Immobilien Arbeiten im Bonsai-Büro: Wie die Coronakrise Tokios Immobilienmarkt verändert

Mit der Verkleinerung der Hauptquartiere wächst gleichzeitig der Bedarf nach Satelliten- und Gemeinschaftsbüros an wichtigen Umsteigebahnhöfen.
Tokio Jahrelang zogen die Japaner aus den Vororten Tokios in das Zentrum der größten Megacity der Welt. Doch die Coronakrise hat viel Althergebrachtes verändert – und Japans Bahngesellschaft Tobu ein neues Verkaufsargument für das kleine Haus mit Gärtchen in der Peripherie gegeben: „Telework im Solaie“, Telearbeit im Himmelshaus, wirbt ein Poster in einem Zug für eine kleine Siedlung, die im besten Fall eine Fahrstunde nordöstlich von Tokios Zentrum liegt.
Zur Untermalung platzierten die Werber fotogen ein Bild eines kleinen Schreibtischs in einem Zimmer des vermeintlichen Traumhauses. Fernab der Hektik der Stadt könnten erschöpfte Firmenarbeiter Aktivität, Natur und die lokale Gemeinschaft genießen, ohne wie früher lange in der Bahn zu stehen, wird versprochen. Und die Botschaft kommt an, nachdem die Maßnahmen gegen die Coronakrise auch in Japan zahllose Mitarbeiter plötzlich zur Heimarbeit zwangen.
Zu Beginn der Krise sank die Zahl der Einwohner Tokios das erste Mal seit Jahrzehnten. Die Büroleerstände steigen, während die Nachfrage nach Häusern in den Vororten boomt. Damit rüttelt die Pandemie auch die japanische Hauptstadtregion durch, immerhin eine Megacity mit 38 Millionen Einwohnern.
Doch eines hebt Tokio in der globalen Immobilienwelt von anderen Metropolen ab: Anders als bei Paris oder New York sehen die Investoren die Coronakrise vor allem als Chance für den größten asiatischen Immobilienmarkt.
Laut einer Studie des Beraters JLL sprang Tokio in den ersten neun Monaten mit Investitionen von 19,3 Milliarden Dollar vom vierten auf den ersten Rang in der globalen Beliebtheit der Investoren. Der bisherige Spitzenreiter New York sackte derweil auf den fünften Platz ab. Ausländische Anleger machten dabei 38 Prozent der Käufe aus. Und sie werden längst nicht mehr nur von gewerblichen, sondern auch von Wohnimmobilien angezogen.

