US-Notenbank Powell oder Brainard? Der US-Präsident steht vor der Entscheidung über die künftige Notenbank-Spitze

Die beiden Topfavoriten für den Spitzenposten bei der US-Notenbank Fed.
New York, Frankfurt US-Präsident Joe Biden könnte noch in dieser Woche eine Entscheidung für den wahrscheinlich weltweit wichtigsten Job im globalen Finanzsystem treffen. Will er dem Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Jerome Powell, eine zweite Amtszeit gönnen oder ist es Zeit für einen Wechsel? Notenbank-Gouverneurin Lael Brainard wäre dafür die aussichtsreichste Kandidatin – beide sind bereits zu Gesprächen im Weißen Haus erschienen.
Die Entscheidung kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt. Die Fed hat die Inflationsentwicklung in diesem Jahr unterschätzt. Im Oktober stiegen die US-Verbraucherpreise um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr – der höchste Wert seit 31 Jahren. Anfang November kündigte Powell zwar an, die massiven Anleihekäufe nun schrittweise auslaufen zu lassen. Aber die Märkte erwarten, dass die Notenbank ihre Geldpolitik schneller strafft.
Auch wenn sich die beiden in ihrer grundsätzlichen geldpolitischen Ausrichtung ähneln, hat die Personalie große Bedeutung für die künftige Richtung der Fed. Zum einen weil Brainard noch deutlicher als Anhängerin einer lockeren Geldpolitik gilt, aber auch weil die Kandidatin in Sachen Bankenregulierung einen deutlich strikteren Kurs fährt als Powell.
„Biden bekommt Druck vom linken Flügel der Partei, sich für Brainard zu entscheiden. Aber mitten in der derzeitigen Aufregung um die Inflation würde er ignorant wirken, wenn er sich für eine noch größere geldpolitische Taube entscheidet“, gibt Daniel Alpert von der Investmentbank Westwood Capital zu bedenken.
Auch Commerzbank-Ökonom Bernd Weidensteiner meint, der US-Präsident mache sich „natürlich angreifbarer, wenn er Brainard für die Fed-Spitze nominiert“. Die Republikaner würden ihm „dann vorwerfen, die Inflation anzuheizen“. Ohnehin warnen viele Ökonomen und Investoren davor, dass die Fed die Inflationsrisiken unterschätzt.
Top-Ökonom: „Fed hätte viel früher mit Tapering beginnen müssen“
So moniert Mohamed El-Erian, der ökonomische Chefberater der Allianz, seit Monaten, dass die US-Notenbank viel früher mit der Reduzierung der Anleihekäufe, Tapering genannt, hätte beginnen müssen. Powell hatte das Tapering erst auf der jüngsten Fed-Sitzung Anfang November verkündet.
Vergangene Woche bezeichnete El-Erian die Haltung der Fed zum Thema Inflation als „die größte Fehleinschätzung seit Jahrzehnten“. Eine Reihe von renommierten Ökonomen haben in den vergangenen Tagen ihren Druck auf Powell erhöht. So forderte etwa der frühere Chef der regionalen Fed in New York, Bill Dudley, dass die Fed ihre Anleihekäufe noch schneller reduzieren müsste als gerade angekündet. Auch Larry Summers, früherer Finanzminister, hatte sich ähnlich geäußert.
Die Fed geht dagegen weiterhin davon aus, dass der aktuelle Preisschub vorübergehend ist. In seiner Pressekonferenz Anfang November sagte Notenbankchef Powell, er rechne damit, dass die Inflation im zweiten oder dritten Quartal wieder sinkt. „Wir schauen uns das genau an und werden unsere Politik dementsprechend ändern.“ Er äußerte Verständnis dafür, dass steigende Benzinpreise und Heizkosten viele Menschen hart treffen, wandte sich aber gegen eine schnellere Straffung der Geldpolitik. „Wir glauben nicht, dass es eine gute Zeit ist, Zinsen zu erhöhen.“ Erst müsse sich der Arbeitsmarkt weiter erholen.
