Firmen-Immobilien Weniger ist mehr

„Investoren betrachten Immobilien als Investitionsrisiko.“
Düsseldorf Die von Billig-Importen gebeutelte europäische Stahlindustrie sorgt Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger. Er will deshalb das Stahlgeschäft mit dem des Konkurrenten Tata in Europa fusionieren. Doch der Brexit erschwert die Pläne. Alles andere rückt in den Hintergrund. Dabei hat sich Hiesinger zu einer Entscheidung durchgerungen, die der Thyssen-Krupp-Aktie auf Dauer sogar helfen könnte. Denn der Konzern hat mehrere Areale im Ruhrgebiet verkauft. In Essen seien es „etwas mehr als 250 Hektar“ gewesen, sagt ein Sprecher. Das entspricht der Fläche eines mittelgroßen Stadtteils.
Einer Studie zufolge werden Konzerne mit kleinem Immobilienbestand im Schnitt mit einem Kursaufschlag von mehr als 30 Prozent belohnt, sagt Immobilienexperte Karim Rochdi von der Universität Regensburg. Anders ausgedrückt: Je mehr Immobilien börsennotierte Firmen besitzen, desto schlechter entwickelt sich der Aktienkurs. Rochdi analysierte für eine Studie die Kursentwicklung von 679 börsennotierten deutschen Gesellschaften in der Zeit von 1999 bis 2014. Das Ergebnis: Ein hoher Anteil eigengenutzter Immobilien führt zu einem Abschlag von 17 Prozent auf den Substanzwert. „Die Investoren betrachten Immobilien als Investitionsrisiko“, betont Rochdi.
Viele Konzerne machen es wie Thyssen-Krupp und geben Gebäude und Grundstücke ab. Der Anteil des Buchwertes der selbst genutzten Immobilien zur Bilanzsumme sei über die Jahre im Schnitt von fast 15 auf 9,7 Prozent gefallen, zeigt die Studie. Allein Deutschlands 30 Dax-Unternehmen bilanzieren aber immer noch 85 Milliarden Euro Immobilienwert – selbst ohne den Wohnungsvermieter Vonovia einzubeziehen.
Immobilien passen nicht mehr so recht in die Philosophie vieler Großanleger. Mischkonzerne sind keine erste Wahl mehr. „Höher bewertet werden sogenannte Pure Plays, die sich auf klar abgegrenzte Bereiche fokussieren und ihre Bilanz schlank halten. Teil einer solchen Asset-light-Strategie können Immobilienverkäufe sein, um gleichzeitig Werte zu heben“, sagt Ingo Speich von der Union Investment. Ein Problem ist es aber, diese Werte zu erkennen.
Die Bilanzierung ist aus der Sicht von Studienautor Rochdi intransparent. Auch Thyssen-Krupp lässt den Wert der verkauften Immobilien offen. Grundsätzlich buchen Unternehmen ihre Gebäude nicht zu Marktwerten, sondern zu Anschaffungskosten und schreiben sie ab. Deshalb sei der wahre Wert der Objekte für Investoren nicht nachvollziehbar, kritisiert Rochdi, der heute für den Industriegebäude-Spezialisten Beos arbeitet.
Starken Druck üben große deutsche Investoren wie Allianz Global Investors (AGI), Deka, Deutsche Asset Management und Union Investment aber nicht auf die Konzerne aus, sich von mehr Immobilienbesitz loszusagen. „Der jeweilige Immobilienbesitz eines Unternehmens ist ein Punkt in der Gesamtanalyse, aber kein primäres Entscheidungskriterium“, erklärt Jörg de Vries-Hippen, Stratege für europäische Aktien bei AGI.
Doch Rochdi sagt, dass Immobilien im Schnitt zehn Prozent des Kapitals eines Dax-Konzerns bänden. Hinzu kommen Risiken mit der Instandhaltung und Kosten im Falle nicht optimal genutzter Flächen. Rochdi versteht deshalb nicht, warum Immobilien in Deutschland häufig ein stiefmütterliches Dasein fristen. Die Fondsgesellschaft Deka räumt ein, dass sie es grundsätzlich positiv sieht, „wenn Immobilienbesitz veräußert wird, sofern es Möglichkeiten gibt, in das Kerngeschäft zu investieren“.
Halten steht vor Verkaufen
Dass in deutschen Unternehmen bei Immobilien „Halten“ vor „Verkaufen“ steht, zeigt eine Umfrage unter mehr als 300 mittelständischen Firmen. Nur rund 26 Prozent „verspüren Druck durch die Eigentümer, die Eigentumsquoten betrieblich genutzter Immobilien zu senken“, lautet das Ergebnis einer Studie der Immobilienprofessoren Tobias Just und Andreas Pfnür im Auftrag des Projektentwicklers Aurelis. Fast die Hälfte verspürt sogar „Druck, ihren Immobilienbestand zu halten“. Immobilien werde von den Eigentümern strategische Bedeutung zugedacht. Dazu passt eine zweite Lesart des Immobilienbesitzes, den etwa Deutsche Asset Management vertritt: „Immobilienbesitz kann das Risiko eines Unternehmens verringern.“
Im Dienstleistungssektor spielen Immobilien eine geringere Rolle als im produzierenden Gewerbe. Deshalb fiel es der Deutschen Bank auch leicht, ihre im Volksmund „Soll und Haben“ genannten Wolkenkratzer in Frankfurt nach dem Umbau zu verkaufen und zurückzumieten. Der Komplex ging für geschätzte 600 Millionen Euro an einen eigenen Immobilienfonds. Dieses Modell des „Sale-and-lease-back“ hat Risiken. Die Verlockung sei groß, kurzfristig einen hohen Preis für Immobilien zu erzielen, indem man sich hohe Mietverpflichtungen aufbürde, warnt Union-Fondsmanager Speich. Doch: „Mietsteigerungen müssen im Zaum gehalten werden, sonst werden sie später zum Bumerang.“
Während Bürotürme wie „Soll und Haben“ leicht Mieter finden, sieht das bei Fabrikhallen anders aus. Sie müssen etwa exakt auf die Bedürfnisse eines Chemieunternehmens zugeschnitten sein und sind deshalb typischerweise Unternehmenseigentum. Trotzdem fällt auch hier der Immobilienanteil in der Bilanz der Konzerne. BASF senkte ihn nach den Ergebnissen der Rochdi-Studie in 15 Jahren von 9,8 auf 5,7 Prozent, Konkurrent Bayer von 11,9 auf 5,7 Prozent. Weitere Direktvergleiche von Unternehmen zeigen, dass in der Regel der Konzern an der Börse besser abschneidet, der seinen Immobilienanteil stärker senkt und weniger Immobilien besitzt. So entwickelten sich Puma besser als Adidas.
Im verarbeitenden Gewerbe insgesamt sind Immobilien in der Regel aber der größte Brocken in der Bilanz. In Deutschland liegt der Anteil im Schnitt bei 70 Prozent. Das erklärt Stephan Bone-Winkel, Honorarprofessor an der Uni Regensburg, an einem mangelnden Mietangebot. Nur wo es einen Markt für Unternehmensimmobilien gebe, könne auch gemietet werden. Im Ausland lägen die entsprechenden Immobilienquoten wegen anderer Marktstrukturen zwischen 20 Prozent (in Asien) und 40 Prozent (in Großbritannien). In Deutschland fehle es an Angeboten. Und Warenhausketten wie Kaufhof besäßen häufig die genutzten Immobilien „in besten Lagen in Ballungszentren“, wie Speich von Union Investment betont. Deren Wert warte nur darauf, gehoben zu werden.
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