Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Evergrande „Wahrscheinlich zahlungsunfähig” – Liquiditätsrisiken bei chinesischem Immobiliengiganten beunruhigen die Märkte

Nach Kursturbulenzen war der Handel mit Anleihen des Immobilienkonzerns Evergrande mehrfach ausgesetzt worden. Die Risiken für den chinesischen Finanzmarkt nehmen zu.
07.09.2021 Update: 14.09.2021 - 18:20 Uhr Kommentieren
Bereits 2018 stufte die chinesische Zentralbank den Konzern als „systemisches Risiko“ ein. Quelle: Reuters
Schriftzug des Immobilienkonzerns Evergrande

Bereits 2018 stufte die chinesische Zentralbank den Konzern als „systemisches Risiko“ ein.

(Foto: Reuters)

Düsseldorf Die Krise beim zweitgrößten chinesischen Immobilienentwickler Evergrande spitzt sich weiter zu. Der in Geldnot geratene chinesische Baukonzern Evergrande zieht auch andere Immobilienentwickler an Chinas und Hongkongs Börse nach unten. Die Aktien der Konzerne Guangzhou R&F Properties und Sunac China Holdings rutschen am Dienstag rund acht beziehungsweise elf Prozent ab.

Der chinesische CSI 300 Real Estate Index fällt knapp vier Prozent. Fondsmanager und Analysten warnen vor einem Ansteckungsrisiko für private Immobilienentwickler durch die Liquiditätsengpässe bei Evergrande.

Der Handel mit Anleihen wurde nach massiven Preisschwankungen erneut angehalten. Die beiden auf Restrukturierungen spezialisierten Beratungsfirmen Houlihan Lokey und Admiralty Harbour Capital sollen sich nun um die Finanzen und die Kapitalstruktur des Immobilienriesen kümmern.

„Diese Ankündigung von Evergrande ist ein erster Schritt in Richtung Restrukturierung“, sagte James Shi, Analyst beim Kreditanalyseanbieter Reorg. Dies bedeute in der Regel, die Firma verzögere Zinszahlungen, zahle Zinsen mit Abschlägen oder stelle Zinszahlungen für Finanzprodukte komplett ein. Eine Abwicklung des Unternehmens werde es nur geben, wenn die Restrukturierung scheitere.

Evergrande erklärte, Spekulationen über eine Insolvenz oder einen Umbau seien „völlig unwahr“. Der Konzern sei in Gesprächen über einen Verkauf von Vermögenswerten, man habe aber noch keine materiellen Fortschritte erzielt.

Evergrande auf Liquiditätssuche

Bereits in der vergangenen Woche stufte die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit des Konzerns um drei Stufen auf „Ca“ herab. Das bedeutet, Evergrande sei „wahrscheinlich zahlungsunfähig oder kurz davor“.

Zuvor hatte Evergrande gewarnt, seine Schulden möglicherweise nicht mehr bedienen zu können, wenn es dem Unternehmen nicht gelinge, durch den Verkauf von Unternehmensteilen und Immobilien sowie die Aufnahme neuer Kredite Liquidität zu beschaffen.

Das Konglomerat sitzt auf Verbindlichkeiten von umgerechnet 260 Milliarden Euro. Eine Pleite könnte insbesondere Finanzinstitute extrem belasten und dadurch den Interbankenmarkt destabilisieren. Zu den größten Gläubigern von Evergrande zählen die Großbanken ICBC, AgBank und China Minsheng.

Es bestehe „das Risiko von Kreditausfällen und Rechtsstreitigkeiten außerhalb des normalen Geschäftsverlaufs“, hatte der in Shenzhen ansässige Konzern vergangenen Dienstag mitgeteilt. Eine derartige Warnung über Zweifel an der Fortführung des Unternehmens (engl. „going concern“) in der Halbjahresbilanz ist ein Alarmzeichen.

Im Zuge der anhaltenden Regulierungswelle, die unter anderem die Tech-Konzerne trifft, will Peking auch Exzesse im Finanzsektor eindämmen, die die Stabilität gefährden und nicht zum Ziel beitragen, den „allgemeinen Wohlstand“ zu erhöhen.
China versucht dabei bereits seit Längerem, den überhitzten Immobilienmarkt stärker zu regulieren. Zuletzt hat das Wohnungsbauministerium Pläne vorgestellt, wonach Mieten in den Städten künftig maximal fünf Prozent pro Jahr steigen dürfen. Zudem will Peking die Immobilienentwickler stärker kontrollieren.

Evergrande ist der zweitgrößte chinesische Immobilienentwickler. Quelle: Reuters
Passantin vor einer Werbeanzeige

Evergrande ist der zweitgrößte chinesische Immobilienentwickler.

