Helikoptergeld Wie Manna vom Himmel

Kampf gegen Deflation.
Frankfurt Richard Baldwin hat Verständnis dafür, dass Helikoptergeld zunehmend die Schlagzeilen beherrscht, seit der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, von einem „interessanten Konzept“ sprach. Der Genfer Professor ist Chefredakteur der Ökonomenplattform VoxEU.org, in der sich schon einige prominente Ökonomen für und – viel seltener – gegen den Einsatz dieser unkonventionellen Form der Geldpolitik positioniert haben. Selbst unkonventionelle Mittel könnten gegen hartnäckig niedrige Wachstums- und Inflationsraten kaum noch etwas ausrichten, so Baldwin: „Deshalb mutierten radikalere Vorschläge wie Helikoptergeld in der öffentlichen Debatte von verrückt zu unvermeidlich.“
Lucrezia Reichlin, Professorin an der London Business School und ehemalige Research-Leiterin der Europäischen Zentralbank sprach noch 2013 bei einer Diskussion über Helikoptergeld von einem Tabu. Der ehemalige US-Notenbankchef Ben Bernanke erzählt in einem vor kurzem veröffentlichten Beitrag, dass ihm der Pressesprecher der Notenbank 2002 stark abgeraten habe, die Metapher zu verwenden. „Das ist etwas, worüber ein Zentralbanker einfach nicht redet“, habe er gemahnt. Bernanke missachtete den Rat, sprach als theoretische Möglichkeit über Helikoptergeld und fing sich prompt den Spitznamen „Helikopter-Ben“ ein.

Warum nicht den Bürgern einfach Geld schenken?
Dabei hatte die Metapher Milton Friedman schon 1969 geprägt, der Urvater des Monetarismus. Er wollte klarmachen, dass Regierung und Notenbank sich nie mit einer Deflation, also nachhaltig sinkenden Preisen bei sinkender Nachfrage abfinden müssten. „Nehmen wir an, ein Hubschrauber steigt auf und wirft Dollarnoten über der Gemeinde ab“, schrieb er. Die Bürger würden das Geld aufsammeln und mindestens teilweise ausgeben. Wenn genug Geld abgeworfen werde, ließen sich Nachfrage und Preisniveau mit Sicherheit beleben.
Die so beschriebene Variante kommt einer Form von Helikoptergeld nahe, die als besonders unkonventionell gilt. Sie könnte etwa darin bestehen, dass die Zentralbank allen Bürgern einen Scheck über einen bestimmten Betrag schickt.
Weniger unkonventionell und nahe an dem, was die Zentralbanken derzeit schon tun, wäre eine andere Form. Die Notenbanken würden sich dabei verpflichten, gekaufte Staatsanleihen dauerhaft im Bestand zu halten. Dann wissen die Regierungen, dass sie Anleihen, die sie ausgeben, um Steuersenkungen oder Ausgaben zu finanzieren, nie zurückzahlen müssen. Zinsen an die Notenbank bekommen sie ohnehin wieder ausgeschüttet.
„Die Pferde trinken derzeit nicht“
Eine explizitere Form der Finanzierung von Staatsdefiziten mit der Notenpresse schlug Bernanke in seinem Blog bei der Brookings Institution vom 11. April als Eventualmaßnahme für die USA vor. Der Kongress solle beschließen, ein Spezialkonto bei der Federal Reserve einzurichten. Die Notenbank könnte dann, wenn sie drastische Maßnahmen gegen Rezession und Deflation für nötig befinden sollte, dieses Konto füllen. Regierung und Parlament würden entscheiden, ob und wie sie dieses zusätzliche Geld einsetzten.
Auch andere Formen werden vorgeschlagen, etwa dass die Notenbank dauerhaft Anleihen von staatlichen Förderbanken in den Bestand nimmt – und die Förderbanken mit dem Erlös aus dem Verkauf der Anleihen zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen oder sonstige Förderprojekte finanzieren.
Über die Wirksamkeit dieser Instrumente herrscht weitgehend Einigkeit. Kemal Dervis, Vizepräsident des US-Forschungsnetzwerks Brookings Institution beschreibt die Vorzüge so: „Die Pferde trinken derzeit nicht.“ Billige Liquidität für die Banken gebe es genug, aber das Geld fließe derzeit stärker in die Finanzmärkte als in die produzierende Wirtschaft. „Das neue Geld umginge den Finanzsektor und würde direkt zu den durstigsten Pferden geleitet, Konsumenten mit niedrigen und mittleren Einkommen.“ Das geschehe entweder direkt – oder indirekt durch arbeitsschaffende, produktivitätssteigernde Investitionen in die Infrastruktur.
Die Liste prominenter Fürsprecher ist lang. Neben Milton Friedman und Ben Bernanke zählen dazu die bekannten Geldtheoretiker Jordi Gali und Michael Woodford, der ehemalige Chef der britischen Finanzaufsicht, Adair Turner, der Chefvolkswirt der US-Großbank Citi und ehemalige britische Geldpolitiker, Willem Buiter, der Leiter des Flossbach von Storch Research Institute und ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, und der bekannte Krisenprophet Nouriel Roubini.