Immobilien vom Discounter Aldi und Lidl bauen aus Platzmangel Tausende neue Wohnungen
Düsseldorf Der sonst eher öffentlichkeitsscheue Discounter Lidl präsentierte das neue Projekt perfekt. Zum Spatenstich der neuen Filiale im Frankfurter Gallusviertel kam sogar Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann – ungewöhnlich für den Baubeginn einer Discounter-Filiale.
Doch noch spektakulärer ist die nächste geplante Metropolfiliale von Lidl in Frankfurt. Denn über dem an der Mainzer Landstraße geplanten Markt wird man auch wohnen können. Über den Verkaufsräumen im Erdgeschoss – und einer unterirdischen Parkgarage – entstehen 40 Wohnungen.
Oberbürgermeister Feldmann war begeistert. „Die Lidl-Metropolfiliale ist ein interessantes Konzept, das Einzelhandel, Wohnungsbau und Büroflächen auf engstem Raum vereinen kann“, sagte er. Für ihn hat das Modellcharakter. „Wir haben Lidl als verlässlichen Partner kennen gelernt und werden auch künftig eng mit dem Unternehmen zusammenarbeiten – beispielsweise auch beim Wohnungsbau.“
Auch für Lidl ist das erst der Anfang. Der Discounter baut schon seit vielen Jahren gemischt genutzte Immobilien. Doch nun gewinnt dieses Konzept an Fahrt. „Aktuell sind bereits Projekte unter anderem in Frankfurt, Hamburg, München und auch in Berlin in der Vorbereitung“, sagt Alexander Thurn, Geschäftsleiter Immobilien Lidl Deutschland, im Interview mit dem Handelsblatt. „Es werden mit Sicherheit deutlich mehr als 2.000 Einheiten sein.“
Mit der gleichen Verve stürzt sich Aldi Nord in den Wohnungsbau. Allein in Berlin will das Unternehmen rund 2.000 Mietwohnungen zusammen mit neuen Filialen bauen. Auch in Hamburg ist Aldi Nord bereits Vermieter und bietet an mehreren Standorten Wohnungen an. Auch die Schwester Aldi Süd steht nicht zurück: So betreibt sie in Tübingen unter anderem das Projekt TÜ3 mit 43 möblierten Wohnungen zwischen 27 und 53 Quadratmetern Wohnfläche.
Dabei haben die Unternehmen nicht ein neues Geschäftsfeld entdeckt, sondern sie sehen keine andere Möglichkeit mehr, ihre Expansion voranzutreiben „Für die Zukunft wird gelten: Wer den Menschen in der Stadt in Zukunft Lebensmittel in einem stationären Lebensmittelmarkt verkaufen will, der muss dort sein, wo die Menschen sind“, sagt Markus Wotruba von der BBE Handelsberatung in München. Niemand werde mehr in ein Auto steigen, um einen Lebensmittelmarkt aufzusuchen.
Doch verfügbare Standorte sind knapp. „Die zunehmende Konkurrenz um innerstädtische Flächen zwingt Lebensmittelfilialisten dazu, flexibler zu werden“, beobachtet Wotruba.
Zugleich ist es angesichts des immer knapper werdenden Wohnraums in den Innenstädten der Metropolen für die Einzelhändler immer schwieriger, Genehmigungen für neue Märkte zu bekommen. In der Kombination mit Wohnungen sind Genehmigungen für neue Projekte leichter zu erhalten. Lidl-Immobilien-Leiter Thurn betont, der Bau von integrierten Filialen sei „tatsächlich eine Notwendigkeit für die Expansion in dicht besiedelten Ballungsräumen“.
Auch Aldi Nord hat erkannt, dass die gesteckten Expansionsziele ohne eine enge Kooperation und Zugeständnisse an die Kommunen nicht mehr erreichbar sind. Beispiel Berlin: In einem ersten Schritt sollen 200 Wohnungen in den Stadtteilen Neukölln und Lichtenberg entstehen. Geplant ist, einen Aldi-Markt im Erdgeschoss mit Wohnungen in den Etagen darüber zu kombinieren.
