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Berliner Volksentscheid Enteignung von Wohnkonzernen: Wie Juristen die Chancen beurteilen

Juristen streiten, ob eine Vergesellschaftung großer Immobilienunternehmen verfassungsgemäß wäre. Die Immobilienbranche sollte sich nicht in Sicherheit wiegen.
05.10.2021 - 11:37 Uhr 2 Kommentare
Die Deutsche Wohnen würde eine Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne am stärksten treffen. Mehr als 100.000 der gut 240.000 in Berlin betroffenen Wohnungen gehören dem Unternehmen. Quelle: dpa
Wahlparty von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“

Die Deutsche Wohnen würde eine Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne am stärksten treffen. Mehr als 100.000 der gut 240.000 in Berlin betroffenen Wohnungen gehören dem Unternehmen.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Für Ulrich Battis ist der Fall klar. „Das Ergebnis wird sein, dass das Ganze nicht verfassungskonform ist“, sagte der Staatsrechtler zum Votum für eine Vergesellschaftung der Wohnkonzerne in der Hauptstadt. „Und dann Ende der Durchsage.“ Doch so einfach dürfte es nicht werden. Denn es gibt auch zahlreiche andere Stimmen von Juristen. Mindestens sieben Gutachten ebnen der Enteignungsinitiative prinzipiell den Weg. In Auftrag gegeben worden waren sie unter anderem vom Berliner Abgeordnetenhaus und der Senatsverwaltung.

Man müsse „verantwortungsvoll und respektvoll“ mit dem Votum umgehen, den Entscheid aber einer „sehr, sehr ernsthaften Prüfung hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit und Finanzierbarkeit unterziehen“, mahnte die designierte neue Regierende Bürgermeisterin in Berlin, Franziska Giffey.

Das Votum der Berliner ist eindeutig: Mehr als eine Million Wähler, insgesamt 56,4 Prozent, haben sich dafür ausgesprochen, dass Immobilienkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden sollen.

Die rechtliche Lage ist allerdings komplizierter, als viele Beteiligte zugeben möchten. Das Vorhaben, das die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ angestoßen hat, ist ein Novum in der Bundesrepublik, und Rechtsprechung dazu gibt es quasi nicht. Der Berliner Senat bezeichnete die Frage, ob private Immobilienunternehmen vergesellschaftet, sprich gegen Entschädigung faktisch enteignet werden dürfen, folgerichtig als „juristisches Neuland“.

Juristisch muss der Vorstoß nicht völlig chancenlos sein – aus mehreren Gründen.

  1. Artikel 15 des Grundgesetzes markiert dabei den Kern, auf den sich die Initiative beruft. Er bestimmt, dass unter anderem Grund und Boden durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum überführt werden können.

    Daran angelehnt ist es aus der Sicht des Bau- und Zivilrechtlers Volkert Vorwerk grundsätzlich möglich, Wohnimmobilien in eine gemeinschaftliche, nicht-gewinnorientierte Form zu überführen. Vorwerk verfasste als einer von drei Gutachtern eine Stellungnahme für die Senatsverwaltung.

  2. Vorwerk sieht einen Eingriff des Gesetzgebers zur Sozialisierung von Wohnraum als möglich an, um bei ständig steigenden Mieten und angespanntem Wohnraumangebot einer „Verarmung von Mietern entgegenzuwirken“. Ob allerdings die beschriebene Verarmung schon eingetreten ist, sei fraglich.
  3. Auch Rainer Geulen, der für die Senatsverwaltung ebenfalls ein Gutachten erstellte, sieht den Weg zu einer Vergesellschaftung im Prinzip offen. Diese müsse aber auch am Maßstab der Verhältnismäßigkeit gemessen werden, also der Frage, ob das gleiche Ziel auch mit anderen Mitteln erreicht werden kann, wie etwa mehr Wohnungsbau.

Geulen sieht jedoch – wie Staatsrechtler Battis – eine wesentliche Hürde in der Richtgröße von 3000 Wohnungen, ab der eine „Vergesellschaftungsreife“ vorgesehen ist, und fordert eine genaue Rechtfertigung, auf welcher Grundlage diese Richtgröße gewählt wurde.

