Immobilien: Wachstum zwingt Frankfurt zu mehr Kreativität
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Trendviertel 2019Bauland statt Acker: Wachstum zwingt Frankfurt zu mehr Kreativität
Die Mainmetropole ist beliebt – um den wachsenden Wohnungsmarkt zu entlasten, will Frankfurt auch mehr landwirtschaftliche Flächen zu Bauland machen.
Schon in diesem Jahr könnte Frankfurt erstmals in der Geschichte die Marke von 750.000 Einwohnern knacken.
(Foto: imago/Rüdiger Wölk)
Frankfurt In der Platensiedlung im Frankfurter Westen soll die Vision vom „Wohnen für alle“ realisiert werden. Die städtische Wohnungsgesellschaft ABG Frankfurt setzt im Stadtteil Ginnheim um, was deutschlandweit gefordert wird: Aufstockung und Nachverdichtung im Bestand.
Die Baustelle unterscheidet sich kaum von einer gewöhnlichen: Bauzaun, Gerüste, Dreck und Kräne stehen zwischen den Wohngebäuden aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Das abgetragene Gerippe der einstigen Dachstühle jedoch verrät, dass hier etwas Besonderes geschieht. Wo einst die Satteldächer thronten, hat ein Baukran vorgefertigte, kastenförmige Module auf das Haus gesetzt. Zwei Stockwerke wurden auf die meist dreigeschossigen Häuser aufgesattelt.
Inklusive Nachverdichtung sollen aus 342 auf diese Weise knapp 1.000 Wohnungen werden. Wer dort mieten will, soll monatlich maximal 10,50 Euro pro Quadratmeter zahlen müssen. Dass die Wohnungen schnell vergeben sein werden, daran gibt es kaum Zweifel: In Ginnheim liegt die Durchschnittsmiete bei 13,60 Euro.
Um 6755 Menschen ist die Stadt im vergangenen Jahr größer geworden. Schon in diesem Jahr könnte erstmals in der Geschichte die Marke von 750.000 Einwohnern geknackt werden. Eilte Frankfurt einst der wenig schmeichelhafte Ruf einer wahlweise arroganten Bankenstadt oder eines berüchtigten Drogenumschlagplatzes voraus, will man heute eine „Stadt für alle“ sein. Tatsächlich ist die Mainmetropole beliebt. Die Preise steigen. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp.
Zwar hat sich das Tempo des Preisanstiegs 2018 etwas verlangsamt. Mit Steigerungen von mehr als neun Prozent sowohl bei Ein- und Zweifamilienhäusern als auch bei Eigentumswohnungen bleibt die Dynamik aber beachtlich. Eigentumswohnungen kosten im Schnitt 4.940 Euro pro Quadratmeter, Einfamilienhäuser 4.270 Euro, zeigen Auswertungen von vdp Research, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen. Ähnlich teuer ist unter den Metropolen nur in Stuttgart, sieht man einmal von München ab, das in eigenen Dimensionen schwebt.
Noch ist ein Ende des Preisanstiegs nicht abzusehen: Mike Josef, Leiter im Planungsdezernat und Stadtrat (SPD), taxiert den Wohnungsmangel auf 40.000 Einheiten. An dieser Zahl hat sich seit Jahren nichts geändert, obwohl die Bautätigkeit in den vergangenen Jahren angezogen hat. 4.900 Wohnungen wurden 2017 gebaut, ein Rekordwert.
An Bauvorhaben mangelt es dabei nicht: Silvia Beck, Niederlassungsleiterin des Immobilienanalysehauses Bulwiengesa in Frankfurt, zählt allein in den vier größten Entwicklungen im Stadtgebiet 5300 Wohnungen. Auf dem ehemaligen Siemens-Gelände in Rödelheim wollen die Projektentwickler Instone und Nassauische Heimstätte beispielsweise bis 2024 insgesamt 2.000 Wohnungen bauen.
Auch im Umland gibt es eine Reihe von Projekten, wenn auch kleinere: Das größte unter ihnen ist „Quellenpark Wohnen“ mit 500 Wohnungen in Bad Vilbel. Neubau im Umland schaffe zwar Entlastung. „Die ganz große Wohnungsnot wird damit aber nicht beseitigt“, sagt Beck. Der Sog der Stadt ist einfach zu groß.
Weil in den innerstädtischen Lagen kaum noch was zu holen ist, und wenn, dann nur zu Höchstpreisen, zieht es die Menschen an die Stadtränder. Bislang wenig populäre Wohngebiete wie Ginnheim oder Rödelheim rücken auf einmal genauso in den Fokus wie das von Gewerbeflächen geprägte Fechenheim. Sie sind die Trendviertel mit überdurchschnittlichen Preisentwicklungen in den vergangenen drei Jahren.
