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Preisentwicklung Türkische Inflation steigt auch im September deutlich – Für Erdogan sind die Preise „ziemlich in Ordnung“

Selbst Regierungsanhänger verlieren die Geduld angesichts der hohen Preise. Einige Firmen melden Rekordgewinne – der größte Profiteur ist aber die Opposition.
04.10.2021 Update: 04.10.2021 - 15:07 Uhr 1 Kommentar
Die starken Preissteigerungen machen sich unter anderem bei Lebensmitteln besonders bemerkbar. Quelle: AP
Ein Markt in Istanbul

Die starken Preissteigerungen machen sich unter anderem bei Lebensmitteln besonders bemerkbar.

(Foto: AP)

Istanbul Die politische Basis von Recep Tayyip Erdogan bröckelt. Schuld sind die hohen Preise im Land – sie könnten den türkischen Präsidenten bei der nächsten Wahl in gut anderthalb Jahren das Amt kosten.

Nach Angaben des türkischen Statistikinstituts Tüik vom Montagmorgen sind die Preise im Land allein im September um 1,25 Prozent gestiegen. Auf das Jahr gerechnet ergibt sich eine derzeitige Teuerungsrate von 19,58 Prozent. Das sind 0,33 Prozentpunkte mehr als vor einem Monat. Klar ist damit: Die Preise im Land werden weiter steigen. Ein Ende des Preisauftriebs – wie von der Regierung in Ankara gewünscht – ist nicht in Sicht.

Dass die veröffentlichten Inflationszahlen stimmen, glauben laut einer Umfrage nur wenige in der Türkei. 94 Prozent der Befragten denken, dass die tatsächliche Teuerungsrate noch höher ausfällt. Die Zustimmung für die Regierung in Ankara schwindet unter denselben Befragten.

Der türkische Präsident scheint das nicht wahrhaben zu wollen. Nach einem Supermarktbesuch nahe seinem Privathaus in Istanbul erklärte Erdogan vor laufenden Kameras: „Wie Sie sehen, gibt es viele verschiedene Produkte in guter Qualität, und die Preise sind ziemlich in Ordnung.“

Doch Tatsache ist: Die Preise steigen drastisch. So wurden die Gaspreise Ende September per Beschluss um 15 Prozent angehoben. Die Preise für Benzin und Diesel stiegen jüngst um 0,29 Lira oder um durchschnittlich 3,5 Prozent an. Der Istanbuler Taxifahrer Mustafa Canbaz klagt: „Wir müssen mehr bezahlen, dürfen aber nicht mehr Geld verlangen.“

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Auch Lebensmittel haben sich stark verteuert: Der Preis für eine Packung mit 36 Eiern, wie sie in türkischen Supermärkten häufig verkauft wird, ist binnen eines Jahres von 17 auf 34 Lira gestiegen. Ein Fünf-Liter-Eimer Joghurt, eine der Hauptzutaten in der türkischen Küche, hat im selben Zeitraum von 13 auf 20 Lira angezogen.

Um gegen die hohen Mietpreise zu demonstrieren, sind zudem in den vergangenen Tagen in Großstädten Studierende auf die Straßen gegangen. „Wir können uns keine Wohnung mehr leisten“, stand auf mehreren Plakaten. In Istanbul sind Mietpreise innerhalb der vergangenen zwölf Monate im Schnitt um 66 Prozent gestiegen.

Auch innerhalb der Regierung steigt der Frust ob der hohen Preise. Ein Regierungsbeamter beschwerte sich hinter vorgehaltener Hand, dass er sich angesichts der stark steigenden Preise kaum noch etwas leisten könne. Urlaube seien nicht mehr drin, weil die schwache Lira Ausgaben im Ausland noch teurer macht. Eine Anhängerin der Regierungspartei AKP erklärte, dass die Gehälter nicht mit der Inflation mithielten.

Preisvergleiche in sozialen Medien

In sozialen Medien verbreiten Türkinnen und Türken seit einiger Zeit Preisvergleiche. Als Maßstab nehmen sie etwa den Mindestlohn und berechnen anhand dessen, was man sich davon leisten kann.

So kostet eine Packung türkischer Tee der staatlichen Firma Caykur derzeit 25,95 Lira. Der Mindestlohn liegt bei 2825 Lira. In Deutschland kostet derselbe Tee 4,99 Euro. Bei einem exemplarischen Monats-Mindestlohn von 1800 Euro könnte man sich in Deutschland 360 Packungen Tee leisten, in der Türkei nur 108 Packungen.

Beim Autokauf wird die schwindende Kaufkraft noch deutlicher. Für einen neuen VW Polo muss ein türkischer Mindestlöhner 88 Monate sparen, ein Deutscher neun Monate.

