Australien Der teure Traum vom Eigenheim

Selbst wer gut verdient, kann sich ein Haus kaum leisten.
Sidney Miranda M. hat die Suche nach einem Eigenheim aufgegeben. „Ich werde mein Leben lang Mieterin bleiben“, sagt die 29-Jährige in Sydney. Der Ton in ihrer Stimme zeigt Verbitterung, aber auch Scham. „Nennen Sie meinen Namen nicht“, fordert sie. Obwohl sie ein „sehr gutes Gehalt“ habe, reiche ihr Erspartes nicht einmal für die marktübliche Anzahlung von zehn Prozent des Kaufpreises. Die Büromanagerin eines bekannten Anwalts ist mit ihrem Schicksal nicht allein: Seit Jahren klettern die Immobilienpreise in den Großstädten unaufhörlich. Für Millionen von jungen Australiern platzt so der Traum vom Eigenheim.
Wer wissen will, wie extrem die Verhältnisse sind, muss sich nur nach einem Parkplatz umschauen: Im Stadtzentrum von Sydney steht ein Doppelstellplatz zum Preis von 400.000 australischen Dollar (267.000 Euro) zum Verkauf. Das Interesse sei groß, freut sich der Verkäufer. Ein Haus im Großraum Sydney kostet im Schnitt 1,1 Millionen australische Dollar, was ungefähr dem Münchener Preisniveau entspricht. Melbourne ist mit 825.000 Dollar etwas billiger. Geradezu ein Schnäppchen ist Brisbane: Dort reichen 655.000 Dollar für ein Eigenheim. Allerdings – wie auch in den anderen Städten – nicht in zentraler Lage, sondern in den Vororten. Wer in der Innenstadt wohnen will, legt in einer der australischen Großstädte schnell Millionen auf den Tisch. Wer in Sydney eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung mit Blick auf Hafenbrücke und das Opernhaus sucht, muss dafür schon mal 30 Millionen Dollar berappen. Der Tech-Milliardär Scott Farquhar bezahlte jüngst 70 Millionen für ein Haus im Stadtteil Point Piper.
Chronischer Wohnungsmangel
In gefragten Gegenden von Sydney stiegen die Preise zuletzt um zehn Prozent innerhalb eines Jahres. Die seit Jahren unaufhaltbaren Preisanstiege für Wohneigentum haben Folgen für Privathaushalte in vielen Gebieten Australiens. Dabei sind Australier im globalen Vergleich ohnehin schon überdurchschnittlich hoch verschuldet. Heute verwenden sie mit 39 Prozent einen doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für das Abzahlen ihrer Hypothek als vor 30 Jahren. Oft geht das nur, wenn beide Partner berufstätig sind. Immer öfter aber nicht einmal dann.
Die hohen Preise nagen am Fundament der australischen Gesellschaft. Seit der Nachkriegszeit hatte das Land einen der höchsten Eigenheimbesitzanteile der westlichen Welt: Besaßen 1966 noch 71,4 ein eigenes Haus, fiel der Wert bis 2011 auf 67 Prozent (Deutschland: 52,6 Prozent). Es war selbstverständlich, dass man im jungen Alter nach der Heirat Wohneigentum erwarb, es über 30 Jahre abzahlte, die Immobilie verkaufte und sich damit den Lebensabend finanzierte. Heute droht Australien im Verlauf einer Generation zu einem Land von Mietern zu werden, fürchten Kommentatoren wie der Soziologe Bernard Salt. Günstiger ist Mieten deshalb aber nicht. Weil es in den Großstädten chronisch an Wohnungen mangelt, sind die Preise entsprechend hoch. Dass sich selbst für qualitativ minderwertige und offensichtlich überteuerte Mietwohnungen teils Hunderte Interessenten melden, ist in Sydney die Norm. Analysten sprechen von der wachsenden Gefahr des „Housing Stress‘“: Selbst mittelständische Gutverdiener finden sich plötzlich auf der Straße wieder, weil sie keine Mietwohnung finden oder bezahlen können. Oder es bleibt zum Monatsende nichts mehr übrig. In Melbourne klagen karitative Organisationen über die steigende Zahl gut gekleideter Familien in Suppenküchen.