Für Daniel Ritter gibt es in Frankfurt schon gar keine Randlagen mehr. Der geschäftsführende Gesellschafter bei von Poll Immobilien sieht sogar angrenzende Städte wie Neu-Isenburg oder Bad Vilbel im Kommen. Selbst in Bad Vilbel lägen Neubauwohnungen mittlerweile zwischen 4.500 und 5.500 Euro pro Quadratmeter.
„Die stark gestiegenen Kaufpreise in den A-Lagen führen dazu, dass sich sowohl Eigennutzer als auch Kapitalanleger weiter nach draußen orientieren“, sagt Ritter. Konnten Kapitalanleger etwa in Fechenheim im Osten der Stadt vor wenigen Jahren noch mit acht Prozent Rendite rechnen, seien heute selbst fünf Prozent kaum noch zu finden. Immerhin: Dort kostet die Eigentumswohnung noch 3320 Euro pro Quadratmeter. Für Wohnungen in der Altstadt oder im Bahnhofsviertel werden gut 6.000 Euro pro Quadratmeter fällig – oder noch viel mehr.
Hoch hinaus
Von seinen Büroräumen im Hochhaus „Maintor Panorama“ gleich am Fluss hat Ulrich Höller freie Sicht auf sein Vorzeigeprojekt: das Union-Investment-Hochhaus. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Projektentwicklers und Investmentmanagers GEG ist nicht etwa für den Bau des grauen, brutalistischen Gebäudes verantwortlich, wohl aber dafür, was daraus werden soll.
Als Höller noch Geschäftsführer des Unternehmens war, sicherte er sich den Turm für den Umbau und konnte den deutschen Architekten Ole Scheeren dafür gewinnen. Scheeren, der zahlreiche Türme in asiatischen Metropolen wie Bangkok, Peking und Singapur kreierte, setzt damit sein erstes Projekt in Europa um.
Die harten Ecken und Kanten des Gebäudes sollen von viel Grün umschmeichelt werden, daher auch der neue Name: „Riverpark Tower“. Billig wird das Wohnvergnügen dort nicht: Die 170 Wohnungen mit Serviceangebot sollen zwischen 10.000 und 20.000 Euro pro Quadratmeter kosten. Gerade sei der Vertrieb gestartet. „Die Nachfrage übertrifft die schon hohen Erwartungen. Die meisten Interessenten stammen dabei aus der Region“, sagt Höller.
Wohnungen in Hochhäusern wie dem „Riverpark Tower“, dem „Grand Tower“ oder dem „One Forty West“ kann sich nur eine sehr solvente Klientel leisten. In den neuen Wohntürmen lägen die durchschnittlichen Quadratmetermieten bei etwa 25 Euro, sagt Beck von Bulwiengesa.
Plattensiedlung in Frankfurt-Ginnheim
Die städtische Wohnungsgesellschaft ABG Frankfurt im Frankfurter Westen um, was deutschlandweit gefordert wird: Aufstockung und Nachverdichtung im Bestand.
(Foto: AGB Frankfurt)
Doch die Forderung der Stadt, dass bei neuen Projektentwicklungen 30 Prozent der Wohnfläche als sozial geförderter Wohnraum entstehen müssen, sorgt zumindest für etwas Abhilfe bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum. So entstehen zum Beispiel 35 geförderte Wohnungen direkt neben dem „Riverpark Tower“.
Wer keinen Anspruch auf eine geförderte Wohnung hat, dem bleibt kaum etwas anderes übrig, als an den Stadtrand zu ziehen. Eine Möglichkeit finden Käufer am „Rebstockpark“ im Stadtteil Bockenheim. Das vor gut 20 Jahren gestartete Projekt ist fast vollendet: Das letzte große Baufeld soll bebaut werden. Etwa 1000 Wohnungen errichtet die städtische Wohnungsgesellschaft ABG zusammen mit LBBW Immobilien. Bis 2023 soll alles fertig sein.
Schon wesentlich früher werden Mieter in die LBBW-Projektentwicklung „Mainwald“ in Niederrad einziehen können, wo rund 700 Wohnungen entstehen. Zwei Drittel von ihnen werden Mietwohnungen zu Kaltmieten von voraussichtlich 15 Euro sein. In Frankfurt würde LBBW-Immobilien-Geschäftsführer Michael Nagel gern mehr bauen, auch im Umland.
Das Rhein-Main-Gebiet ist für den Projektentwickler, der auch in Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg oder München aktiv ist, der derzeit „leistungsfähigste Markt“ Deutschlands. Daher hält er ein umstrittenes Projekt, das im Nordwesten der Stadt geplant ist, angesichts des anhaltenden Zuzugs für notwendig. „Sie können ja niemandem vorschreiben, die Stadt nicht attraktiv zu finden“, sagt Nagel.