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Die Gründe für den Preisanstieg sind vielfältig. Eine große Rolle spielen die derzeitigen Energiepreise. Sowohl Öl als auch Gas werden an den Weltmärkten immer teurer. Das Barrel Rohöl kostet mit rund 80 US-Dollar so viel wie seit 2018 nicht mehr. Auch Eisen und Stahl haben sich verteuert, ebenso wie der Zement-Grundstoff Bitumen.

Auch die schwache Währung spielt eine wichtige Rolle. Die türkische Lira ist zuletzt erneut auf ein Rekordtief gesunken: Seit einer Woche kostet ein US-Dollar etwa 8,89 Lira. Der Euro war zeitweise 10,4 Lira wert. Und: Die Zentralbank, deren Gouverneure schon seit Langem kaum etwas zu melden haben, senkte im September die Leitzinsen, obwohl die Inflation steigt.

Außerdem haben die coronabedingten Lockdowns der vergangenen Monate zu einem Stau sowohl beim Konsum als auch bei Investitionen geführt. Viele Konsumenten, die während der schlimmsten Pandemiemonate aus Unsicherheit keine größeren Anschaffungen tätigten, holen dies nun nach. Kühlschränke, Autos, Urlaub – all dies wird jetzt wieder stärker nachgefragt. Und wenn die Nachfrage plötzlich steigt, steigen auch die Preise.

Firmen wie der Elektrogerätehersteller Arcelik melden Rekordumsätze, die teilweise die Erlöse aus den Vor-Covid-Jahren noch übersteigen. Hotels an der Südküste des Landes leiden zwar unter den teils immer noch bestehenden Reisebeschränkungen für Ausländer, die in die Türkei reisen wollen. Dafür sieht man immer mehr Inländer an türkischen Stränden. Gerade reiche Bürger, die vorher genug Geld für Reisen nach Europa oder in die USA hatten, geben ihr Geld nun im Land aus.

Opposition macht sich Lage zunutze

Trotzdem erhöhten viele Forschungsinstitute jüngst die Wachstumsprognose für das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das Institute of International Finance (IIF) etwa geht nun von einem BIP-Wachstum in Höhe von acht bis neun Prozent für das Jahr 2021 aus. Bisher rechneten Experten mit fünf bis sechs Prozent Wachstum.

Dennoch prophezeit der Kolumnist Erdal Saglam der Türkei einen „schwarzen Winter“. Wenn etwa die US-Notenbank Fed die Zinsen allmählich wieder anhebe, bekämen Schwellenländer wie die Türkei die Verengung der Geldströme stärker zu spüren als andere Länder. 

Die Opposition macht sich die Lage gezielt zunutze. Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu von der republikanischen CHP verspricht, im Falle seiner Wahl zum Präsidenten die Preisausschläge zu stoppen und alle Gesellschaftsschichten zu fördern, damit niemand unter den hohen Preisen leiden muss.

Wie er das finanzieren will, ist unklar. Trotzdem verfängt seine Strategie. „Die Leute müssen sich Geld leihen, um Tomaten und Paprika zu kaufen“, schrieb Kilicdaroglu am Sonntagabend in einem Tweet, der innerhalb von zwei Stunden fast 18.000-mal geliked worden ist.

Die einzige Quelle dieser misslichen Lage sei der Präsident. Kilicdaroglu spricht Erdogan direkt an: „Wenn wir am Wahlabend aus dir Geschichte machen, dann wirst du sehen, wie die Preise fallen.“

Mehr: Türkische Notenbank überrascht mit Zinssenkung

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  • Nach dem 2. Weltkrieg ab es weltweit Devisenbewirtschaftung. Daran sollte sich der Sultan orientieren. Wertvolle Devisen für Statussymbole wie französisches Parfüm auszugeben, sollte unterbunden werden. Die Nachfrage nach Devisen muss sinken, das stützt die Lira. Außerdem würde es den Finanz-Matadoren ein weiteres Spielzeug wegnehmen - die Devisen-Spekulation. Allerdings ist den sich verteuernden Energiepreisen nicht viel entgegen zu setzen, es herrscht Weltmarkt. Einzelne Staaten sind dagegen nahezu machtlos. Europa geht es diesbezüglich nicht besser. Diese Art von Inflation ist hinzunehmen. Mittelfristig allerdings kann man gegen hohe Energiepreise scharf vorgehen, durch Regeln für Bauten. Nur noch Wohnanlagen bauen, hohe Zahl von Stockwerken, und Klein-Energie-Anlagen installieren. Photovoltaik, Solar-Thermie, hochvolumige Warm-Wasser-Saison-Speicher, Kraft-Wärme-Koppelungen. Wärmepumpen nicht notwendig. So würde die benötigte Primärenergie um mindestens 50% reduziert werden können. Die benötigte Technik wird meist durch Mittelständler inländisch produziert, das Handwerk hat Aufträge für Installation und Service.

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