Hochhäuser in Frankfurt Mit dem Kopf in den Wolken

Der Großteil der 412 Wohnungen ist offenbar schon verkauft.
Frankfurt Michael Wutzke schaut in eine mehrere Fußballfelder große Baugrube am Frankfurter Güterplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Wo andere an diesem grauen Dezembertag im strömenden Regen nur einen Schlund voll Schlamm sehen, erkennt er vor seinem geistigen Auge bereits „The Spin“. So heißt der 128 Meter hohe Stahlbeton-Koloss, entworfen vom Hamburger Stararchitekt Hadi Teherani, für den die Grube ausgehoben wird.
Der 43-jährige Wutzke ist so etwas wie der Hochhaus-Chronist Frankfurts. Vor 13 Jahren machte er aus seiner Leidenschaft für Hochhäuser ein Geschäft und gründete den Info-Dienst Emporis, eine Art Datenbank für Wolkenkratzer. Vor sieben Jahren stieg er aus, heute teilt er sein Wissen über die Frankfurter Hochhauslandschaft mit aller Welt auf seinem Internetblog Skyline Atlas.
Wutzkes Fantasie nimmt am Rande der Baugrube auch bereits das Nachbargebäude, den 90 Meter hohen Wohnturm „Tower 90“ vorweg. Dessen zwischen den Balkonen begrünte Fassade wird einmal einem vertikalen Garten ähneln. 100 Meter Luftlinie weiter wird an den Gleisen des Hauptbahnhofs ein noch namenloser Wohnturm neben dem Projekt „Grand Central“ entstehen. Als Höhe sind bis zu 140 Meter angepeilt.
Willkommen in Deutschlands-Wolkenkratzer-Hauptstadt Frankfurt. Die entsteht nicht erst auf Plänen oder in der Fantasie. Sie ist real. Hinter Wutzke ziehen Bauarbeiter das Betonskelett für den „Grand Tower“ neben dem Einkaufszentrum Skyline Plaza hoch. Wenn der Tower 2019 fertiggestellt wird, wird er mit 172 Metern der höchste Wohnturm Deutschlands sein. „Was hier passiert, wird die Skyline Frankfurts deutlich verändern“, sagt Wutzke.
Unerschwingliche Kaufpreise
Der Grand Tower und Tower 90 sind Symbole für einen Trend, der an Dutzenden Frankfurter Ecken Hochhäuser aus den Böden sprießen lässt. Darin wird entstehen, was Frankfurt dringend braucht: Wohnraum. Offiziellen Angaben der Stadt zufolge fehlen in der Main-Metropole gegenwärtig 40.000 Wohnungen. Doch die Wohnungsnot der Stadt werden diese Hochhausprojekte nicht lindern.
Denn nur wenige Menschen können es sich leisten in die Wohnungen dort einzuziehen. Für die meisten Frankfurter sind bereits die 4.500 Euro, die eine Eigentumswohnung im Schnitt kostet, zu teuer. Für diesen Preis gibt es in den Wolkenkratzern nicht einmal ein Erdgeschoss-Apartment. Für die Vermarktung von Wohntürmen gilt: Je höher das Stockwerk, desto höher der Quadratmeterpreis. Am teuersten sind die Dachterrassen-Objekte im obersten Stock.
Beim Grand Tower gehen die Quadratmeterpreise bei 5.000 Euro gerade erst los und steigen auf 19.000 Euro. Im Hochhaus am Park, das künftig „160 Park View“ heißen wird, beträgt die Spanne 6.500 bis 18.000 Euro pro Quadratmeter. Oben gibt es die Aussicht über den Grüneburgpark und die Stadt Frankfurt.

Die Bewohner erwartet nach der Fertigstellung ein ganz besonderer Ausblick.
Frankfurts Planungsdezernent Mike Josef (SPD) gibt sich keinen Illusionen hin: „Die Wohnhochhäuser sind kein zielführender Lösungsansatz für bezahlbaren Wohnraum“, sagt er dem Handelsblatt. Er glaubt offenbar nicht an einen nennenswerten Kaskadeneffekt. So beschreiben Marktforscher den Prozess, in dem Menschen nach wirtschaftlichem Aufstieg in komfortablere, hochpreisige Wohnungen wechseln und dadurch günstige Wohnungen für Einkommensschwächere frei machen.
Ohnehin sind die knapp 2.200 Wohnungen in den zehn größten Wohnturm-Projekten zu wenig, um die Frankfurter Wohnungsnot zu lindern. „Selbst wenn der eine oder andere Frankfurter in eine der Hochhauswohnungen zieht und eine bisher belegte, günstigere Wohnung damit freimacht, wird es sehr lange dauern, bis das ganz unten in der Wohnungskette ankommt“, urteilt der Regensburger Immobilienökonom Tobias Just.