Als eine der Hauptursachen für die Krise machen Kritiker das sogenannte „Negative Gearing“ aus. Dabei handelt es sich um ein vom Fiskus verliehenes steuerliches Privileg für Investoren. Egal ob Hypothekenzahlungen, Renovierungskosten oder ein neuer Gasherd – wenn Eigentümer mehr für eine Investitionsimmobilie ausgeben, als sie durch Vermietung einnehmen, schrumpft das besteuerbare Einkommen. Kritiker, vor allem aus dem linken politischen Spektrum, fordern seit Jahren die Abschaffung dieser „unfairen“ Vergünstigungen. Doch die Abschaffung des „Negative Gearing“ ist umstritten und käme politischem Selbstmord gleich. Bei durchschnittlichen Renditen zwischen vier und über zehn Prozent sind Immobilien in Australien eine der beliebtesten Anlageformen. Jeder sechste Steuerzahler besitzt ein Mietobjekt. Das sind Millionen von Wählern. Die Anhänger des Status quo behaupten, „Negative Gearing“ trage keinesfalls zur Verknappung des Angebotes und zur Preiseskalation bei. Ganz im Gegenteil: Anleger riskierten ihr eigenes Kapital – oder das Geld ihrer Bank – um Wohnraum für Mieter zu schaffen. Sie sehen andere Gründe für die Malaise.
Der konservative Schatzkanzler Scott Morrison macht etwa die Bundesstaaten für eine Knappheit an Land verantwortlich. Tatsächlich: Gerade im Großraum Sydney, der mit fünf Millionen Einwohnern am schnellsten wachsenden Stadt, fehlt es chronisch an Bauland. Planungsunwille, Bürokratie, ein Mangel an Mitteln für Infrastruktur wie Straßen und öffentliche Verkehrsmittel, aber auch die simple Inkompetenz der politisch Verantwortlichen erhöhen den Druck auf den bestehenden Bestand.
Die Preise steigen weiter
Ein weiterer Grund für die Entwicklung in den Großstädten ist fast tabu: steigende Einwanderungszahlen. Sydney ist traditionell der erste und oft auch permanente Aufenthaltsort für Neuaustralier. Die konservative Regierung schafft es seit Jahren geschickt, die Öffentlichkeit mit fremdenfeindlicher Polemik gegen ein paar Tausend Asylsuchende aufgebracht zu halten. Es wird dagegen kaum diskutiert, dass Australien pro Jahr bis zu 200 000 in der Regel beruflich Qualifizierter mit Daueraufenthaltserlaubnis ins Land lässt, sowie Tausende weitere mit beschränkteren Aufenthaltsbewilligungen. Viele der Zuwanderer sind wohlhabend, allen voran jene aus China. Sie erweisen sich bei Auktionen als entschlossene und kapitalkräftige Konkurrenten zu lokalen Interessenten. Hoffnungsvolle Australier wie Miranda M. sehen sich in diesem Kampf um Wohnraum von vornherein als Verlierer. Gegen „jemanden mit einem offenen Checkbuch“ habe sie „keine Chance“. Die junge Frau hatte schon mehrfach bei Auktionen mitgeboten. Jedes Mal wurde sie massiv überboten. Wie vor zwei Wochen: „Ich musste bei 520.000 Dollar aufgeben. Das Haus ging dann an einen Chinesen. Für 1,3 Millionen.“
Ein seit Jahren von verschiedenen Analysten prognostiziertes Platzen dieser vermeintlichen Immobilienblase wird wohl kaum geschehen, solange die hohe Einwanderungsrate anhält. Selbst bei einer moderaten Erhöhung der rekordtiefen Leitzinsen (1,5 Prozent) und Hypothekensätze (etwa vier Prozent), würde in den großen Städten die Nachfrage noch über Jahre anhalten, glauben Immobilienverkäufer. Zu den Gewinnern des Trends zählen ganze Scharen von Frührentnern mit Wohneigentum. Sie verkaufen ihr Haus in Sydney, ziehen aufs Land und haben für immer ausgesorgt. So hat es etwa Joanna Robinski gemacht. Sie hatte in den neunziger Jahren ein Reihenhaus im südwestlich des Zentrums gelegenen Stadtteil Newtown gekauft, für 192.000 Dollar, wie sie einer Tageszeitung erzählt. Im Januar verkaufte sie das Haus per Auktion – für 1,7 Millionen Dollar.
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