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Wechselstube in der Türkei

Entgegen den Behauptungen von Staatspräsident Erdogan wird sich der Anstieg der Verbraucherpreise voraussichtlich fortsetzen.

(Foto: AP)

Verbraucherpreise „Schreckliche Zahlen“: Inflation in der Türkei steigt auf über 17 Prozent – Wirtschaftsaufschwung in Gefahr

Präsident Erdogan hofft auf ein Rekordwachstum nach Corona. Die Preissteigerungen machen ihm einen Strich durch die Rechnung – und gefährden auch den Erfolg deutscher Firmen vor Ort.
05.07.2021 - 16:03 Uhr Kommentieren

Istanbul Die Inflation in der Türkei hat im Juni deutlich angezogen. Im Jahresvergleich seien die Verbraucherpreise um 17,5 Prozent gestiegen, teilte das türkische Statistikamt am Montag mit. Im Mai hatte die Jahresinflationsrate bei 16,6 Prozent gelegen.

Im Euro-Raum lag die Inflation auf Jahressicht zuletzt bei rund zwei Prozent. In der Türkei stiegen die Verbraucherpreise im Juni um 1,9 Prozent – allerdings auf Monatssicht. Damit liegt die Inflation knapp zwölfmal höher als in Euro-Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich.

Der Türkei-Analyst Timothy Ash bezeichnet die Zahlen als „schrecklich“. Von Bloomberg befragte Analysten hatten mit einer leicht höheren Inflation bei 16,8 Prozent gerechnet. An die Adresse des Präsidenten der türkischen Notenbank gerichtet schrieb Ash auf Twitter: „Kavcioglu muss endlich Klartext reden und signalisieren, dass er die Leitzinsen anheben kann.“

Genau das würde der gewünschten Wirtschaftspolitik des türkischen Präsidenten widersprechen. Staatschef Erdogan will die Zinsen senken, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die hohe Inflation macht diesen Traum zunichte.

Noch schlimmer: Falls wegen der Delta-Variante die Covid-Infektionszahlen wieder ansteigen sollten, würde das Wirtschaftswachstum in der Türkei gleich doppelt abgewürgt. Darunter würden nicht nur türkische Firmen leiden, sondern auch die deutsche Wirtschaft im Land.

Unternehmen müssen 42,9 Prozent mehr für Rohstoffe zahlen

Getrieben wurde der Anstieg vor allem durch steigende Lebensmittelpreise. Lebensmittel waren im Vergleich zum Vorjahresmonat im Schnitt 20,0 Prozent teurer. Im Mai hatte der Anstieg noch bei 17,0 Prozent gelegen. Die Erzeugerpreise der Unternehmen stiegen im Juni sogar um 42,9 Prozent.

Die steigenden Herstellungskosten der Unternehmen dürften sich zeitverzögert auch auf die Verbraucherpreise durchschlagen. Der schwache Kurs der türkischen Lira verteuert zusätzlich die Einfuhren, gleichzeitig steigen weltweit die Rohstoffpreise. Der Inflationsdruck dürfte also hoch bleiben.

Im Türkei-Werk des oberpfälzischen Automobilzulieferers Grammer läuft es bis dato gut. „Seit Anfang des Jahres haben wir eine hohe Nachfrage und kommen kaum nach“, erklärt Werksleiter Kamil Karaca dem Handelsblatt. Doch die Materialkosten, etwa für Stahl, seien schon jetzt das Hauptproblem. „Diese Kosten müssen wir an die Kunden weitergeben“, erläutert Karaca. Er glaubt, dass sich die Situation erst im vierten Quartal entspannt.

Beim türkischen Automobilzulieferer Parsan freut sich das Management ebenfalls derzeit über eine gute Auftragslage. Das Unternehmen produziert unter anderem Schmiedeteile für die Autoindustrie. „Wir können die Bauteile so optimieren, dass wir mit weniger Material die gleiche Leistung generieren“, erklärt Technikvorstand Peter Wiebe.

Touristen könnten den nächsten Lockdown befördern

Sollten die Materialpreise in der Türkei weiter hoch bleiben, werden auch die Produkte dieser Zulieferer immer teurer – und in der Folge dann die in Europa verkauften Autos, in denen diese Teile verbaut werden.

Seit Ende 2019 legt die Inflationsrate in der Türkei tendenziell zu. In diesem Zeitraum hat sich die Rate ausgehend von etwa acht Prozent mehr als verdoppelt. Die Notenbank strebt auf mittlere Sicht eine Inflationsrate von fünf Prozent an.

Verschiedene Organisationen rechneten zuletzt mit einem relativ hohen Wirtschaftswachstum für die Türkei, Moody’s etwa mit vier Prozent, Fitch Rating sogar mit 6,7 Prozent. Die grassierende Inflation könnte jetzt allerdings für einen herben Dämpfer sorgen. Hinzu kommt, dass im Sommer viele Touristen aus Ländern mit hohem Anteil der Delta-Variante des neuartigen Coronavirus in die Türkei reisen werden, etwa aus Großbritannien. Auch aus Russland, wo die Impfquote relativ niedrig ist, werden Millionen Touristen erwartet.

Die hohe Inflation spricht außerdem gegen baldige Senkungen der Leitzinsen durch die türkische Notenbank. Derzeit liegt der Leitzins bei 19,0 Prozent. Will ein Unternehmen in der Türkei per Kredit das Werk modernisieren oder neue Maschinen kaufen, muss das Management mit über 20 Prozent Zinsen bei der Bank rechnen. Auch das verteuert letztlich die verkauften Produkte – ein Teufelskreis.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich immer wieder für Zinssenkungen ausgesprochen und mit Personalwechseln an der Spitze der Notenbank Druck auf die Notenbank ausgeübt. Jason Tuvey von Capital Economics hält es für unwahrscheinlich, dass die Zentralbank in den nächsten zwei Monaten die Leitzinsen senken kann.

Ende Juni kündigte Erdogan die Bildung eines Komitees an, das die Preise überwachen soll. Die Expertinnen und Experten in dem Gremium sollten sich vor allem die Arbeit der eigenen Regierung vorknöpfen. Per Dekret wurden zuletzt die Steuern auf Alkohol und andere Genussmittel um rund ein Sechstel erhöht.

Außerdem erhöhte die Regierung den staatlich festgelegten Strompreis Ende vergangener Woche um 15 Prozent. Und die Löhne für Beamte und Rentner dürften bald um knapp neun Prozent steigen, um der Inflation Rechnung zu tragen. All das sind Schritte, die nicht unbedingt zu einem Ende der Inflation beitragen, sondern eher das Gegenteil zur Folge haben.

Mehr: Türkischer Amazon-Konkurrent ist fast vier Milliarden US-Dollar wert – wie ging das?

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