Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Tobias Just im Interview „Der größte Boom ist vorbei“ – Die Folgen des Evergrande-Dramas für Chinas Immobilienmarkt

Der Immobilienökonom und Mitherausgeber des Buches „Understanding China’s Real Estate Market“ erklärt die Krise von Evergrande – und deren Folgen für andere Märkte.
27.09.2021 - 11:26 Uhr Kommentieren
Der chinesische Immobilienfinanzierer hat Schulden in Höhe von 300 Milliarden Dollar angehäuft. Quelle: AP
Evergrande-Zentrale

Der chinesische Immobilienfinanzierer hat Schulden in Höhe von 300 Milliarden Dollar angehäuft.

(Foto: AP)

Der chinesische Immobilienkonzern Evergrande kämpft ums Überleben. Etwa 300 Milliarden US-Dollar Schulden lasten auf dem zweitgrößten Immobilienfinanzierer im Reich der Mitte. Seit Tagen sind die Märkte in Sorge, dass sich Evergrandes Zahlungsprobleme auf die riesige Immobilienbranche des Landes übertragen und so die Stabilität der Volksrepublik und möglicherweise der Weltwirtschaft gefährden könnten.

Droht dem chinesischen Immobilienmarkt ein Crash? Und wie groß sind die Auswirkungen auf andere Häusermärkte? Im Gespräch mit dem Handelsblatt erläutert Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der IREBS International Real Estate Business School der Universität Regensburg und Mitherausgeber eines Fachbuchs über den chinesischen Immobilienmarkt, welche Folgen die Krise des Riesen auf den Häusermarkt hat – und wie gefährlich die Lage in Deutschland ist.

Herr Professor Just, der zweitgrößte chinesische Immobilienfinanzierer Evergrande kämpft ums Überleben. Wie gefährlich ist das für den chinesischen Immobilienmarkt?
Ich glaube, dass die Probleme von Evergrande grundsätzlich gemanagt werden können – aber mittelbar ist die Krise für den Markt sehr gefährlich. Die Schieflage von Evergande ist letztlich nur die sichtbarste und größte Schieflage. Auch kleinere Entwickler sind zum Teil stark belastet. Wenn Evergrande kippen sollte, werden sich deren Finanzierungskonditionen weiter verschlechtern. So könnte ein Dominoeffekt ausgelöst werden. Deshalb ist für den chinesischen Staat die Rettung von Evergrande so wichtig.

Jahrelang galt in China die Devise bauen, bauen, bauen. Kommt dieser Trend jetzt zu einem Ende?
Ein klares Jein. In China gibt es jetzt schon länger einen großen Leerstand von Wohnimmobilien, Büros und auch Handelsimmobilien, weil häufig spekulativ gebaut wurde. Bisher gingen diese Spekulationen jedoch oft zumindest in der mittleren Frist auf, weil der Zuzug in die großen Städte in China sehr stark war. Das lässt jedoch nun allmählich nach. Der Markt beginnt also zu stottern, weil der Zuzug begrenzt werden soll, zumindest in einigen wichtigen Städten wie Schanghai. Auch der wachsende Onlinehandel bremst die Nachfrage im stationären Einzelhandel. Aber der Nachholbedarf ist noch immer gewaltig. Ich glaube, der größte Boom ist vorbei – aber es gibt noch hinreichend viele strukturelle Gründe für ein langfristiges Wachstum – aber halt nicht mehr in derselben Geschwindigkeit. Und genau dann ist Überangebot möglich.

Chinesische Berater sprechen von einem Leerstand neuer Wohnungen in der Größenordnung von 90 Millionen. Sehen wir gerade einer Immobilienblase beim Platzen zu?
Andere Schätzungen kommen auf 50 Millionen Wohnungen. Allein diese Differenz sagt viel über die fehlende Transparenz und die Dimension des Marktes aus. Das ist gerade in China seit Langem ein Problem. Und jetzt wird durch Evergrande die Finanzierung von Wohnungen schwieriger – das wird sehr wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Preise haben. Doch ich vermute, nach einer Delle wird der Trend steigender Preise fortgesetzt, er wird sich aber abflachen. Es kann sein, dass Evergrande wie ein klärendes Gewitter wirkt.

