Joachim Wuermeling im Interview Bundesbank-Vorstand warnt deutsche Banken

Auch in der Bundesbank wird der Wirecard-Skandal intern aufgearbeitet. „Natürlich fragen wir uns wie alle Beteiligten, ob wir irgendetwas früher und besser hätten wissen können.“
Frankfurt Die Bundesbank sieht die Berufung von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank positiv. „Grundsätzlich ist es gut, wenn Kontrollgremien breit aufgestellt sind“, sagte der für Bankenaufsicht zuständige Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling dem Handelsblatt.
„In einem Aufsichtsrat sollen Menschen mit unterschiedlichen Profilen und Qualifikationen vertreten sein.“ Die Finanzaufsicht achte darauf, dass bei der Bestellung von Aufsichtsräten alle Regularien eingehalten würden – „und das war hier der Fall“.
Positiv äußerte sich der Bundesbank-Vorstand auch zu den großen Restrukturierungsprogrammen von Deutscher Bank und Commerzbank. „Im Rahmen des Umbaus müssen beide Institute zunächst durch ein tiefes Tal gehen“, sagte Wuermeling. „Aber ich bin zuversichtlich, dass die Pläne der Institute aufgehen und dass es anschließend wieder bergauf geht.“
Alle deutsche Banken müssen sich aus Wuermelings Sicht auf ein schwieriges Jahr einstellen. „Der Druck auf die Banken wird 2020 noch größer.“ Der Gegenwind durch die Negativzinsen werde nicht nachlassen.
„Und den Banken wird es wegen des konjunkturellen Abschwungs weniger gut als in den vergangenen Jahren gelingen, fallende Erträge durch die Ausweitung des Kreditgeschäfts und die rückläufige Risikovorsorge zu kompensieren.“
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Herr Wuermeling, der Wechsel von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank bewegt die Gemüter. Kritisiert wird unter anderem seine fehlende Finanzexpertise. Wie beurteilen Sie den Fall?
Ich werde mich nicht an der Diskussion beteiligen, ob Ex-Politiker in das Kontrollgremium einer Bank wechseln sollten. Die Finanzaufsicht achtet darauf, dass in dem Bestellungsverfahren alle Regularien eingehalten wurden – und das war hier der Fall. Grundsätzlich ist es gut, wenn Kontrollgremien breit aufgestellt sind. In einem Aufsichtsrat sollen Menschen mit unterschiedlichen Profilen und Qualifikationen vertreten sein.
Bafin-Chef Felix Hufeld hat den deutschen Banken im September 2019 vorgeworfen, zu viel zu jammern und vor nötigen Reformen zurückzuschrecken. Hat dieser Weckruf Wirkung gezeigt?
In den zurückliegenden fünf Monaten hat es sehr viel Bewegung gegeben. Die beiden privaten Großbanken haben sehr ambitionierte Restrukturierungsprogramme aufgelegt. Der öffentlich-rechtliche Sektor berät über ein Zusammengehen von Helaba und Dekabank. Wichtig ist, dass diese Dynamik beibehalten wird. Denn der Druck nimmt eher zu als ab.
Wie sehen Sie die Gespräche von Deka und Helaba über eine mögliche Fusion?
Wir finden es immer vorteilhaft, wenn über eine effizientere Aufstellung von Instituten nachgedacht wird. Letztlich ist es aber eine Entscheidung der Eigentümer, nicht der Aufsicht. Diese sehr ernsthafte Debatte im Sparkassenlager ist ein Zeichen dafür, dass der Sektor die Signale verstanden hat und nicht nur darauf hofft, dass die Zinsen wieder steigen und neue Wettbewerber wieder verschwinden.
Commerzbank und Deutsche Bank liegen bei der Marktkapitalisierung und bei den Ergebnissen hinter europäischen und internationalen Konkurrenten. Reichen die angestoßenen Umbauprogramme, um den Abstand zu verringern?