(Foto: Reuters)

Im August 2020 verkündeten die Regulierer „drei rote Linien“, die die Konzerne nicht mehr überschreiten dürfen: Erstens muss das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten weniger als 70 Prozent betragen. Zweitens dürfen die Entwickler maximal einen Nettoverschuldungsgrad von 100 Prozent haben, und drittens darf das Verhältnis von Barmitteln zu kurzfristigen Schulden eine bestimmte Grenze nicht unterschreiten. Diese Vorgaben sollen die Immobilienunternehmen zu einem Schuldenabbau zwingen.
Evergrande überschreitet nach wie vor zwei der drei roten Linien. Der Konzern hat sich jedoch verpflichtet, alle Auflagen bis Dezember 2022 zu erfüllen. Die immensen Schulden und die unübersichtliche Konzernstruktur der in viele Branchen verzweigten Unternehmensgruppe machen eine schnelle Restrukturierung schwierig.

Der jüngste Gewinneinbruch steigere die Refinanzierungskosten für Evergrande, wodurch sich die finanzielle Notlage verschlimmere und die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls weiter erhöhe, kommentiert Michael Pettis, Finanzprofessor an der Universität Peking, die jüngsten Entwicklungen. Für ein Unternehmen, das in diesem Teufelskreis gefangen sei, „ist ein Zusammenbruch fast unausweichlich – es sei denn, ein Außenstehender springt ein und kann das Insolvenzrisiko glaubhaft beseitigen“.
Das erhöhe den Druck auf die Regulierungsbehörden erheblich. So müssten sie eine vollständige oder teilweise Rettung organisieren oder einen sehr disruptiven Zahlungsausfall akzeptieren. „Je länger sie warten, desto geringer wird die Schuldendienstfähigkeit von Evergrande“, so Pettis.

Bereits 2018 als „systemisches Risiko“ eingestuft

Bereits im November 2018 stufte die chinesische Zentralbank Evergrande als „systemisches Risiko“ ein. Seitdem steht der Konzern unter verschärfter Beobachtung. Branchenexperten zufolge gibt es mittlerweile deutliche Anzeichen dafür, dass die Behörden eingreifen, um einen Zahlungsausfall bei Evergrande zu vermeiden, da man die „sozialen Auswirkungen“ eines Zusammenbruchs fürchte. Andere dagegen halten es für denkbar, dass im Zuge der aktuellen Regulierungswelle ein Exempel an Evergrande statuiert werden könnte. Allerdings dürfte die globale Finanzkrise infolge der Lehman-Pleite als warnendes Beispiel dienen.

Im vergangenen Monat hatte der Staat das auf faule Kredite spezialisierte Finanzunternehmen Huarong Asset Management gerettet, das mit umgerechnet 240 Milliarden Dollar an Verbindlichkeiten ebenfalls als Risiko für die Stabilität des chinesischen Finanzsystems galt.
Anders als bei Huarong oder der 2019 verstaatlichen Baoshang Bank stehen den Schulden bei Evergrande 778 Bauprojekte in 233 Städten in ganz China und Grundstücksreserven mit einer Gesamtfläche von 214 Millionen Quadratmetern gegenüber, wie ein Blick in die Halbjahresbilanz zeigt. Den ursprünglichen Kaufpreis der Grundstücke beziffert das Unternehmen mit umgerechnet 60 Milliarden Euro. Der Verkehrswert dürfte angesichts der stark gestiegenen Immobilienpreise in China deutlich mehr betragen. Normalerweise wäre das ein Grund für Entwarnung. Doch ein sich abschwächender Wohnungsmarkt infolge der verschärften Regulierung hat zuletzt Immobilienverkäufe erschwert. Bei Evergrande brachen diese im August trotz Rabatten um mehr als ein Viertel ein.

Grafik

Die Zweifel an Evergrandes Zahlungsfähigkeit wachsen auch, weil nach Streitigkeiten mit Kreditgebern wiederholt Konten des Konzerns eingefroren und Bauprojekte gestoppt wurden.

Der Konzern warnt in seinem Halbjahresbericht: „Wenn die betreffenden Projekte nicht wieder aufgenommen werden, bestehen Risiken einer Wertminderung der Projekte und Auswirkungen auf die Liquidität der Gruppe“. Einige Banken vergeben keine Kredite mehr an Immobilienkäufer, die sich für noch nicht fertiggestellte Evergrande-Projekte interessieren.
Schuldscheine, die das Unternehmen an seine Lieferanten ausgibt, werden mit Abschlägen von bis zu 30 Prozent verkauft, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Gläubiger fordern Geld vorzeitig zurück

Der Konzern selbst betont, dass bis März keine weiteren Darlehen zurückgezahlt werden müssen. Der nicht auditierten Halbjahresbilanz zufolge werden binnen eines Jahres umgerechnet rund 30 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten fällig.

Allerdings war am Freitag bekannt geworden, dass einige Treuhandgesellschaften die sofortige Rückzahlung von Krediten fordern, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg mit Verweis auf Insider berichtete. Trifft das zu, so könnte es die Liquiditätskrise des Bauträgers weiter verschärfen.

