Verbraucherpreise Deutsche Inflation auf höchstem Stand seit fast einem Jahr – doch der Wert ist trügerisch

Die Lebensmittelpreise haben zuletzt angezogen.
Frankfurt Seit Jahren versucht die Europäische Zentralbank (EZB), die Inflation im Euro-Raum in Richtung ihres Ziels von knapp zwei Prozent zu bringen. Sie hat die Zinsen auf immer neue Rekordtiefs gesenkt und für mehr als zwei Billionen Euro Anleihen gekauft, um dies zu erreichen – bislang ohne das gewünschte Ergebnis.
Aktuell aber zieht die Inflation in Deutschland deutlich an. Im Februar kosteten Waren und Dienstleistungen im Schnitt 1,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte. Nach dem europäischen Maßstab des harmonisierten Verbraucherpreisindexes lag die Rate bei 1,6 Prozent.
Der Anstieg ist aber wegen zahlreicher Sondereffekte sehr schwer zu interpretieren. Dazu zählen nicht nur die CO2-Abgabe und das Ende der temporären Mehrwertsteuersenkung in der zweiten Jahreshälfte 2020.
„Das ist nicht die Art von Inflation, nach der die EZB gesucht hat“, sagt der Chefökonom der niederländischen Großbank ING in Deutschland, Carsten Brzeski. Treiber seien vor allem einmalige Faktoren. Aus seiner Sicht sollte die EZB daher geldpolitisch nicht auf die Entwicklung reagieren.
Der Präsident des Handelsblatt Research Institute, Bert Rürup, sieht das ähnlich. Die Inflationsentwicklung in diesem Jahr sei nicht in erster Linie monetär bedingt, sondern auf Faktoren wie die CO2-Abgabe und den Ölpreis zurückzuführen. Einen Inflationsschub hält er allenfalls dann für denkbar, wenn die Verbraucher nach der Krise stärker ihre Ersparnisse ausgeben.
Die Chefvolkswirtin der KfW, Fritzi Köhler-Geib, geht davon aus, dass sich die Inflation ab 2022 wieder abschwächt. Andere Ökonomen wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer rechnen dagegen mit einer dauerhaft höheren Inflation. Krämer begründet dies unter anderem mit dem Anstieg der Geldmenge im Euro-Raum.
In Deutschland spielen vor allem vier Faktoren eine wichtige Rolle:
CO2-Abgabe
Seit Januar 2021 gilt ein Festpreis je ausgestoßener Tonne CO2 von 25 Euro. Dieser soll schrittweise bis 2025 auf 55 Euro steigen. Das sorgt für höhere Preissteigerungen im Vergleich zum Vorjahr. Der Sachverständigenrat schätzt in einem Papier, dass die Inflation dadurch in diesem Jahr um maximal einen ganzen Prozentpunkt höher ausfallen könnte.
Er geht davon aus, dass die Preise für Kraftstoffe und Heizenergie dadurch um bis zu einen halben Prozentpunkt höher liegen. Zudem erwartet er, dass andere Anbieter – vor allem in energieintensiven Branchen wie zum Beispiel der Chemieindustrie – die höheren Kosten durch steigende Energiepreise an die Kunden zum Teil weiterreichen. Diesen Effekt schätzt der Sachverständigenrat auf maximal einen weiteren halben Prozentpunkt.
Wahrscheinlich haben nicht alle Unternehmen die höheren Energiepreise vollständig weitergereicht. Zudem ist damit zu rechnen, dass sie nicht alle stichtagsgenau auf die neue CO2-Bepreisung reagieren, sondern zum Teil die Preise im Vorfeld angepasst haben oder mit Verzögerung reagieren.
Dennoch heißt es in der Studie des Sachverständigenrats: „Insbesondere im Jahr 2021, dem Jahr der Einführung der CO2-Bepreisung, sind die zu erwartenden Inflationseffekte hoch.“ Es sei wichtig, diese Effekte bei der Beurteilung der Inflation, zum Beispiel durch die EZB, zu berücksichtigen.
Mehrwertsteuer
Ein weiterer Sondereffekt ergibt sich durch die temporäre Mehrwertsteuersenkung in Deutschland. Im Rahmen ihres Konjunkturpakets hat die Bundesregierung den Satz ab Juli 2020 temporär von 19 auf 16 Prozent gesenkt und den reduzierten Satz von sieben auf fünf Prozent. Seit Jahresbeginn nun liegt er wieder auf dem vorherigen Niveau, wodurch die Preise im Vergleich zum Vorjahr auch wieder höher liegen.
