Kauf von Wohneigentum Das Märchen von den erschwinglicheren vier Wänden

Wer eine Immobilie gekauft hat, sollte bis zum Renteneintritt schuldenfrei sein.
„Wohneigentum trotz gestiegener Preise so erschwinglich wie nie“, konstatierte der Maklerverband IVD vor wenigen Tagen. Sein Erschwinglichkeitsindex misst die finanzielle Belastung eines Haushaltes, wenn er Wohneigentum erwirbt. Mit 140,42 Punkten erreichte der Index einen neuen Höchststand. Vor zehn Jahren lag dieser Wert bei unter 100 Punkten. Das Prinzip dabei: Je höher der Index-Wert, desto erschwinglicher die Eigentumswohnung oder das Einfamilienhaus.
Die Berechnung berücksichtigt den Anstieg der Immobilienpreise und der Einkommen ebenso wie das gesunkene Zinsniveau und die heute höhere Anfangstilgung. Andere Untersuchungen kommen zu vergleichbaren Ergebnissen. Und trotzdem werden Wohnungssuchende in den Metropolen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart sagen: „Schön wär’s.“ Das Gleiche gilt für die weiteren Trendviertel-Städte Mainz und Erlangen.
Denn nach Berechnungen, die die Wohnungsmarktforscher von Empirica exklusiv für das Handelsblatt vornahmen, sind Wohnungen in diesen Städten trotz tief gefallener Zinsen heute weniger erschwinglich als vor zehn Jahren. Ganz besonders hart sparen muss eine Münchener Haushalt mit durchschnittlichem Einkommen, wenn er sich eine Neubau-Eigentumswohnung mit 80 Quadratmetern kaufen will. 46 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens geht an die Bank. Vor zehn Jahren waren es bereits sehr hohe 39 Prozent. Während es laut der IVD-Untersuchung Hamburgern vergleichsweise leichtfällt, Wohnraum zu erwerben, besagen die Berechnungen im Auftrag des Handelsblatts das Gegenteil.
Woher kommen die unterschiedlichen Ergebnisse? Kurz gesagt: Sie beruhen auf unterschiedlichen Eingabedaten. Empirica berechnete die Erschwinglichkeit in den zwölf Trendviertel-Städten und drei -Ballungsräumen von 2006 und 2015 auf Basis der von vdp Research ermittelten Kreditdaten. vdp Research ist das Analysehaus der Pfandbriefbanken. Die Besonderheit: Diese Kreditkonditionen entsprechen den tatsächlichen durchschnittlichen Konditionen der beiden Vergleichsjahre, ermittelt aus den anonymisiert übermittelten Kreditverträgen der Mitgliedsunternehmen.
Im Klartext: Die realen Marktdaten fallen für die Käufer ungünstiger aus als die Durchschnittswerte, mit denen der Maklerverband kalkuliert.
„Die Wohneigentumserwerber sichern sich die derzeit günstigen Konditionen für einen längeren Zeitraum. So ist die durchschnittliche Zinsfestschreibungsdauer von 2006 bis 2015 von zehn auf 13 Jahre gestiegen. Der Zinsvorteil wird vor allem dafür genutzt, eine höhere Anfangstilgung zu vereinbaren“, beobachtet Thomas Hofer, der für vdp Research das Finanzierungsverhalten der Häuslebauer analysiert. 2006 vereinbarten Wohnraum-Käufer im Schnitt zwei Prozent Anfangstilgung, im vergangenen Jahr 3,1 Prozent. Damals zahlten sie im Schnitt 4,4 Prozent Zinsen, 2015 waren es nur noch 1,8 Prozent. In Relation zum erworbenen Immobilienvermögen blieb der Verschuldungsgrad gleich, denn es werden unverändert im Schnitt 25 Prozent Eigenmittel eingesetzt.
Nicht anders als Selbstnutzer verhalten sich Kapitalanleger, obwohl für sie die Versuchung zurzeit besonders groß ist, mit niedrigen Zinsen die Eigenkapitalrendite hochzuhebeln, indem sie nur wenig eigenes Geld einsetzen. „Kapitalanleger finanzieren ähnlich wie die Häuslebauer. Sowohl die Eigenkapitalquote als auch Zinsbindungsfrist und Anfangstilgung unterscheiden sich kaum“, sagt Hofer.