Diese Gesellschaften, die das Geld wohlhabender Einzelanleger bündeln, sind eine wichtige Finanzierungsquelle für Evergrande und andere Bauunternehmen. Die Kredite enthalten oft Bedingungen, die es den Gläubigern erlauben, eine vorzeitige Rückzahlung zu verlangen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wie etwa Rating-Herabstufungen oder Gerichtsverfahren. Um welches Kreditvolumen es dabei geht, ist unbekannt.

Unklar ist auch, ob die Verbindlichkeiten in den Evergrande-Büchern die gesamte Schuldenlast des Konzerns abbilden. Im Mai hatte das renommierte Wirtschaftsmagazin „Caixin“ berichtet, dass die Bankenaufsicht Transaktionen im Wert von umgerechnet mehr als 13 Milliarden Euro zwischen Evergrande und der Shengjing Bank untersucht, an der Evergrande rund 36 Prozent hält. „Caixin“ berichtete, dass Shengjing „große Mengen“ an Evergrande-Schulden in seinen Büchern halte. Die geliehene Summe über direkte und indirekte Kanäle belaufe sich auf bis zu 16 Milliarden Euro.
Mitte August hatten drei große Kreditgeber, die China Minsheng Bank, die China Zheshang Bank und die Shanghai Pudong Development Bank, Insidern zufolge dem Bauträger eine Verlängerung der Projektkredite gewährt.

Evergrande-Gründer Xu Jiayin trat Mitte August als Geschäftsführer zurück. Quelle: Reuters
Großer Druck

Evergrande-Gründer Xu Jiayin trat Mitte August als Geschäftsführer zurück.

(Foto: Reuters)


Dennoch trat Unternehmensgründer und Multimilliardär Xu Jiayin kurz darauf zurück, wohl auf politischen Druck. Die verbliebene Führungsmannschaft wurde Ende August zum Rapport bei den Aufsehern der Zentralbank und Finanzregulierungsbehörde einbestellt. In einem ungewöhnlichen Schritt veröffentlichten die Aufseher im Anschluss ihre Rüge: Das Unternehmen habe seine Risiken schnellstmöglich abzubauen. Die Wahrung der Finanzstabilität müsse oberste Priorität haben.

China versucht, überhitzten chinesischen Immobilienmarkt zu regulieren

Seit dem Börsengang 2009 hat sich der Konzern in zahlreiche „alternative, einkommensschaffende Geschäfte abseits des Immobilienmarkts“ gewagt. Dazu zählen Aktivitäten in den Bereichen Babynahrung, Elektroautos, Mineralwasser, Landwirtschaft, Schweinezucht und Solaranlagen. Zudem gibt es einen Fußballverein namens Guangzhou Evergrande samt Fußballlehrerschule.

Über den Verkauf des E-Auto-Segments, das Anteile an Faraday Future und NEVS umfasst, verhandelt der Konzern derzeit mit dem Smartphonehersteller Xiaomi. Weitere Notverkäufe und Abspaltungen dürften notwendig werden, um die Schuldenlast zu drücken.
Die Ratingagenturen Moody’s, S&P und Fitch stuften die Kreditwürdigkeit des Unternehmens in den vergangenen Wochen herab und sehen „substanzielle Risiken“ einer Zahlungsunfähigkeit. S&P schätzt, dass das Unternehmen allein in diesem Jahr umgerechnet rund 13 Milliarden Euro (100 Milliarden Yuan) an Zulieferer und beauftragte Unternehmen zahlen muss.

Evergrande-Anteilseigner ohne Zugriff auf operatives Geschäft in China

Die Aktien von Evergrande sind in diesem Jahr um rund 75 Prozent gefallen, Anleihen notieren auf einem Rekordtief. Selbst langjährige Unterstützer von Unternehmenschef Xu Jiayin stoßen Anteile ab. Laut Hong Kong Stock Exchange trennten sich Großaktionär Chan Hoi Wan, Chef der Gesellschaft Chinese Estates Holdings Ltd., und seine Frau von mehr als sechs Millionen Aktien.

Bei der in Hongkong notierten Evergrande-Gruppe handelt es sich um eine Offshore-Gesellschaft (VIE) mit Sitz auf den Kaimaninseln, die im Zweifelsfall keinerlei juristischen Zugriff auf das operative Vermögen des Evergrande-Konzerns auf dem Festland hätte. Auch rund zwei Drittel des ausstehenden Anleihevolumens entfallen auf Emittenten mit Sitz auf den Kaimaninseln sowie den Britischen Jungferninseln.

Mit Agenturmaterial

Mehr: Die Krise des Immobilienriesen China Evergrande offenbart die Risiken des chinesischen Finanzsystems

Startseite
Mehr zu: Evergrande - „Wahrscheinlich zahlungsunfähig” – Liquiditätsrisiken bei chinesischem Immobiliengiganten beunruhigen die Märkte
0 Kommentare zu "Evergrande: „Wahrscheinlich zahlungsunfähig” – Liquiditätsrisiken bei chinesischem Immobiliengiganten beunruhigen die Märkte"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%