Sozialwohnungen bauen
Wie in vielen anderen Städte fordert Josef von Projektentwicklern in Frankfurt 30 Prozent geförderten Wohnraum pro Projekt zu bauen. Doch die Maßnahme greift nicht immer, wie das Beispiel des „Four“ zeigt. Auf einem ehemaligen Areal der Deutschen Bank werden mitten in Frankfurt vier Türme zwischen 100 und 228 Meter Höhe gebaut. Doch von den in zwei Wolkenratzern entstehenden 650 Apartments fallen nur 80 unter die Rubrik geförderter Wohnungsbau. Die Baugenehmigung wurde zu einem Zeitpunkt erteilt, als die 30-Prozent-Quote noch nicht galt. Die Preise für die frei finanzierten Wohnungen darin stehen noch nicht fest. Der Immobiliendienstleister Colliers International kalkuliert mit Preisen ab 8000 Euro pro Quadratmeter.
Dagegen nehmen sich die 4.300 bis 13.000 Euro für Wohnraum im neu gestalteten Henninger Turm im Stadtteil Sachsenhausen wie Schnäppchen aus. In seiner alten, 1961 gestalteten Form prägte das Getreidesilo der Henninger Brauerei viele Jahre das Stadtbild. Dreizehn Jahre war der quaderförmige Wolkenkratzer mit einem aufgesetzten Fass das höchstes Gebäude der Stadt. 2013 wurde es abgerissen und etwas wuchtiger und mit 140 Metern etwas höher und als Wohnturm aufgebaut. Alle Wohnungen sind verkauft und die ersten Bewohner im Sommer eingezogen. Doch nicht alle Käufer wollen darin wohnen. Aktuell wird in einem einschlägigen Internetportal eine 57 Quadratmeter große Wohnung im 13. Stock für 24 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter im Monat angeboten. Die monatliche Warmmiete beträgt 1.745 Euro.
Doch wer leistet sich so viel Luxus? Wissenschaftler Just vermutet finanzkräftige Berufspendler oder Neuankömmlinge in der Stadt als potenzielle Mieter-Klientel. „Das Thema Brexit könnte hier eine Rolle spielen. Wenn Banker nach Frankfurt kommen, nehmen sie sich erst einmal eine solche Wohnung – die sind meist möbliert und liegen sehr zentral“, sagt Just. „Wie viele Banker kommen, weiß keiner“, warnt Just jene, die mit ihren teuren Projekten auf die Kaufkraft der an hohe Preise gewöhnten Londoner Banker spekulieren.
Hochhaus-Image wird aufpoliert
Immerhin verbessern die Luxustürme im Stadtzentrum das Ansehen der Wohnhochhäuser. Hochhauswohnungen entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren als Sozialwohnungen an den Stadträndern und wurden später zu sozialen Brennpunkten. Nun ist es nicht nur schick im Hochhaus zu wohnen, sondern der Bewohner kann sich auch noch rühmen, verantwortungsvoll mit der Natur umzugehen. Gemessen an den üblichen drei- bis fünfgeschossigen Mehrfamilienhäusern entsteht mehr Wohnraum bei gleicher Grundfläche. Es wird weniger Boden versiegelt, was Umweltschützer freut.
Folgt man der Immobilienanalysefirma Bulwiengesa, so entstehen in Berlin sogar mehr Wohnhochhäuser als in Frankfurt. Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Statistik ist schnell aufgeklärt. Als Hochhaus gilt jedes Haus ab einer Traufenhöhe von 23 Metern, also einem Wert, der weit unter den neuen Projekten in Frankfurt liegt. Die 23 Meter sind nicht willkürlich gegriffen, sondern resultieren aus Brandschutzbestimmungen, die beim Überschreiten dieser Grenze härter werden. Ursache dafür ist, dass die meisten Drehleitern der Feuerwehren nicht über die 23 Meter hinausreichen.
In Frankfurt hingegen gelten Gebäude bis 100 Meter allenfalls als „Hochpunkte“. Werden Gebäude über 100 Meter gezählt, bleibt Frankfurt deutschlandweit einzigartig. 31 zählt die Hochhaus-Datenbank von Phorio. Sechs weitere seien im Bau, sieben in Planung.
Die Frankfurter Skyline ist historisch gewachsen. Die Ursprünge liegen in den 1960er-Jahren, weiß Michael Wutzke, Autor des „Skyline Atlas“. Damals habe die Stadt den Wirtschaftswissenschaftler Gerhard Stöber mit einer Analyse zur Frankfurter Stadtentwicklung beauftragt. Er sagte voraus, „dass in allen künftigen Stadterneuerungsgebieten der Bau von Hochhäusern an der Tagesordnung sein wird“.