Verschärfte Regeln für die Kreditvergabe
Die Bundesregierung baut trotzdem für die Fälle vor, dass Menschen sich mit Hausbau-Krediten übernehmen. Sie hat die Regeln für die Kreditvergabe verschärft. Die Bank darf Darlehen nur dann herausgeben, wenn der Kunde sie davon überzeugt, dass er die Raten bis zum Laufzeitende bezahlen kann. Schon berichten Banken von weniger Ausleihungen, weil Kunden, die vor Inkrafttreten der neuen Kreditvergaberichtlinien am 21. März noch ohne weiteres Geld von der Bank bekommen hätten, nun abgelehnt werden. Ein Handicap für junge Paare und solche, die gerade Eltern wurden, weil Banken einkalkulieren, dass aus Doppelverdienern nach einer Schwangerschaft Einfachverdiener werden und dies auf unbestimmte Zeit auch bleiben.
Ein vergleichbares Problem haben Käufer, wenn sie es nicht schaffen, den Kredit bis zum Rentenalter abzutragen. Dann prüft die Bank, ob die zu erwartenden Rentenzahlungen ausreichen, um den Kredit zu bedienen.
Ohnehin sagt eine Faustregel, dass der Immobilienkäufer bis zum Renteneintritt schuldenfrei sein sollte. Das funktioniert bei dem niedrigen Zinsniveau nur, wenn höher getilgt wird. Denn ein mathematisches Phänomen führt dazu, dass ein Darlehensnehmer bei gleicher Anfangstilgung umso später schuldenfrei wird, je geringer der Zins ist. Ein Beispiel: Ein Kredit über 250 000 Euro wäre bei einem Effektivzinssatz von 4,4 Prozent, dem Durchschnittszinssatz des Jahres 2006, und zwei Prozent anfänglicher Tilgung nach 26 Jahren und neun Monaten zurückgezahlt. Die monatliche Rate würde rund 1 315 Euro betragen. Der gleiche Kredit zum Durchschnittszinssatz von 1,8 Prozent des Jahres 2015 aufgenommen, würde zwar nur rund 788 Euro im Monat kosten, seinen Kreditnehmer aber erst nach 35 Jahren und zehn Monaten schuldenfrei stellen. Da das erste Wohneigentum überwiegend im Alter zwischen 30 und 40 Jahren erworben wird, kann das bis zur Rente knapp werden. In beiden Fällen wurde der Einfachheit halber unterstellt, dass die Zinsen sich über die gesamte Laufzeit nicht verändern.
Dass die Zinsen noch einmal in dem Maße nach unten gehen wie in den vergangenen zehn Jahren, ist kaum vorstellbar. Von japanischen Verhältnissen, wo Baugeld mit 35 Jahren Zinsbindung für weniger als ein Prozent verliehen wird, sind wir in Deutschland doch noch ein Stück entfernt. Der Rat von Stephan Gawarecki, Vorstandssprecher des Baufinanzierungsvermittlers Dr. Klein, ist deshalb eindeutig: „Wir empfehlen Immobilienkäufern das niedrige Zinsniveau lange festzuschreiben.“
Während die Zinsen nur noch minimal sinken können, aber viel wahrscheinlicher demnächst wieder ein wenig zulegen, klettern die Wohnungs- und Einfamilienhauspreise unaufhörlich weiter. Das bedeutet, dass die Erschwinglichkeit eher schlechter als besser wird. Dies umso mehr, wenn Käufer dem Rat Gawareckis folgen und die Zinsen möglichst lange festschreiben, was für Zinsbindungen von 20 Jahren spricht. Für die werden rund zwei Prozent Zinsen fällig, also mehr als in der Beispielrechnung.
Zudem erlebt der Käufer, dass es heute härter als früher ist, 25 Prozent Eigenkapital anzusparen. Denn in allen Trendviertel-Kommunen ist die Zahl der Netto-Jahreshaushaltseinkommen, die zum Erwerb einer Wohnung nötig sind, erheblich gestiegen und damit auch die Zahl der Jahreseinkommen, die für den Eigenanteil notwendig sind. Besonders krass sind die Verhältnisse wieder einmal in München, wo für den Kauf einer 80-Quadratmeter-Wohnung mehr als drei Jahreseinkommen für den Eigenanteil von 25 Prozent erforderlich sind.
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