Das Apsule Hotel in Tokio wurde zu einem Coworking-Space umgebaut.
Der amerikanische Investor Blackstone beispielsweise hat laut der Wirtschaftszeitung „Nikkei“ jüngst eine Milliarde Dollar in Japan angelegt. Ein Teil davon floss in Wohnanlagen in den urbanen Zentren, die wegen ihrer stabilen Preise inzwischen nach Bürogebäuden das zweitgrößte Marktsegment darstellen.
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Koichiro Obu, Chef „Alternative Research“ der DWS im asiatisch-pazifischen Raum, nennt einen Grund für die Attraktivität der Büro- und Gewerbeimmobilien als auch Wohngebäude: „Japans Immobilienmarkt läuft nicht so heiß wie Koreas, aber der Einfluss von Covid-19 ist recht beschränkt.“
Zwar stehen auch in Japan immer mehr Büros leer. Und der Trend wird sich tendenziell fortsetzen. Einige Großmieter haben bereits angekündigt, durch mehr Telearbeit ihren Flächenbedarf im teuren Zentrum zu senken. Der Technikkonzern Fujitsu will in den kommenden drei Jahren den Fußabdruck in Tokios Zentrum sogar halbieren. Doch erstens erwischte die Krise Japans Hauptstadt zu einer Zeit, als die Leerstandsquote im Februar 2020 mit 1,49 Prozent auf einem historischen Tiefstand lag. Das ist ein Faktor, der auch in Städten anderer Länder zu beobachten ist – wenngleich in geringerem Ausmaß.
Zudem werden in den nächsten zwei Jahren in Tokio nur wenige neue Bürogebäude auf den Markt kommen. Denn die Bauherren hatten sich beeilt, die Stadt vor den für vorigen Sommer geplanten Olympischen Spielen aufzuhübschen. „Dieses begrenzte Angebot wird den Markt stabilisieren“, meint Experte Obu.
Er rechnet daher damit, dass die Leerstandsquote nur auf fünf bis sechs Prozent steigen wird. Da haben Tokios Immobilienkonzerne, die ganze Stadtteile dominieren, schon Schlimmeres erlebt. „Die Preise in den zentralen Lagen sind daher weiterhin stabil“, beobachtet Obu.
Büro-Würfel minutenweise zu mieten
Gleichwohl sorgt die Pandemie für neue Trends, angetrieben durch die Veränderung des Arbeitslebens. „Auf jeden Fall wird sich das Büro ändern“, sagt Klaus Meder, Chef von Bosch Japan. „Das Büro wird mehr zu einem Ort der Zusammenarbeit und der Begegnung für agile Teams werden. Aber das ist etwas, das wir schon vorher erwartet haben.“
Bosch hat schon jetzt keine festen Schreibtische mehr, eine Rarität in Japan. Der Konzern, der in Japan mehrere Tausend Mitarbeiter beschäftigt, erwartete vor der Epidemie daher, dass der Flächenbedarf auf 70 oder 80 Prozent sinken würde. „Jetzt könnten es 60 oder 70 Prozent werden“, mutmaßt Meder.
Doch mit der Verkleinerung der Hauptquartiere wächst gleichzeitig der Bedarf nach Satelliten- und Gemeinschaftsbüros an wichtigen Umsteigebahnhöfen. Denn nicht alle Mitarbeiter wollen oder können auf Dauer in ihren oft kleinen japanischen Wohnungen arbeiten.
So gibt es innovative Lösungen für die Telework-Ära. Der Druckerhersteller Fuji-Xerox baut in S- und U-Bahn-Stationen kleine klimatisierte, vernetzte Würfel mit Schreibtischen namens Coco-Desk auf, die die nun mobile Mitarbeiterschaft minutenweise mieten kann. An gut 20 Standorten wird dieses „Bonsai-Büro“ bereits eingesetzt.
Niedrige Zinsen überzeugen Privatkäufer
Bei Wohnimmobilien hat die Coronakrise sogar zu einem wahrhaften Boom geführt. Großmakler wie Open House feiern Verkaufsrekorde, weil Familien plötzlich in den Vor- und Nachbarstädten Tokios nach Häusern suchen.
Der Kulturwandel schlägt sich auch in einer Umfrage nieder, die das Institut für Stadtplanung der Stiftung des Immobilienriesen Mori Building am Dienstag veröffentlicht hat. Im Rahmen des Global-City-Power-Indexes, einem Ranking von 48 Weltstädten, verglichen die Japaner, wie sich die Pandemie auf die Vorlieben der Bürger auswirkt. In Tokio überwiegt mit 37 Prozent der Teil, der nun in den ruhigeren Randlagen nach Eigenheimen sucht, eine Reaktion, die auch in London zu beobachten ist.
In New York und Singapur hat dagegen das Zentrum nicht an Reiz verloren, während 31 Prozent der befragten Pariser sich vorstellen können, weiter aus Frankreichs Hauptstadt wegzuziehen.

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In Tokio wird dieser Mini-Exodus allerdings noch von einer Verbreitung des Markts begleitet. Immer mehr junge Familien treten jetzt als Käufer auf, berichtet Yoichi Ikemoto, Chef von Suumo, einer der größten Vermittlungsseiten für Miet- und Eigentumswohnungen und -häusern. „Denn die herkömmlichen Mietwohnungen sind sehr klein und hellhörig.“ Besonders beliebt sind dabei Regionen, die entweder Natur oder eine nette Nachbarschaft bieten.
Darüber hinaus hat sich der Anteil der Tokioter auf 27 Prozent verdoppelt, die sich zwei Domizile leisten wollen: eines im Zentrum und eines am nahen Meer oder in den Bergen. „Und dieser Trend ist nun nicht mehr nur auf reiche Familien begrenzt“, sagt Ikemoto.
Fast ein Drittel der Käufer leistet sich Wohnungen ohne jegliche Anzahlung. Offenbar vertrauen sie nach 20 Jahren Nullzinspolitik darauf, dass die Zinsen so schnell nicht wieder steigen werden. Das mag riskant sein, stützt aber vorläufig die private Immobiliennachfrage.
Der Schrank als Multifunktionsraum
Gleichzeitig stehen die Wohnungs- und Fertighauskonzerne vor einer architektonischen Revolution. Gerade der Schnitt von Eigentumswohnungen ist in Japan extrem standardisiert. Das typische Familienapartment bietet auf 68 bis 76 Quadratmeter Wohnfläche zwei kleine Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit offener Küche und einen durch Schiebetüren abtrennbaren Nebenraum.
Arbeitszimmer sind nicht vorgesehen. Doch plötzlich verlangen die Käufer auch Platz für einen Schreibtisch, um nicht am Esstisch oder im Kinderzimmer arbeiten zu müssen. Eine Idee für eine schnelle Lösung sei, den heutzutage oft mit angebotenen begehbaren Schrank in einen Multifunktionsraum zu verwandeln, sagt Ikemoto. „Das Walk-in-Closet könnte zum Work-in-Closet werden.“
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