Deutsche Wohnen wäre am stärksten betroffen – Entschädigung weit unter Verkehrswert?

Bliebe es jedenfalls bei der Richtgröße von 3000 Wohnungen, wären etwa 15 Prozent des gesamten Berliner Bestands an Mietwohnungen betroffen, insgesamt gut 240.000 Wohnungen. Rund ein Dutzend Unternehmen träfen die Vergesellschaftungspläne, am stärksten die Deutsche Wohnen. Der Konzern, an dem sich die Konkurrentin Vonovia gerade die Mehrheit gesichert hat, hält in Berlin knapp 115.000 seiner insgesamt 155.000 Wohnungen.

Für die Unternehmen und das Land geht es um immense Summen. Denn zumindest eines ist sicher. Sollte es zu der faktischen Enteignung großer Immobilienunternehmen in der Hauptstadt kommen, müssten milliardenschwere Entschädigungen fließen.

Über die Höhe beziehungsweise die Berechnungen der Entschädigungen gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Während die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ eine Entschädigungssumme von sieben bis 13 Milliarden Euro erwartet, taxierte der Berliner Senat die reinen Entschädigungskosten auf einen Betrag zwischen 28,8 und 39 Milliarden Euro. Das wäre mehr als der gesamte Jahreshaushalt Berlins.

Der Senat geht dabei vom Verkehrswert als Maßstab für die Entschädigung aus. Die Initiative will die Immobilienunternehmen nicht mit Geld, sondern mit Schuldverschreibungen entschädigen, die dann über einen Zeitraum von 40 Jahren aus den Mieteinnahmen getilgt werden. Dabei setzt sie Mieten an, die weit unter den aktuellen durchschnittlichen Mietpreisen liegen.

Auch in den Augen von Rainer Geulen könnte eine Entschädigung deutlich unter dem Verkehrswert der Immobilien liegen. Er bezieht sich auf eine ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, in Höhe des Verkehrswerts zu entschädigen. In seinem Gutachten für den Berliner Senat geht er in einer Faustformel davon aus, dass „die Entschädigung etwa 20 Prozent unter dem Verkehrswert liegt“.

Der Weg bis dahin ist aber denkbar weit. Zum einen, weil der Entscheid im konkreten Fall nicht bindend ist. Zum anderen ist der politische Wille, ihn durchzusetzen, erkennbar begrenzt, wie Giffeys Aussagen zeigen. Nur in einem Punkt sind sich die meisten einig: Am Ende dürfte der Fall – ob der Entscheid durchgesetzt wird oder nicht – beim Bundesverfassungsgericht landen.

Mehr: Berliner Votum für Immobilien-Enteignung. So geht es jetzt weiter.

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2 Kommentare zu "Berliner Volksentscheid: Enteignung von Wohnkonzernen: Wie Juristen die Chancen beurteilen"

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  • Fakt ist, dass ein großer Teil dieser Wohnung vor ca. 20 Jahren vom damaligen Senat verscherbelt wurde! Das Problem jetzt alleine den bisherigen Eigentümern anzulasten, ist ein Witz. Die Finanzierung jedenfalls ist keinesfalls sicher gestellt. Wie die Stadt/Land derartige Schulden stemmen kann, bin ich mal gespannt.

  • Interessant wird auch, wie es bezahlt werden soll, der Kauf, die Milliarden. Dann fallen Zinsen an, die die Mieter bezahlen müssen, abgesehen von einem neuen Wasserkopf an Verwaltung, da staatliche Verwaltung meistens teurer ist als privatwirtschaftliche. Wie die Mieter dann dastehen, es wird spannend werden. Falls es Gesetze geben sollte, spätere, die die CO2-Bepreisung der Heizkosten den Eigentümern aufgelastet wird, könnte man die Belastung schon mal in die Kreditaufnahme einbeziehen. Dann wollen wir mal sehen, wie hoch die Mieten dann sein werden. Die neue Gesellschaft könnte auch daran gehen, einige Wohnungen zu verkaufen, dann sähe die Sachlage für die Mieter wieder anders aus, also fast wie vorher. Am Ende siegt meistens die Marktwirtschaft, d.h. das Gebot der Kosten.

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