In der zweiten Jahreshälfte macht sich dann außerdem der sogenannte Basiseffekt bemerkbar. Weil die Inflation im vergangenen Jahr durch die Mehrwertsteuersenkung ab Juli deutlich niedriger lag, ist sie 2021 dann im Vergleich zu niedrigen Vorjahreswerten umso höher.
Zur Wirkung der Mehrwertsteuersenkung auf die Preise gibt es unterschiedliche Schätzungen. Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts hätte die Mehrwertsteuersenkung bei vollständiger Weitergabe an die Verbraucher einen Preisrückgang von 1,6 Prozent verursacht. Die Bundesbank kommt sogar auf noch höhere Werte.
Tatsächlich ist der europäische Inflationsmaßstab HVPI im Juli jedoch nur von 0,8 auf null Prozent gesunken – und damit deutlich weniger, als die Rechnungen hätten erwarten lassen. Laut Bundesbank wurde die Senkung bei Nahrungsmitteln und Industriegütern viel eher weiteregegeben als bei Dienstleistungen.
Pauschalreisen
Eine Auffälligkeit ist der große Unterschied der Entwicklung der Inflation nach dem europäischen Maß des harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) und dem deutschen Verbraucherpreisindex (VPI). Der HVPI für Deutschland stieg von minus 0,7 Prozent im Dezember auf 1,6 Prozent im Januar – also um 2,3 Prozentpunkte. Der VPI dagegen änderte sich im selben Zeitraum nur um 1,3 Prozentpunkte von minus 0,3 auf 1,0 Prozent.
Die Bundesbank weist in ihrem aktuellen Monatsbericht darauf hin, dass sich dieser Unterschied fast vollständig durch einen statistischen Sondereffekt bei Pauschalreisen erklärt. Beim HVPI werden die Gewichte, mit denen einzelne Waren und Dienstleistungen einfließen, jährlich angepasst – beim VPI dagegen nur alle fünf Jahre.
Durch die Corona-Pandemie hat es hier starke Verschiebungen gegeben. So ist der Anteil von Pauschalreisen zurückgegangen – dagegen erhöhte sich das Gewicht von Mieten und Nahrungsmitteln, deren Preise stärker zugelegt haben. Eine Rolle spielen aber nicht nur diese Gewichtsänderungen im HVPI sondern auch die Besonderheiten bei der Berechnung. Der HVPI ist ein Kettenindex mit Verkettung über den Dezember, es fließen also die Preissteigerungen aus dem laufenden und dem vergangenen Jahr ein.
Die Bundesbank verweist darauf, dass es hier zwei gegenläufige Entwicklungen gab: Im vergangenen Jahr sind die Preise für Pauschalreisen von Januar bis zum saisonalen Hoch im Dezember gestiegen. Dagegen sind sie von Dezember 2020 bis Januar 2021 gesunken. Der Preisanstieg des vergangenen Jahres floss mit dem hohen HVPI-Gewicht des Jahres 2020 ein und wog daher stärker als der Preisrückgang zu Beginn des Jahres, der mit dem niedrigeren HVPI-Gewicht des Jahres 2021 bewertet wurde.
Das führte zu einem kuriosen Effekt: Obwohl die Preise für Pauschalreisen im Januar niedriger waren als im Januar 2020 und ihr Gewicht am HVPI zurückging, haben sie den Wert deutlich positiv beeinflusst. Für Februar schätzt die Bundesbank den Effekt ähnlich hoch ein.
Sie geht davon aus, dass sich dies auch im weiteren Jahresverlauf bemerkbar macht. In den Sommermonaten sollte sich der Effekt aber umkehren. Auf das Gesamtjahr gesehen würden sich die Sondereffekte dann beinahe ausgleichen.
Energiepreise
Ein weiterer Sonderfaktor durch die Corona-Pandemie dürfte sich bei den Energiepreisen zeigen. Im vergangenen Jahr ist der Ölpreis zu Beginn der Krise dramatisch gefallen. Im April 2020 war er für die US-Sorte WTI zeitweise sogar ins Minus gerutscht.
Auch bei den Energiepreisen wird es daher in diesem Jahr einen starken Basiseffekt geben. Die Vergleichswerte aus dem vergangenen Jahr sind deshalb gerade im Frühjahr extrem niedrig, wodurch für die Preise von Benzin und Heizöl in diesem Jahr ebenfalls relativ hohe Steigerungen ausgewiesen werden.
Wegen der starken Schwankungen bei Energiepreisen orientieren sich Notenbanken wie die EZB bei ihrer Geldpolitik nicht nur an der klassischen Inflationsrate, sondern auch an der Kernrate, aus der besonders schwankungsanfällige Preise für Energie und Nahrungsmittel rausgestrichen werden.
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