Investoren rechnen mit schnelleren Zinserhöhungen
Investoren dagegen zweifeln daran, ob die Fed diese Linie durchhält. So hat die Notenbank die Inflationsentwicklung in diesem Jahr in ihren Prognosen zunächst deutlich unterschätzt. Außerdem bewerten auch andere Zentralbanken weltweit die Risiken höher. Viele kleinere Notenbanken haben bereits die Zinsen zum Teil deutlich angehoben. Dagegen lassen sich die Fed und die Europäische Zentralbank bei der Straffung deutlich mehr Zeit.
Sowohl in Europa als auch in den USA preisen Investoren frühere Zinserhöhungen ein, als die Notenbanken signalisiert haben. Außerdem sind die Inflationserwartungen, die sich aus Marktpreisen ableiten, in beiden Regionen zuletzt deutlich gestiegen. In den USA preist der Terminmarkt laut Daten der Optionsbörse CME bereits eine Zinserhöhung im Juni 2022 mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent ein. Das ist früher als die Fed selbst signalisiert hat.

Kritiker der Fed-Politik.
Die Notenbank geht momentan davon aus, dass ihre Anleihekäufe zu diesem Zeitpunkt enden. Nach der Finanzkrise hatte sie nach dem Auslaufen der Nettokäufe aber mehr als ein Jahr bis zur ersten Zinserhöhung gewartet. Laut den Prognosen der Mitglieder des geldpolitischen Ausschuss der Fed vom September rechnet jetzt die Hälfte der Mitglieder mit einer ersten Zinserhöhung 2022 – die andere Hälfte der Mitglieder erst ab 2023.
Das könnte sich im Dezember ändern, wenn die Fed neue Zinsprognosen vorlegt. Laut der US-Ökonomin des Anleihehändlers Pimco, Tiffany Wilding, hat sich die Lage durch den unerwartet hohen Anstieg der US-Verbraucherpreise im Oktober geändert. Sie waren um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen – Ökonomen hatten lediglich einen Wert von 5,8 Prozent erwartet.
US-Ökonomin: Anstieg der Mieten als Warnzeichen
Die Preise vieler Einzelhandelsgüter waren stärker als erwartet gestiegen. Als Warnzeichen wertet Wilding vor allem den deutlichen Anstieg der Mieten. Diese machen etwa ein Drittel des Warenkorbs aus, mit dem die Teuerung gemessen wird und verändern sich eher langsam.
Die Zahlen deuteten darauf hin, dass sich „der Mietpreisanstieg schneller als erwartet über das vor der Rezession vorherrschende Tempo hinaus beschleunigen könnte“. Die Pimco-Ökonomin erwartet daher, dass die Fed ihre Inflations- und Zinsprognosen im Dezember 2021 überarbeiten wird. Sie geht davon aus, dass die aktualisierten Prognosen im Mittel zwei Zinserhöhungen im Jahr 2022 und weitere drei bis vier Erhöhungen im Jahr 2023 vorhersagen. Wahrscheinlich werde die Fed daher schon kurz nach dem Ende der Anleihekäufe mit den Zinserhöhungen beginnen.
Der Chef der regionalen Fed von St. Louis, James Bullard, spricht sich bereits für eine möglichst frühe Zinswende im nächsten Jahr aus. Es stünde der Fed gut an, eine straffere Linie zu fahren, um der Inflationsgefahr angemessen zu begegnen, sagte er am Dienstag Bloomberg TV. Dazu könne auch gehören, zunächst das Tempo beim Abbau der Anleihenkäufe zu verschärfen. Damit könne der Prozess des Abschmelzens der Anleihenkäufe - im Fachjargon Tapering genannt - bereits im März abgeschlossen sein und nicht erst im Juni 2022. Dadurch würde auch die Tür für eine Zinserhöhung weit früher geöffnet.

Die US-Notenbank geht von einem vorübergehenden Inflationsschub aus.
Der Druck der Märkte auf die Fed ist also hoch. Wer auch immer die nächsten vier Jahre an ihrer Spitze steht, muss diesen Druck aushalten. Rein geldpolitisch unterscheiden sich Powell und Brainard nicht prinzipiell, es geht eher um graduelle Unterschiede.. „Sie liegen auf einer Linie. Brainard hat den Kurs der Fed in den vergangenen Jahren stets mitgetragen“, sagt Commerzbank-Ökonom Weidensteiner. Die Ansichten beider Kandidaten zum Thema Inflation und Zinswende waren in diesem Jahr weitgehend identisch. Brainard war wie Powell ebenfalls der Meinung, dass die Preisanstiege nur ein temporäres Phänomen sein würden.