Im Rahmen des Umbaus müssen beide Institute zunächst durch ein tiefes Tal gehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Pläne der Institute aufgehen und dass es anschließend wieder bergauf geht. Wir achten dabei streng auf die Einhaltung der aufsichtlichen Anforderungen und mahnen Korrekturen an, wenn nötig.
Wie beurteilen Sie die Situation bei kleinen und mittelgroßen Banken?
Wir beobachten, dass viele deutsche Banken ihre Hausaufgaben machen und schmerzhafte und unpopuläre Entscheidungen treffen. Sie geben negative Zinsen an ihre Kunden weiter. Sie erhöhen Gebühren und schließen Filialen. Sie fusionieren mit anderen Instituten. Das sind alles betriebswirtschaftlich sinnvolle, aber höchst unpopuläre Maßnahmen, die zum Teil gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden müssen – intern, bei den Kunden und auch in der Öffentlichkeit.
Finden Sie es als Bankenaufseher positiv, dass immer mehr Banken Negativzinsen an ihre Kunden weitergeben?
Die Bereitschaft der Banken zur Weitergabe von Negativzinsen steigt. Das kann kaufmännisch sinnvoll sein, um die Erträge zu stabilisieren oder zu steigern. Auf der anderen Seite riskieren Banken, dadurch im Wettbewerb mit anderen Geldhäusern Kunden zu verlieren. Am Ende ist es eine geschäftspolitische Abwägung, die jede Bank selbst treffen muss – und nicht die Bankenaufsicht.
Wie sind die Aussichten der deutschen Banken im Jahr 2020?
Der Druck auf die Banken wird 2020 noch größer. Der Gegenwind durch die Negativzinsen wird nicht nachlassen. Und den Banken wird es wegen des konjunkturellen Abschwungs weniger gut als in den vergangenen Jahren gelingen, fallende Erträge durch die Ausweitung des Kreditgeschäfts und die rückläufige Risikovorsorge zu kompensieren.
Brauchen wir Konsolidierung, um die Probleme der deutschen Banken zu lösen?
Ich verstehe unter Konsolidierung nicht nur Fusionen, sondern auch Filialschließungen, Kooperationen, die Zusammenlegung von Aktivitäten und Auslagerungen. Der Instrumentenkasten ist relativ groß – und er wird zunehmend genutzt. Das führt in erster Linie dazu, dass die Banken ihre Kosten reduzieren.
Reicht das aus, um die geringe Profitabilität der meisten Banken spürbar zu steigern? Aktuell verdient kaum ein Geldhaus seine Kapitalkosten.
Das Grundproblem ist, dass in Deutschland relativ zur Kreditnachfrage ein Überangebot an Einlagen besteht. Das hat zu einem Preisverfall bei Zinsen für Darlehen und anderen Bankdienstleistungen geführt. Dieses Ungleichgewicht lässt sich durch Konsolidierung nicht beheben. Der Einlagenüberschuss bleibt bestehen, auch wenn Banken aus dem Markt ausscheiden.
Ist die Diagnose vieler Experten falsch, dass es in Deutschland zu viele Banken gibt?
Man greift zu kurz, wenn man nur die Zahl der Banken betrachtet. Deutsche Institute haben in den vergangenen Jahren einiges getan und sind effizienter als ihr Ruf. In Frankreich kümmert sich eine Bankfiliale im Schnitt um 1835 Einwohner, in Deutschland fast um 3000. Damit liegt Deutschland europaweit im Mittelfeld. Das Gleiche gilt, wenn man das Verhältnis von Bankmitarbeitern zu Einwohnern betrachtet.
Warum verdienen die Banken hierzulande dann so wenig?
Die deutschen Banken haben weniger ein Kostenproblem, sondern vor allem ein Ertragsproblem. Die Banken in den USA kommen im Kreditgeschäft im Schnitt auf eine Zinsmarge von rund 2,5 Prozent, in Deutschland liegt sie etwa bei einem Prozent. In anderen europäischen Ländern ist die Marge etwas höher; das kann aber auch daran liegen, dass die Banken dort Kredite mit höheren Risiken finanzieren.