„Mit den Leuchtturmprojekten wollen wir den Startschuss für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Stadt Berlin setzen“, sagte Jörg Michalek, Geschäftsführer der Aldi Immobilienverwaltung. Geplant sind mindestens 30 solcher Standorte in der Hauptstadt.
„Generell steht unsere Unternehmensgruppe neuen Konzepten und kreativen Ideen bei der Immobilienentwicklung offen und positiv gegenüber“, betont eine Sprecherin von Aldi Süd. Der Discounter habe schon mehrere solcher Projekte realisiert, in Städten wie in Ballungsgebieten. Die Art der Nutzung richte sich nach den städtebaulichen Erfordernissen.
Treiber in dieser Entwicklung sind aber nicht nur die Unternehmen, sondern auch die großen Städte selber. Sie sehen die Chance, mithilfe der Handelskonzerne trotz klammer Stadtkassen Projekte gegen den Wohnungsmangel zu realisieren. So hat Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schon im Dezember 2016 Vertreter der größeren Supermarkt- und Discounter-Ketten ins Rathaus eingeladen, um mit ihnen über Wohnungsprojekte zu reden.
Einen ähnlichen Gipfel veranstaltete ein halbes Jahr später die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke). Die Berliner Senatsverwaltung hat 330 Standorte identifiziert, an denen ein bestehender Lebensmittelmarkt durch Wohnraum ergänzt werden könnte.
„Ganz allgemein erkennen wir, dass die Einzelhandelsbetreiber inzwischen bereit sind, von dem Modell der eingeschossigen Gebäude mit großen Parkplätzen Abstand zu nehmen, und ihre Filialkonzepte durchaus auf ein urbanes Umfeld umstellen“, sagt ein Sprecher der Stadt München. In den neuen Siedlungsgebieten weise die Stadt ohnehin nur noch Baurecht für solche in die Bebauung integrierte Konzepte aus.
Abreißen und neu bauen
Noch gilt dieser Trend aber nicht für alle Städte. „Bisher reden wir über einige wenige Metropolen, die sogenannten Top vier oder Top sieben“, sagt Handelsexperte Wotruba. Allerdings zeigten sich die Anbieter auch in kleineren Städten ab etwa 60.000 Einwohnern flexibler. Auch dort bauen sie in Innenstädten zunehmend gemischt genutzte Gebäude. Häufig sind hohe Grundstückspreise der Grund, die den Bau eines eingeschossigen Supermarkts unwirtschaftlich erscheinen lassen.
Wotruba hält die Entwicklung für eine „echte Win-win-Situation“, weil die Wohnungen samt Versorgung dort entstünden, wo sie gebraucht werden. Der Wohnungsmarkt werde tendenziell entlastet. Und die Kommunen erhielten mit weniger Planungs- und Genehmigungsaufwand mehr Ergebnis.
Denn die Discounter kommen den Städten weit entgegen. Lidl-Manager Thurn etwa betont die „hohe Flexibilität“, die das Unternehmen durch sein Konzept der Metropolfiliale hat. Lidl sei es wichtig, seine Filialen optimal an den Standortbedingungen auszurichten. Das erfordere ein hohes Maß an individueller Planung und Abstimmung mit den Behörden. Ob sie selbst als Vermieter auftreten, entscheiden die Unternehmen von Fall zu Fall unterschiedlich.
Für die Discounter bedeuten die gemischten Objekte einen höheren Aufwand. Zum einen ist es in der Regel aus statischen Gründen nicht möglich, bestehende Märkte aufzustocken. „Daher ist unsere erste Wahl, die bestehenden Gebäude abzureißen und neu zu bauen“, sagt Lidl-Manager Thurn. Zum anderen werden besondere Anforderungen an die Bauplanung, zum Beispiel hinsichtlich der Geräuschdämmung oder der Anlieferzone, gestellt.
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