Powell nimmt hohe Inflationsraten in Kauf
Immer wieder zeigten sich Ökonomen in den vergangenen Monaten überrascht, wie sehr Powell, einem Republikaner, daran gelegen ist, den Arbeitsmarkt zu stützen und all jenen, die von der Pandemie besonders hart getroffen wurden, zu helfen – und im Gegenzug höhere Inflationsraten in Kauf zu nehmen.
Bidens ökonomisches Beraterteam und verschiedene demokratische Senatoren haben sich für Powell ausgesprochen. Allerdings steht die Partei nicht geschlossen hinter ihm. Die frühere Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren hatte ihn zuletzt als „gefährlich“ bezeichnet, weil er sich beim Thema Bankenregulierung zu sehr auf die Seite der großen Finanzinstitute geschlagen hätte. Außerdem standen Powell und andere Fed-Gouverneure zuletzt auch wegen privater Wertpapierkäufe in der Pandemie in der Kritik.
Deutlich größer sind die Differenzen zwischen Powell und Brainard beim Thema Finanzregulierung. Seitdem Powell 2018 die Führung der Fed übernahm, stimmte Brainard 23-mal gegen die Entscheidungen des Gremiums, meist setzte sie sich gegen die Lockerung der Regulierungsvorschriften für Großbanken ein. Fed-Präsidenten sind in der Regel darauf bedacht, Konsens unter den führenden Geldpolitikern herzustellen.
Auch beim Thema Kryptowährungen sind sich die beiden Kandidaten uneins. Brainard, die als Tochter eines US-Diplomaten vor dem Mauerfall in der alten Bundesrepublik und in Polen aufgewachsen ist, sprach in den vergangenen Monaten so häufig wie kein anderer Gouverneur über das Thema digitale Währungen.
Brainard will strengere Aufsicht im Krypto-Sektor
Sie tritt bei diesem Thema für eine strengere Aufsicht ein. Außerdem setzt sie sich dafür ein, dass die Fed bei der Erforschung und Entwicklung digitalen Zentralbankgeldes „an der Spitze bleibt“. China ist bereits dabei einen eigenen digitalen Yuan zu implementieren. „Es fällt mir daher sehr schwer mir vorzustellen, dass die USA mit der herausgehobenen Position des Dollars im internationalen Zahlungssystem nicht mit einem ähnlichen Angebot kommen würden“, sagte sie Ende September. Powell ist dagegen zögerlicher, was die Einführung eines digitalen Dollars angeht.
Auch bei der Bekämpfung des Klimawandels ist Brainard die treibende Kraft. Zwar ist die Fed unter Powell dabei, sogenannte Klima-Stresstests für Banken einzuführen, die Aufschluss über die Umweltrisiken in ihren Bilanzen geben. Allerdings ist das Thema hochpolitisch. Gerade unter den Republikanern gibt es eine Reihe von Politikern, die den Klimawandel leugnen oder sich zumindest dagegen aussprechen, dass das Thema von der Notenbank behandelt wird.
Geht es nach Brainard, könnte die Fed hier stärker aktiv werden. „Der Klimawandel könnte weitreichende Konsequenzen haben für das künftige Wirtschaftswachstum und ökonomische Aktivitäten“, betonte sie auf einer Konferenz im Oktober.
Der politisch einfachste Weg für US-Präsident Biden wäre es, Powell im Amt zu bestätigen. Auch angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Senat ließe sich eine weitere Amtszeit für ihn leichter durchsetzen. Ein möglicher Kompromiss könnte sein, dass Powell eine weitere Amtszeit bekommt und Brainard stattdessen auf den demnächst ebenfalls frei werdenden Posten des für die Bankenaufsicht zuständigen bisherigen Vizechefs der Fed, Randal Quarals, rückt. Dieser hatte jüngst angekündigt, sein Amt im Dezember niederzulegen.
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