Offshore-Gesellschaften in China Der Fall Evergrande ist auch ein Lehrstück für Investoren

Die Turbulenzen um Evergrande haben viele Anleger aufgeschreckt.
Düsseldorf Die in Hongkong notierte China Evergrande Group ist eine Offshore-Gesellschaft mit Sitz im berüchtigten „Ugland House" in Georgetown, der Hauptstadt der Kaimaninseln. Das Bürogebäude soll Sitz von 18.000 juristischen Personen sein. Es sei „entweder das größte Gebäude der Welt oder der größte Steuerbetrug der Welt“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Barack Obama.
Investoren, die in solche Offshore-Gesellschaften wie Evergrande investieren, sollten alarmiert sein. Denn die Aktienbesitzer halten keineswegs Anteile am operativen Geschäft in China. Vielmehr investieren sie in eine Mantelgesellschaft in einer Steueroase. Die Krise des hochverschuldeten Immobilienentwicklers Evergrande hat das Risiko, das damit einhergeht, einmal mehr klar vor Augen geführt. Denn im Falle einer Insolvenz haben die Investoren keinen Zugriff auf Vermögenswerte auf dem Festland. Das Gleiche gilt für Anleiheeigner, die Bonds der Offshore-Gesellschaft halten.
Und Evergrande ist der spektakulärste, aber längst nicht der einzige Fall. Bei den meisten im Ausland notierten chinesischen Aktiengesellschaften handelt es sich um sogenannte VIE-Gesellschaften (VIE steht für Variable Interest Entity) „mit beschränkter Haftung“ und Sitz in einer Steueroase. Bekannte Beispiele sind die chinesischen Tech-Werte an den US-Börsen wie Alibaba, Baidu und Tencent Music sowie H-Aktien in Hongkong wie Evergrande. Die börsennotierten Offshore-Mäntel des E-Auto-Bauers Nio, des Lieferdienstes ZTO Express und des Taxivermittlers Didi sind nach Handelsblatt-Recherchen ebenfalls im Ugland House auf den Kaimaninseln registriert.
Die VIE-Konstruktionen dienen im Wesentlichen dazu, chinesische Vorschriften zu umgehen, „die ausländischen Investoren jegliche Beteiligung in Schlüsselsektoren wie der Technologiebranche untersagen“, erklärt Christian Kahler, Chefaktienstratege der DZ Bank. Für Investoren stellen diese Konstruktionen aber ein erhebliches Risiko dar: Sie haben kaum Möglichkeiten, ihre Ansprüche gegenüber der operativen Gesellschaft in China geltend zu machen.
Vollstreckung von Ansprüchen in China „schwierig oder unmöglich“
Was das bedeutet, wird im Börsenprospekt von Evergrande deutlich: China habe keine Verträge über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen mit den Kaimaninseln, den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Japan und vielen anderen Ländern abgeschlossen. Daher könnten die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen eines nicht in der Volksrepublik China ansässigen Gerichts in China „schwierig oder unmöglich sein“. Das gilt auch für eine Insolvenz der Offshore-Gesellschaft.
Sollte die Gesellschaft Insolvenz anmelden müssen, hätte das keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Börsenlisting in Hongkong. Insider gehen davon aus, dass das Unternehmen kurz zuvor eine Aussetzung des Handels beantragen würde, um zu verhindern, dass der Kurs der Aktien auf null fällt.
Gemäß den Statuten der Hongkonger Börse können Aktien zunächst bis zu 18 Monate vom Handel ausgesetzt werden. Dann beginnt eine Übergangsfrist, in der die Regulatoren prüfen, ob das Unternehmen eine Wiederaufnahme des Handels plant und entsprechende Schritte dazu unternimmt. Falls nicht, können sie ein Delisting initiieren.
Auch die meisten Dollar-Anleihen von Evergrande wurden von China Evergrande Group auf den Kaimaninseln emittiert. Zugelassen wurden sie von der Singapurer Börse SGX. In den Prospekten der Bonds wird ebenfalls auf die Risiken hingewiesen: Die Schuldverschreibungen würden lediglich durch das Grundkapital der Offshore-Gesellschaft gedeckt. Das macht deutlich, welche Risiken Investoren eingehen, wenn sie Aktien oder Anleihen von VIE-Gesellschaften kaufen.
In den USA hat die Börsenaufsicht SEC diese Offshore-Konstruktionen nach den Turbulenzen um den Börsengang des chinesischen Taxivermittlers Didi im September scharf kritisiert. „Um es ganz klar zu sagen: Weder die Investoren dieser Dachgesellschaften noch die Offshore-Gesellschaft selbst besitzen Anteile am operativen Geschäft in China“, brachte SEC-Chef Gary Gensler das Problem auf den Punkt.
Sonderregelung in Hongkong
Ein Grund für die VIE-Struktur ist auch, dass China keine Prüfung durch ausländische Aufseher wie die US-Bilanzpolizei PCAOB zulässt. Auf diese Weise will die Volksrepublik verhindern, dass sensible Informationen in die Hände ausländischer Konkurrenten oder Regierungen geraten.
Nur Hongkong hat eine Sonderregelung mit dem Festland gefunden. Die Wirtschaftsprüferaufsicht FRC steht im Austausch mit den chinesischen Behörden und Prüfern. Sie erhält so einen besseren Einblick in das operative Geschäft chinesischer Unternehmen, die in Hongkong gelistet sind.
Die FRC hat Mitte Oktober eine Prüfung des Jahresabschlusses 2020 sowie des Halbjahresausweises 2021 bei Evergrande angekündigt. Dabei soll auch die Arbeit der Wirtschaftsprüfergesellschaft PwC kritisch beleuchtet werden, die dem Unternehmen im Geschäftsbericht 2020 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hatte. Direkte Konsequenzen hat das zunächst nicht.
Die Situation von Evergrande ist nicht nur wegen des enormen Schuldenbergs kompliziert, sondern auch, weil die Umstrukturierung die Gerichtsbarkeiten von China, Hongkong, den Kaimaninseln und New York betreffen wird. Hinzu kommt, dass die chinesische Staatsführung zwar versucht, die Folgen der Evergrande-Krise einzudämmen, ohne jedoch den Konzern selbst finanziell zu stützen.
Mehr: Evergrande vor dem Kollaps: Drei Szenarien, wie es mit dem Immobilienentwickler weitergeht.
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Chinesische Aktien machen übrigens 28% Anteil im MSCI Emerging Markets aus.
Interessant wäre wie es mit Alibaba-Aktien, welche in Hong-Kong gelistet sind, steht?
Wer es noch nicht weiß, es ist unmöglich. Wenn Evergrande bankrott geht wird das komplette Eigentum oder der komplette Besitz an den Staat gehen. Der chinesische Staat wird keinem auch nur einen Cent ausbezahlen.
Ist in den letzten Jahren schon sehr oft so passiert. In China gilt generell die Devise, alles gehört dem Staat. Das sollte man als Investor wissen. Gilt im Übrigen auch für alle ausländischen Firmen die dort Vertreten sind.