Attefalls-Modell in Schweden Kleine Häuser, große Hoffnungen

Klein, aber fein – und ab 16.000 Euro zu haben.
Stockholm Bei Ikea in Barkaby, einem Vorort von Stockholm, herrscht an diesem Wochenende besonders großes Gedränge. Das Interesse gilt einem kleinen Ausstellungsraum, den der schwedische Einrichtungsriese konzipiert hat. „25 m²“ prangt in großen Lettern vor dem Eingang. 25 Quadratmeter scheint nicht viel, doch der schwedische Einrichtungsspezialist zeigt, was man alles auf einer so kleinen Fläche unterbringen kann: Eine Küche mit großem Esstisch, ein Bad mit Toilette und Dusche, ein kombiniertes Wohn- und Schlafzimmer. Ein paar Hochschränke als Stauraum. Perfekt ist das kleine Heim.
Dass Ikea eigens eine 25 Quadratmeter kleine Musterwohnung einrichtet, geschieht nicht ohne Hintergedanken. Angesichts der zunehmenden Wohnungsnot vor allem in den Ballungsräumen beschloss die schwedische Regierung 2014 eine Änderung der bis dahin geltenden Bauvorschriften. War es bis zum Jahr 2014 Schweden nur möglich, ein kleines, höchstens zehn Quadratmeter großes Gartenhäuschen ohne Baugenehmigung auf ihrem Grundstück aufzustellen, können jetzt vollisolierte Häuser mit einer Grundfläche von bis zu 25 Quadratmetern und einer Höhe von vier Metern ohne Baugenehmigung errichtet werden. Der damalige Wohnungsbauminister Stefan Attefall gab seinen Namen für die unkonventionelle Idee, der Wohnungsnot Herr zu werden. Seit drei Jahren gibt es die Attefalls-Häuser, und sie erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.
„Die Attefalls-Häuser sind vor allem in den Großstadtregionen gefragt“, sagt Fredrik Andreasson, Chef von Extrahuset, einer von mehreren Baufirmen, die die kleinen Häuschen anbieten. Angesichts von Quadratmeterpreisen für Eigentumswohnungen von bis zu 10.000 Euro in der Stockholmer Innenstadt sind die kleinen Häuser sehr attraktiv geworden. Ein bewohnbares und vollständig ausgestattetes Attefalls-Haus kostet maximal 110.000 Euro – oder 4.400 Euro pro Quadratmeter. Die einfachsten Häuser kosten nur rund 16.000 Euro. Allerdings fehlen darin Isolierung, sanitäre Anlagen und Küche. Mittlerweile gibt es viele Anbieter dieser Wohnlösung: Von traditionellen roten Holzhäuschen mit weißen Fensterrahmen bis hin zu Bauhaus-inspirierten Modellen ist alles erhältlich.
Die Attraktivität hat auch damit zu tun, dass es in Schweden kaum Mietwohnungen gibt. Die meisten Schweden wohnen in den eigenen vier Wänden. Um an eine der ganz wenigen Mietwohnungen zu kommen, muss man derzeit in Stockholm zwischen 20 und 30 Jahre warten. Viele Eltern melden ihre Kinder direkt nach der Geburt als Interessent bei der kommunalen Wohnungsvermittlung an.
Mit den Attefalls-Häusern will die Regierung vor allem etwas gegen die Wohnungsnot in den Großstadtregionen tun. Die Wohnungsbaubehörde hat errechnet, dass bis zum Jahr 2025 rund 710.000 neue Wohnungen gebaut werden müssen. Doch in diesem Jahr werden gerade einmal 72.000 neue Wohnungen bezugsfertig. Viel zu wenige, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Attefalls-Häuser haben die enorme Wohnungsnot kaum gemildert. Es sind nur rund 2.000 der kleinen Häuser als Wohnungen gebaut worden. Errichtet wurden sehr viel mehr, nur nicht als Wohnungen. Viele ihrer Besitzer nutzen sie als Gartenhäuser oder Abstellschuppen.
Wer ein Attefalls-Haus bauen will, benötigt zwar keine Baugenehmigung, muss aber den Bau bei seiner Gemeinde anmelden und eine umfangreiche Dokumentation vorgelegen, aus der hervorgeht, dass Brandschutzregeln und andere Vorschriften eingehalten werden. Ein separates Grundstück ist nicht notwendig, das Häuschen kann auch im eigenen Garten gebaut werden. Der Abstand zum Nachbargrundstück muss mindestens vier Meter betragen. Vor allem Vororte der Großstädte bieten Platz für die Minihäuser. Allerdings darf nur eines pro Grundstück errichtet werden.
Der jetzige Wohnungsbauminister Peter Eriksson ist mit der bisherigen Anzahl von bewohnbaren Attefalls-Häusern noch nicht zufrieden. Er will mit ein paar Regeländerungen die Anzahl der Häuser auf „einige Zehntausend“ hochschrauben, wie er vor zwei Wochen erklärte. Unter anderem hat Eriksson der zuständigen Baubehörde den Auftrag gegeben, bis Ende April 2018 zu untersuchen, ob die kleinen Häuser durch eine Erhöhung der Wohnfläche um fünf auf 30 Quadratmeter attraktiver werden können. „Viele Architekten und Bauherren haben uns gesagt, dass 25 Quadratmeter einfach zu klein sind. Würde man dagegen die Fläche auf 30 Quadratmeter erhöhen, wäre das eine richtige kleine Wohnung“, bemerkte Bauminister Eriksson. Die Bauindustrie hatte schon vor einem Jahr vorgeschlagen, die Wohnfläche leicht zu erhöhen, da durch dicke Außenwände, die zur winterfesten Isolierung notwendig sind, Wohnfläche verloren geht. Die Chancen, dass die Attefalls-Häuser künftig bis zu 30 Quadratmeter groß sein dürfen, stehen deshalb gut.
Ob mit der Idee die akute Wohnungsnot in den schwedischen Großstadtregionen tatsächlich gemildert werden kann, wird allerdings erst die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall – da sind sich alle Experten einig – kann eine deutlich verminderte Bürokratie ihren Teil zur Linderung beitragen. Den Rest erledigen der Bauherr und Ikea.
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