Dass Frankfurt in Deutschland herausragt, hat auch mit Restriktionen in anderen Metropolen zu tun. Das bislang höchste Wohnhochhaus steht mit dem Colonia-Haus in Köln und ist 147 Meter hoch. Würde die Stadt in großem Umfang weitere Hochhäuser genehmigen, die die Sicht auf den Dom verhindern, würde dieser seinen Status als Unesco-Weltkulturerbe verlieren. In München wurde 2004 per Bürgerentscheid festgelegt, dass kein Gebäude die knapp 99 Meter hohe Frauenkirche überragen darf.
Wer soll das eigentlich alles kaufen?
Im liberaleren Frankfurt folgte den ersten Hochhausplänen der 1960er-Jahre 1998 der offizielle Hochhausentwicklungsplan, der bestimmte Gebiete für Hochhausbebauungen auswies. Zehn Jahre später kam der zweite hinzu und im kommenden Jahr stellt Planungsdezernent Mike Josef die nächste Auflage vor. Die Projektentwickler sind gespannt, denn Josef gilt als restriktiver als sein Vorgänger und setzt gefördertes Wohnen strikt durch, heißt es in Frankfurt.
Bei der schieren Zahl der entstehenden und in Planung befindlichen Wohnungen fragen sich selbst die Protagonisten des Luxus-Wohnens im Hochhaus schon: Wer soll das eigentlich alles kaufen? Thomas Zabel leitet den Vertrieb der Wohnungen im Grand Tower. Er vermarktet seit Jahren „Premium-Neubauwohnungen“, wie er sie nennt. Nun ist er skeptisch, ob die Tausenden neuen Wohnungen alle Käufer finden werden. Seine Zweifel macht er an einer Statistik fest: Zwar wurden in Frankfurt zwischen Juli 2016 und Oktober 2017 152 Wohnungen für mehr als eine Million Euro verkauft. Doch nur bei 19 davon lag der Quadratmeterpreis bei 10.000 Euro oder mehr. „Wenn Sie als Bauträger glauben, Sie könnten 300 Wohnungen dieser Art in einem Jahr verkaufen, dann liegen Sie völlig falsch“, warnt er vor einer Übersättigung des Marktes.
Für Zabel selbst lief es zuletzt gut: 399 der 412 Wohnungen im Grand Tower seien verkauft, versichert er. Jüngst konnte er die beiden Penthäuser in der obersten Etage mit zusammen 575 Quadratmetern verkaufen – an einen ausländischen Investor. Einen Kaufpreis will er nicht nennen. Der Grand Tower gilt in der Immobilienbranche als Vorzeigeprojekt, weil es als erstes Wohnhochhaus vor allem im Ausland vermarktet wurde. „Knapp die Hälfte unserer Käufer stammen aus Asien-Pazifik“, berichtet Zabel.
Es droht ein Überangebot
Ein grundsätzliches Problem aber ist, dass Hochhäuser per se teuer im Bau sind. Der Immobiliendienstleister JLL hat ausgerechnet, dass die Baukosten für Wohntürme zwischen zehn und 15 Prozent höher sind als für traditionelle Mehrfamilienhäuser. Das liege unter anderem an höheren Anforderungen beim Brandschutz und Konstruktionskosten für das Bauen in der Höhe. Wissenschaftler Just stimmt zu: „Hinzu kommen die hohen Grundstückspreise in den Innenstädten. Günstigen Wohnraum können Sie dort gar nicht schaffen.“ Offensichtlich nicht einmal dann, wenn die Grundfläche durch die höhere Geschosszahl besser genutzt wird.
Dass nicht jede Rechnung aufgehen kann, mussten die Projektentwickler des „Onyx“ erfahren. Sie wollten ein ehemaliges Bürohochhaus nahe dem Opernplatz zu Luxuswohnungen umbauen. Die seien zwar fast fertig, erklärte die Bauherrin KSW Verwaltungs GmbH. Nachdem die ursprünglich auf 30 Millionen taxierten Kosten aber auf 87 Millionen explodierten, musste die KSW in diesem Jahr Insolvenz anmelden.
Selbst Wutzke, der Hochhaus-Chronist, hält das Treiben am Frankfurter Wohnhochhaus-Markt für verrückt. So gern er die Veränderungen auch auf seinem Blog begleitet – in einem der Türme wohnen möchte er lieber nicht. „Erstens ist es eine recht anonyme Wohnform“, sagt er, „und zweitens eignet sich das für Menschen mit Familie wie mich zurzeit eher nicht.“
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