Mike Josef sieht das ähnlich. Der Planungsdezernent der Stadt Frankfurt hat das zwischen Praunheim, Niederursel, der Nordweststadt und dem Riedberg sowie den Kleinstädten Steinbach und Oberursel geplante Entwicklungsgebiet aus der Taufe gehoben. Bis zu 30.000 Menschen sollen dort wohnen. Ob und wie das Projekt realisiert werden wird, ist noch völlig unklar.
Denn die Anrainergemeinden sind wenig erpicht darauf, dass ihnen Frankfurt auf die Pelle rückt – auf Kosten von Ackerland. Vorerst muss Josef deshalb mit dem Platz zurechtkommen, den er im Frankfurter Stadtgebiet noch hat – und das ist gemessen an den Wohnungspotenzialen gar nicht wenig: Bis zu 70.000 Einheiten gäben die verfügbaren Grundstücke her, sagt er.
Initiative für Sozialbau
Preisgünstigen Wohnraum will Josef nicht nur über die Quoten für geförderten Wohnraum bei Neubauprojekten schaffen. Er will in Neubaugebieten zudem 15 Prozent der Flächen an Genossenschaften vergeben, die langfristig Preisstabilität garantieren. Manchem Frankfurter ist das noch nicht genug.
Trendviertel 2019 – Methode und Auswertung
Für die Trendviertel-Erhebung des Handelsblatts wurden die realen Kaufpreise für Eigenheime und Eigentumswohnungen herangezogen. Die Daten stammen von mehr als 600 Kreditinstituten. Die Banken übermitteln die anonymisierten Immobilienverkehrswerte, die sie ihren Kreditgutachten zugrunde legen, vierteljährlich an das Analysehaus vdp Research. Die Berliner Experten werteten jeden Postleitzahlbereich der ausgewählten Städte exklusiv für das Handelsblatt aus.
Vdp Research wendet bei der Datenanalyse aufwendige statistische Verfahren an, um Unterschiede zwischen Objekten aufgrund von Qualität, Baujahr und Lage herauszurechnen. Analysiert wird außerdem die räumliche Beziehung zwischen den Immobilien: Berücksichtigt wurde, dass benachbarte Objekte oft große Ähnlichkeiten aufweisen, da sie sich gegenseitig beeinflussen. Mit zunehmender räumlicher Distanz wird diese Ähnlichkeit dann geringer. Dieser statistische Ansatz ermöglicht es, Preise unabhängig von Stadtteilgrenzen zu beurteilen.
Zu den in der Stadtkarte eingezeichneten Trendvierteln zählen jene Stadtteile, in denen die Preise für Wohnungen oder Häuser in den Jahren 2015 bis 2018 stärker gestiegen sind als im Durchschnitt der Stadt. In den Karten werden die fünf Trendviertel mit den höchsten Preis- und Mietsteigerungsraten des vergangenen Jahres genannt.
Mit „Stadt für alle“ hat sich eine Initiative gegründet, die ein Referendum namens „Mietentscheid“ fordert. Ziel: Die städtische ABG soll künftig nur noch sozial geförderten Wohnraum bauen dürfen. Eine von der Initiative beauftrage Umfrage hat ergeben, dass 63 Prozent der Frankfurter diesem Vorhaben etwas abgewinnen können. Von den rund 52.000 Wohnungen im Bestand des Unternehmens fallen bislang 20.000 unter den geförderten Wohnraum.
Frank Junker hält nichts von dieser Idee – und das Volksbegehren für rechtswidrig. Außerdem sei die Beschränkung auf den Bau geförderter Wohnungen schlicht nicht finanzierbar, sagt der Geschäftsführer der ABG Holding. Allein bei den absehbaren Bauvorhaben von 10.000 Wohnungen benötige er dann rund eine Milliarde Euro an Fördergeldern mehr.
Außerdem könne das Unternehmen bei Grundstücksvergaben nicht mehr mithalten. „Die Folge wäre, dass die ABG als Marktteilnehmer bei Bewerbungen um Grundstücke verschwindet“, sagt Junker. Er verweist darauf, dass die ABG schon heute bezahlbaren Wohnraum baut. So etwa bei der Nachverdichtung in der Ginnheimer Platensiedlung: Mit der – frei finanzierten – Maximalmiete von 10,50 Euro pro Quadratmeter entspreche das Niveau dort exakt der Obergrenze für preisgedämpften Wohnraum.
„Der große Vorteil von Dachaufstockungen liegt darin, dass wir uns die Grundstückskosten sparen“, sagt Junker. Das Potenzial von weiteren Aufstockungen und Nachverdichtungen schätzt er auf mehr als 2000 Wohnungen. Die Platensiedlung könnte also erst der Anfang sein.
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