Gewerbeimmobilienmarkt Berlin Die etwas andere Bürowelt

Loft mit hohen Decken ist Pflicht.
Quelle: Junique
Berlin Der kleine, weiße Bürohund bellt kurz, folgt den Zweibeinern dann aber schwanzwedelnd Richtung Besprechungsraum. Das Ambiente ist beeindruckend: hohe Räume, freigelegte Eisenträger, großzügige Fenster, Parkettboden. An den Tischen sitzen junge Leute, kaum einer ist älter als 30 Jahre. Sie bearbeiten konzentriert ihr Laptop. Yuniqe heißt das 2013 gegründete Unternehmen, das sich hier, in einem gründerzeitlichen Gewerbegebäude in der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte, angesiedelt hat und das im Internet Kunstfotografien vertreibt.
Es sind junge, internetorientierte Unternehmen wie Yuniqe, die derzeit für glänzende Geschäfte bei den Bürovermietern und -maklern in der Hauptstadt sorgen. „Berlin ist auf dem Weg, Europas Start-up-Metropole zu werden“, freut sich Marcus Lehmann, Bürovermietungsexperte beim Beratungsunternehmen Colliers International. Längst gehören die Start-ups zu den wichtigsten Nachfragern hauptstädtischer Büroflächen: 2015 waren IT-Unternehmen für 22 Prozent des Berliner Büroflächenumsatzes verantwortlich; weitere 14 Prozent gingen auf das Konto von Handelsfirmen, deren Geschäftsmodell oft ebenfalls auf dem Internet basiert.
Dabei wissen diese Gründer genau, was sie wollen. „Es sollte eine große, offene Loftfläche mit hohen Decken und mehreren Meetingräumen sein“, schildert Yuniqe-Mitgründerin Lea Lange das Bild, das sie 2015 bei ihrer Suche vor Augen hatte. Außerdem sei Flexibilität erforderlich, um wachsen zu können. Und schließlich seien nur die angesagten Innenstadtbezirke Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg für den neuen Firmensitz in Frage gekommen.
„In Kreuzberg haben wir eine Warteliste“
Diese Fokussierung auf die In-Viertel ist kein Zufall. „Die Lage der Büros ist entscheidend, weil sie für die Gewinnung der Mitarbeiter von großer Bedeutung ist“, erläutert Colliers-Experte Lehmann. Die potenziellen Mitarbeiter wohnen nämlich größtenteils in diesen zentralen Stadtteilen und haben keine Lust auf lange Arbeitswege.
Allerdings stehen in diesen Lagen immer weniger Büroflächen zur Verfügung. „In Kreuzberg haben wir eine Warteliste“, berichtet Sebastian Blecke, Geschäftsführer der GSG Berlin, die zahlreiche historische Gewerbehöfe vermietet. Von der Verknappung profitieren Stadtteile, die noch vor kurzem nicht im Fokus standen. In der ehemaligen AEG-Fabrik in der Gustav-Meyer-Allee in Wedding zum Beispiel konnte die GSG in letzter Zeit gleich mehrere Neumieter begrüßen, darunter die Kommunikationsagentur Familie Redlich, die vorher in Prenzlauer Berg ansässig war.
Eine zusammenhängende Fläche von mindestens 1600 Quadratmeter zu finden – das gestaltete sich für Firmenchef Andre Redlich vor dem Hintergrund des sich verknappenden Büroflächenangebots alles andere als einfach. „Mein Suchradius hat sich dadurch extrem erweitert“, blickt Redlich zurück.
Die passende Arbeitsumgebung
Fündig wurde er schließlich im Dachgeschoss der im frühen 20. Jahrhundert errichteten AEG-Fabrik. Nach der von der Agentur selber vorgenommenen Umgestaltung findet man dort nicht etwa ein lautes Großraumbüro mit eng gedrängten Mitarbeitern, sondern eine abwechslungsreich gestaltete Bürolandschaft: Offene Arbeitsflächen wechseln sich ab mit gläsernen Besprechungsräumen, einer mit Sofas ausgestatteten Lounge und einer großzügigen Küche, die einen grandiosen Blick über die Dächer Berlins bietet. „Um gute Mitarbeiter zu gewinnen, reicht ein ordentliches Gehalt heute nicht mehr“, begründet Redlich den Aufwand. „Wichtig ist auch das Raumangebot.“
Auf eine passende Arbeitsumgebung setzt auch Nikita Roshkow, Gründer des Co-Working-Anbieters Ahoy Berlin, der vor kurzem von Charlottenburg nach Wedding gezogen ist. Das neue Domizil in der Wattstraße entspricht ziemlich genau dem Bild, das man von Start-ups hat: Wild zusammengewürfeltes Mobiliar, heller Linoleumboden, Schiffsbilder an der Wand, eine Café-Bar und viele junge Leute, die sich für Tage oder Wochen hier einmieten, um ihr Projekt voranzutreiben. „Die hier tüfteln an einer App, hier werden Kleider per 3D-Drucker designt, und die Leute in diesem Büro entwickeln eine Jobbörse für Start-ups“, erzählt Roshkow beim Rundgang.
Sein Unternehmen hat mit der GSG einen Mietvertrag über zehn Jahre abgeschlossen. Das ist ungewöhnlich lange im schnelllebigen Start-up-Geschäft, bei dem die Firmen oft nicht wissen, ob sie in zwei Jahren noch existieren oder vielleicht doppelt so viel Fläche benötigen. Vermieter müssten sich auf diese spezifischen Anforderungen der Jungunternehmer einlassen und ihnen beispielsweise ein Sonderkündigungsrecht einräumen, sagt Berater Marcus Lehmann. Dass die Mietverträge meist nur für zwei oder drei Jahre abgeschlossen werden, ist für Vermieter in der jetzigen Marktphase mit steigenden Mieten allerdings kein Nachteil: „Kurz laufende Mietverträge werden heute eher als Potenzial gesehen“, formuliert es Ulf Buhlemann von Colliers International in Berlin.
Berlin für Start-ups attraktiv
Ohnehin ist die Zahlungsbereitschaft der Start-ups erstaunlich hoch. Begehrte Flächen in Kreuzberg vermietet die GSG für 16 Euro pro Quadratmeter; das ist mehr als die Berliner Durchschnittsmiete von 15 Euro. Der Vermieter der noch freien Flächen im Kreuzberger Loftgebäude, in dem Yuniqe sitzt, verlangt sogar 17 Euro – und das in einer Lage, die keineswegs zu den etablierten Büroadressen zählt.
Manche Start-ups gehen noch weiter und entscheiden sich gleich für moderne Immobilien, denen der Charme alter Industriearchitektur gänzlich abgeht. So hat sich vor kurzem der Videoapp-Entwickler Mobile Motion 800 Quadratmeter im Domaquarée in repräsentativer Mitte-Lage gesichert. Und der Online-Händler Zalando lässt sich am Ufer der Spree in Friedrichshain sogar einen riesigen Campus bauen, der nach der für 2018 geplanten Fertigstellung fast 100.000 Quadratmeter groß sein wird.
Künftig dürften noch mehr Flächen benötigt werden. Die Investitionsbank Berlin rechnet jedenfalls damit, dass in den kommenden 15 Jahren an der Spree 270.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der digitalen Wirtschaft entstehen könnten. Berlin biete für Start-ups einfach beste Voraussetzungen, bestätigt Yuniqe-Mitgründerin Lea Lange: Hier gebe es nicht nur attraktive Büroflächen, sondern auch Start-up-Investoren sowie Vermieter und Makler, die die Bedürfnisse der jungen Internet-Unternehmen ernst nähmen.