Ökonom Thomas Piketty: Der Robin Hood des Kapitalismus
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Ökonom Thomas PikettyDer Robin Hood des Kapitalismus
In seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ liefert Ökonom Thomas Piketty den Kapitalismuskritikern die Argumente. Der „neue Marx“ zeigt, wie sehr die Schere zwischen Arm und Reich ist und trifft den Nerv der Zeit.
Der leidenschaftliche Datensammler liefert den Kapitalismuskritikern die wissenschaftliche Grundlage für ihre Attacken.
(Foto: Vincent Capman/Riva Press/laif)
London Es ist zwar nicht so schmutzig und dunkel wie in der kleinen Wohnung in der Londoner Dean Street, in der Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Familie lebte und arbeitete. Wer jedoch Thomas Piketty in seinem bescheidenen Büro am Boulevard Jourdan im Pariser Süden besucht, ist erst einmal ernüchtert: Der neue Star der Ökonomie arbeitet an einer unwirtlichen Ausfallstraße, an der eine zusammengezimmerte Holzhütte hinter einer grünen Hecke den versteckten Eingang zur École d’économie de Paris markiert.
Hinweistafeln zum Büro des bekanntesten Ökonomen Frankreichs sucht der Besucher des kleinen Campus vergebens. Der grünliche Linoleumboden im Treppenaus des schmucklosen Hochschulgebäudes erinnert eher an eine Amtsstube als an einen Tempel der Wissenschaft.
Der „neue Marx“
Die Treppe rauf im zweiten Stock findet man dann zwischen Toilette und Drucker eine offene Tür: Dort sitzt der „neue Marx“ eingerahmt von Bücherregalen auf etwa 15 Quadratmetern vor einem penibel aufgeräumten Schreibtisch und erforscht die wachsenden Widersprüche zwischen Arm und Reich im Kapitalismus. „Tut mir leid, wir bauen gerade um“, entschuldigt sich Piketty für die Baustelle vor der Tür. Der Gründer der Pariser Ökonomen-Schmiede fühlt sich als Gastgeber „seiner“ Hochschule.
Vergleiche mit Karl Marx liebt der 43-jährige Franzose allerdings nicht. Obwohl er mit dem Titel seines Bestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ganz bewusst die Nähe zum Urvater des Kommunismus und zu dessen Opus Magnum gesucht hat. Schon rein äußerlich könnten die beiden Männer unterschiedlicher kaum sein: Mit seinen kurzen schwarzen Haaren und dem jungenhaften Gesicht wirkt Piketty geradezu wie ein Gegenentwurf zum Altmeister. „Jeder, der meine Texte liest, weiß, dass ich kein Marxist bin“, sagt er, „der Kommunismus hat auf mich nie einen besonderen Reiz ausgeübt.“ Der Ökonom sagt das sehr bestimmt, es klingt wie eine Rechtfertigung. Seine politischen Überzeugungen – er spricht sich für Privateigentum und Marktwirtschaft aus – ähneln denn auch eher denen eines Sozialdemokraten. Von der sozialistischen Regierung in Frankreich hält Piketty jedenfalls nicht allzu viel. Als Präsident François Hollande ihm kürzlich für seinen Bucherfolg den Orden der Ehrenlegion verleihen wollte, lehnte er brüsk ab. Die Regierung solle lieber für mehr Wachstum sorgen, ließ er den Élysée-Palast wissen.
Sein Heimatland hat den Ökonomen lange verkannt. Als Pikettys bahnbrechendes Werk über den modernen Kapitalismus im Jahr 2013 in Frankreich erschien, wurde es kaum wahrgenommen. Erst die englische Übersetzung im März 2014 machte ihn weltweit bekannt. Seitdem kann er sich vor Einladungen kaum retten. „Ich war gerade in Südkorea und China und reise demnächst nach Südamerika“, berichtet Piketty und blättert durch seinen vollen Kalender.
Vita Thomas Piketty
Der 43-jährige Ökonom begann sein Studium an der Pariser École Normale Supérieure. Seine Promotion, für die er auch an der London School of Economics forschte, widmete Piketty der Umverteilung der Einkommen und Vermögen. Von 1993 bis 1995 lehrte er an der US-Elite-Uni Massachusetts Institute of Technology. Piketty war Berater der sozialistischen Präsidentschaftskandidatin Segolène Royal, die 2007 Nicolas Sarkozy unterlag. Piketty ist mit der Ökonomin Julia Cagé verheiratet und hat drei Töchter.
Seit Karl Marx hat sich kein Ökonom mehr so intensiv mit dem Innenleben des Kapitalismus beschäftigt wie Thomas Piketty. Sein Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ist in kürzester Zeit zu einem Bestseller geworden und in 30 Ländern erschienen. Inzwischen hat er mehr als 1,5 Millionen Exemplare verkauft. Piketty zeigt darin, dass die Rendite des Kapitals langfristig stets stärker wächst als die Wirtschaft. Die Kapitalbesitzer werden immer reicher, die Ungleichheit steigt.
Angefeuert durch die „Occupy-Bewegung“
Das größte Aufsehen erregte Pikettys „Kapital“ jedoch in den Vereinigten Staaten, wo seit zwei Jahren eine heftige Debatte über die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich tobt. Ausgelöst und angefeuert durch die „Occupy-Bewegung“ an der Wall Street. Der linke Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman bezeichnete Pikettys Werk als das „womöglich wichtigste Buch des Jahrzehnts“. Inzwischen wird selbst im kommunistischen China über die größer werdende Einkommensschere diskutiert. Es gibt sogar ernsthafte ökonomische Studien, die die Beinfreiheit in Passagierflugzeugen messen – und zwar mit Hilfe des Gini-Koeffizienten, der nach dem italienischen Statistiker Corrado Gini benannten Maßzahl zur Darstellung von ungleichen Verteilungen. Mit anderen Worten: Ungleichheit ist eines der heißesten ökonomischen Themen der Gegenwart. Das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt zu schreiben ist eben auch eine Kunst.
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