische Leistungsbilanzdefizit der türkischen Volkswirtschaft abzubauen, glaubt Brooks. "Die Türkei war zu lange viel zu abhängig von Importen und der heimischen Nachfrage", erläutert Brooks.

Mehr: Schweizer Notenbank behält Negativzins unverändert bei

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