Was lässt sich gegen die Diskrepanz zwischen zu vielen Einlagen und zu wenig Kreditnachfrage tun?
Im Zuge der Digitalisierung und des Ziels der CO2-Minimierung könnte es in den kommenden Jahren zu einer signifikanten Transformation der deutschen Wirtschaft kommen. Damit verbunden wäre ein erheblicher Finanzierungsbedarf. In der Folge könnte es zu einer besseren Balance zwischen Einlagen und Krediten kommen. Darauf verlassen sollten sich die Banken aber nicht. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle an die aktuellen Rahmenbedingungen anpassen.
Kürzlich wurde bekannt, dass die EZB die Institutssicherung der öffentlich-rechtlichen Banken prüft. Stellt sie das System grundsätzlich infrage?
Wir stellen die Institutssicherung nicht infrage. Aber weil die Sicherungssysteme historisch gewachsen sind, gibt es an der einen oder anderen Stelle zu viel Komplexität. Wir haben an einigen Beispielen gesehen, dass die Institutssicherung funktioniert, es aber sicherlich Optimierungsbedarf gibt.
Heißt das, dass Sparkassen und Landesbanken die Zahl ihrer unterschiedlichen Haftungstöpfe von 13 auf einen verringern sollen?
Bisher hat das System auch in Krisen funktioniert. Es geht nun darum, die Strukturen zu vereinfachen und schnellere Entscheidungen zu ermöglichen. Und die Stabilität auf nationaler Ebene zu sichern.
Anfang des Jahres hat eine Hackerattacke auf den Sparkassendienstleister Finanzinformatik und die Direktbank DKB den Zahlungsverkehr bei Hunderten deutschen Banken lahmgelegt. Beunruhigt Sie das?
Leider können heute großvolumige Angriffe, die sehr großen Schaden anrichten, relativ einfach gefahren werden – die Instrumente dafür lassen sich im Internet problemlos beschaffen. Unsere Erwartung ist, dass große Banken und Rechenzentren solche einfachen Angriffe abwehren können. Wichtig ist es, einen gewissen Grundschutz aufzubauen. Allgemein gilt, dass sich ein Großteil der IT-Pannen bei Banken verhindern ließe, wenn die Geldhäuser die Mindestsicherheitsstandards einhalten würden.
Ist den Banken der Ernst der Lage nicht bewusst?
Die Sensibilität der Banken für IT-Risiken ist erheblich gestiegen. Durch die Digitalisierung hat jedoch die Attraktivität von Banken als Ziel von Cyberattacken mindestens im gleichen Maße zugenommen. Es ist ein permanenter Kampf mit den Hackern, die ebenfalls aufrüsten. Für die europäische Bankenaufsicht wird IT-Sicherheit deshalb auch 2020 ein Prüfungsschwerpunkt bleiben.
Wie hoch ist das Risiko, dass Bigtechs, also die großen Internetfirmen, den Banken in den nächsten Jahren noch mehr Erträge streitig machen?
Die Konkurrenz durch Bigtechs wächst. Das sind schwierige Wettbewerber, weil sie nicht unbedingt das Ziel haben, mit dem Bankgeschäft Geld zu verdienen. Banking rundet ihr Kerngeschäft lediglich ab, mit dem Ziel, noch mehr Besucher auf ihre Plattform zu locken. Durch erhöhte Besucherzahlen steigen dann auch die Einnahmen.
Wäre es ein Problem, wenn die Bigtechs das Privatkundengeschäft übernähmen?