Warum steuert die Regierung jetzt bei der Verschuldung der Immobilienkonzerne gegen?
Die Zentralregierung in China versucht seit Jahren, den Verschuldungsgrad der einheimischen Immobilienfinanzierer zu drosseln und die Immobilienmärkte abzukühlen. Doch Evergrande hat durch die Emission von Anleihen den fehlenden Zugang zu inländischen Bankkrediten kompensiert. Dies haben andere Entwickler auch gemacht, aber nicht in der Dimension. Dem Konzern fliegen jetzt also auch eigene Fehler um die Ohren.

Der Professor für Immobilienwirtschaft ist Kenner des chinesischen Immobilienmarkts. Quelle: IREBS Immobilienakademie
Tobias Just

Der Professor für Immobilienwirtschaft ist Kenner des chinesischen Immobilienmarkts.

(Foto: IREBS Immobilienakademie)

Kritiker warnen vor einem Lehman-Effekt in China. Wie groß ist die Gefahr?
Ich glaube, der Vergleich mit Lehman passt nicht. Bei Evergrande liegen die Schulden vor allem in China, die Verflochtenheit mit dem Ausland ist deutlich geringer, so viel wir derzeit wissen. Die Zahlen, die wir bei Evergrande hören, sind zwar gigantisch groß. Aber dahinter stehen auch vergleichsweise gut verwertbare Gebäude und bebaubares Land. Das ist der Unterschied zum Kollaps von Lehman. Wo der Vergleich aber passt, ist, dass die Regierung genau vor der gleichen schwierigen Entscheidung steht, wann und wie sie eingreifen soll.

Warum lässt sich der Staat so viel Zeit mit der Entscheidung, ob er Evergrande rettet?
Ich glaube, dass an Evergrande gerade ein Exempel statuiert wird. Der Staat will klare Grenzen aufzeigen – und möglicherweise möchte die Zentralregierung auch keine Anreize für andere trudelnde Unternehmen setzen, riskante Geschäfte einzugehen. Der Staat darf nicht zu einfach und nicht zu früh als weißer Ritter auftreten.

Erwarten Sie, dass der Konzern am Ende zerschlagen wird?
Das ist sicher eine Option, die auf dem Tisch liegt. Genauso gut könnten aber auch Teile abverkauft werden, die Staatsbank dem Konzern eine Finanzierung anbieten oder andere Unternehmen dazu gedrängt werden, auf einen Teil der Forderungen zu verzichten.

Sind China und sein Immobilienmarkt ein Sonderfall, oder sehen Sie weitere Immobilienmärkte weltweit vor einer Krise?
Nun, überall wo Immobilienmärkte stark nach oben ziehen, viel mit Fremdkapital finanziert wird und es Spekulation auf nicht realisierte Erträge gibt, hat man ein Problem. Man muss also gar nicht bis nach China schauen: Solche Elemente finden sich auch auf einigen Märkten in Europa und den USA. Aber hier reden wir nicht über dieselben Verschuldungsniveaus, wie sie vor der Immobilienkrise 2006 erreicht wurden – vor allem weil die Banken im Westen viel vorsichtiger geworden sind und mehr Eigenkapital bei der Finanzierung verlangen. Für Deutschland sehe ich keine große Gefahr, und auch in den USA ist ein Fall wie Evergrande aktuell nicht denkbar, weil die Firmen nicht solche Dimensionen wie in China haben.

China reglementiert die einheimischen Tech-Konzerne, geht gegen die Gaming-Branche vor und setzt den Immobilienfirmen Grenzen. Wie gefährlich ist diese Mischung?

Das ist eine wichtige Frage. Aber in Sachen Immobilien hatte China kaum eine andere Wahl. Nichts zu tun wäre fatal gewesen. Das Vorgehen ist jetzt drakonisch – aber es kommt mit Ankündigung, die Liste regulatorischer Immobilienmarkteingriffe ist lang. Evergrande zeigt, wie anfällig das Modell bisher war, spekulativ auf einen starken Abverkauf bereits gebauter Wohnungen zu setzen. Die Regierung ist schon lange mit strukturellen Aufräumarbeiten beschäftigt – aber akut vor allem mit Brandlöschung.

Professor Just, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Zweitgrößter Anteilseigner von Evergrande plant Verkauf gesamten Anteils

Startseite
Mehr zu: Tobias Just im Interview - „Der größte Boom ist vorbei“ – Die Folgen des Evergrande-Dramas für Chinas Immobilienmarkt
0 Kommentare zu "Tobias Just im Interview: „Der größte Boom ist vorbei“ – Die Folgen des Evergrande-Dramas für Chinas Immobilienmarkt"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%