Zahlungswesen Prestigeprojekt mit politischer Brisanz – Deswegen will die EZB einen digitalen Euro schaffen

Die EZB-Chefin warnt, dass ohne eigenes europäisches Angebot, andere digitale Währungen an Bedeutung gewännen.
Brüssel, Berlin, Frankfurt Christine Lagarde hatte sich mit einer Powerpoint-Präsentation gewappnet, als sie vergangene Woche beim Treffen der Euro-Gruppe in Brüssel erschien. Der Auftritt war für die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) von großer Bedeutung. Folie um Folie unterrichtete sie die Finanzminister über eines der wichtigsten Projekte der EZB: den digitalen Euro.
Vor allem einen Punkt hob Lagarde hervor. Der digitale Euro sei nicht nur eine wünschenswerte Innovation im Zahlungswesen, er sei auch ein Instrument zur Stärkung der Souveränität Europas. Ohne ein eigenes europäisches Angebot, warnte Lagarde, würden andere digitale Währungen in Europa an Bedeutung gewinnen, auch die Macht von internationalen Kreditkartenfirmen auf dem europäischen Markt würde weiterwachsen.
Ausdrücklich erwähnte sie Stable Coins, also Kryptoassets, deren Wert an andere Währungen oder Vermögenswerte gebunden ist. Größter Stable Coin weltweit ist derzeit Tether, der an die Kursentwicklung des US-Dollars gekoppelt ist. Möglicherweise könne die Umwälzung des Zahlungswesens sogar so tiefgreifend sein, dass die Geldpolitik der EZB ihre ökonomische Steuerungskraft verliert.
Lagardes Präsentation hat bei den Ministern Eindruck hinterlassen – das Souveränitätsargument verfängt bei Regierungen und Kommission. Diese Woche sollen die Gespräche in Brüssel weitergehen, am Donnerstag will EZB-Direktor Fabio Panetta das Vorhaben im europäischen Parlament erläutern.
Gerade Deutschland und Frankreich verfolgen die Planungen der Notenbank mit großem Interesse. „Ich begrüße, dass die EZB ihre Arbeiten zum digitalen Euro weiter intensiviert hat“, sagte der deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Kukies dem Handelsblatt. „Europa muss als einer der weltweit wichtigsten Wirtschaftsräume von Beginn an die aktuellen Entwicklungen im Bereich elektronischer Zahlungsverfahren durch eigene Überlegungen mitgestalten.“
Mit dem digitalen Euro Sanktionen umgehen
Die Politik hat erkannt, welches strategische Potenzial in Digitalwährungen steckt. Ein Beispiel ist die Umgehung von Sanktionen. Das Thema hat hohe politische Priorität. Seit mehr als einem Jahr zerbrechen sich Abgeordnete, Spitzenbeamte und Thinktank-Experten aus Deutschland und Frankreich den Kopf darüber, wie Europa seine Sanktionsresistenz stärken kann.
Der digitale Euro ist einer der Vorschläge, über die die Taskforce diskutiert. In den Euro-Staaten und der EU-Kommission gibt es die Hoffnung, dass sich mit dem digitalen Euro sanktionssichere Zahlungen ausführen lassen.
„Mit einer digitalen Währung lässt sich die Transparenz von Transaktionen für Außenstehende stark verringern. Das macht es schwerer, gezielte Wirtschaftsstrafen zu verhängen“, sagt Jonathan Hackenbroich vom European Council on Foreign Relations (ECFR), der die Beratungen der Sanktions-Taskforce koordiniert. „Allerdings könnten digitale Währungen auch Finanzkriminalität Tür und Tor öffnen.“
Auf die Gefahr, Geldwäsche Vorschub zu leisten, ging auch Lagarde in ihrer Präsentation für die Finanzminister ein. Ein Ausweg wäre es, die Zahlungsdaten einer Kontrollbehörde zugänglich zu machen. Allerdings wüchse dann auch die Gefahr, dass ausländische Geheimdienste die sensiblen Informationen abgreifen. Zudem könnten Länder wie die USA mit ihren Sanktionen die Clearingstellen für Digitalwährungen ins Visier nehmen – oder gar die Notenbanken selbst.
Auf die Leiterin des Projekts wartet ein Balanceakt
Die Debatte ist komplex, aber sie zeigt: Lagardes Prestigeprojekt hat auch enorme politische Relevanz. Die Begehrlichkeiten der Politik zu managen wird bei der Entwicklung des digitalen Euros zu den Hauptaufgaben der EZB zählen. Einerseits will die Notenbank zügig vorankommen, andererseits darf sie nichts überstürzen.
Für diesen Balanceakt wird künftig Evelien Witlox zuständig sein. In der vergangenen Woche gab die EZB bekannt, dass sie das Digital-Euro-Projekt von Januar 2022 an leiten soll. Bisher war sie Chefin für weltweiten Zahlungsverkehr bei der niederländischen Großbank ING. In einer zweijährigen Untersuchungsphase will die EZB bis Oktober 2023 die Eigenschaften des digitalen Euros festlegen. Danach soll ihr Rat noch einmal entscheiden, ob er die Digitalwährung einführen will.
Schon kurz nach ihrem Amtsantritt hatte Lagarde den Anspruch formuliert, bei dem Thema „der Zeit voraus“ zu sein. Bei französischen Notenbankvertretern hat der digitale Euro einen hohen Stellenwert. Das ist kein Zufall: Die Stärkung der strategischen Autonomie der EU steht im Zentrum der französischen Europapolitik. Kritischer äußerte sich Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Er warnte immer wieder vor den Risiken für das Finanzsystem, die mit digitalem Zentralbankgeld verbunden sind.
Denn die Sicherheit des digitalen Euros vor einem Ausfall bringt Schwierigkeiten mit sich. In einer Krise kann sich eine Dynamik entwickeln, bei der alle ihre Guthaben in digitale Euro tauschen wollen und von den Banken abziehen, was im Extremfall zum Kollaps der Institute führt. Bislang musste man sich für einen solchen Bankrun am Schalter anstellen. Um das Risiko einzugrenzen, erwägt die EZB, eine Obergrenze von 3000 Euro für den digitalen Euro einzuführen.
Wie groß die Herausforderungen sind, zeigt das Beispiel Schweden. Dort wollte die Notenbank schon bis 2018 eine digitale schwedische Krone herausgeben. Dieses Ziel hat sie verfehlt. Außerhalb Europas testet Chinas Notenbank die Digitalwährung E-Yuan in einzelnen Metropolen.
Mehr: Die große Inflationswette der EZB – Unterschätzt Zentralbankchefin Lagarde die Risiken?
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