Wenn das geschieht, dann müssten wir darüber nachdenken, ob die vorhandenen aufsichtlichen Instrumente ausreichen, um die Stabilität des Finanzsystems sicherzustellen. Schließlich stellt sich die Frage, ob diese Internetriesen auch die Finanz‧intermediation, also die Vermittlung zwischen Kapitalnachfrage und Kapitalangebot, übernehmen würden. Bislang ist das nicht der Fall, aber wir bleiben hier sehr wachsam.
Das Thema Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Welche Rolle spielt es künftig im Bankgeschäft?
Wir erwarten von den Banken, dass sie Nachhaltigkeitskriterien in Zukunft stärker berücksichtigen. Damit beschäftigten sich unter anderem der SSM, die EU-Bankenaufsichtsbehörde Eba und der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht. Auch die Bafin hat sich dem Thema gewidmet und ein Merkblatt veröffentlicht. Mit dem Merkblatt werden aber keine verbindlichen Vorschriften für das Risikomanagement etabliert. Das sollte Deutschland auch erst tun, wenn es internationale oder zumindest europäische Standards gibt.
Warum so zögerlich?
Weil wir sehen, dass das Bewusstsein für das Thema auch ohne verbindliche Regelungen steigt. Und weil die Thematik sich zugleich so sehr im Fluss befindet, dass es zu früh ist, verbindliche Vorgaben zu machen, die kurz darauf schon wieder angepasst werden müssten.
Sollen Banken künftig nur noch „grüne“ Unternehmen finanzieren?
Natürlich nicht. Die Bankenaufsicht wird den Banken nicht vorgeben, welche Art von Kreditgeschäft sie machen. Mir wurde kürzlich die Frage gestellt, ob ein konventioneller Landwirt noch einen Kredit für einen neuen Traktor bekommt. Selbstverständlich. Auch wenn eine Bank eine Finanzierung in der Kohleförderung eingeht, werden wir uns nicht einmischen. Wir wollen die Institute lediglich dazu anregen, sich mit den Risiken durch den Klimawandel und dem damit verbundenen Umbau der Wirtschaft auseinanderzusetzen. Welche Geschäfte zukünftig noch gemacht werden, ist eine Entscheidung des Managements und keine der Bankenaufsicht.
Was heißt das konkret für die Banken?
Sie müssen bei der Bonitätsprüfung von Kunden berücksichtigen, ob deren Geschäft einem besonderen Risiko durch den Klimawandel oder der damit verbundenen Transformation der Wirtschaft ausgesetzt ist. Unternehmen mit höherem Klimarisiko müssen also früher oder später mit schlechteren Kreditkonditionen rechnen. Denn für höhere Risiken müssen die Banken auch mehr Eigenkapital zur Seite legen.
Die EZB hat angedeutet, dass es einen separaten Stresstest zum Klimawandel geben könnte. Was ist geplant?
Noch geht es in erster Linie um die Frage, wie ein Stresstest sinnvoll konzipiert werden kann. Vorstellbar ist, dass Banken ermitteln, welche Auswirkungen bestimmte Klimaszenarien auf das Ausfallrisiko ihrer Kredite hätten. Es geht dabei nicht um eine generelle Klimabilanz von Banken, also um die Frage, wie viel CO2-Ausstoß ein Institut finanziert, sondern um das Risiko in den Büchern der Banken. Die richtigen Methoden dafür müssen erst noch entwickelt werden.
Das klingt nicht so, als würde es bald einen grünen Stresstest geben.
Wir wollen nichts überstürzen. Wir wollen einen solchen Test erst machen, wenn er auch belastbare Ergebnisse liefern kann. Doch allein die Tatsache, dass wir Klimarisiken im Rahmen der Niedrigzinsumfrage unter deutschen Banken thematisiert haben, ist ein Signal.
Ich gehe fest davon aus, dass bei der nächsten Umfrage bereits deutlich mehr Kreditinstitute angeben, dass sie sich mit dem Thema beschäftigen. Schritt für Schritt wird sich dann auch eine aussagekräftige aufsichtliche Methodik entwickeln.
Herr Wuermeling, vielen Dank für das Interview.
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