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Trendviertel 2019 Existenzfrage Wohnen – Wo die Preise besonders stark steigen

Immobilien bleiben bei Anlegern gefragt, doch gebaut wird noch immer zu wenig. Die Politik reagiert hektisch – und verschreckt private Kapitalgeber.
20.06.2019 - 19:00 Uhr 2 Kommentare
Viele deutsche Großstädter fürchten, sich ihr angestammtes Viertel bald nicht mehr leisten zu können. Quelle: Magnus Kaminiarz & Cie. Architektur / AFP/ Getty Images [M]
Immobilienmarkt

Viele deutsche Großstädter fürchten, sich ihr angestammtes Viertel bald nicht mehr leisten zu können.

(Foto: Magnus Kaminiarz & Cie. Architektur / AFP/ Getty Images [M])

Er wollte Innenminister sein, außerdem Bau- und Heimatminister. Eine Superbehörde wurde für ihn geschaffen. Eine, die die Rekordzahl von acht Staatssekretären beschäftigt und mit einem Etat von 14 Milliarden Euro ausgestattet ist. Doch Horst Seehofer (CSU) tritt nahezu ausschließlich als Innenminister in Erscheinung. Weniger als Heimatminister. Und fast gar nicht als Bauminister.

Am Dienstag traf es die versammelte Baubranche, und das bereits zum zweiten Mal. In seinem ersten Amtsjahr hatte sich Seehofer beim Tag der Bauindustrie von seinem Staatssekretär Marco Wanderwitz vertreten lassen. In diesem Jahr musste dessen Kollegin Anne Katrin Bohle einspringen. Seehofer beantwortete derweil Fragen zum Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke. „Seien Sie sicher, der Minister wäre gern selbst gekommen“, sagte Bohle den versammelten Immobilienmanagern und Bauunternehmern. Schließlich komme er „viel zu selten dazu, das zu sein, was er nämlich auch ist: Bauminister“.

Dabei wäre die Präsenz eines starken Ministers in diesem Bereich dringend vonnöten. Die Versorgung der Menschen mit bezahlbaren Wohnungen ist von der Peripherie ins Zentrum der Politik gerückt. Die Bevölkerung wächst, die Kaufpreise und Mieten steigen immer weiter.

Viele Deutsche, vor allem in Großstädten, fürchten, sich ihr angestammtes Viertel nicht mehr leisten zu können. In Berlin demonstrierten Anfang April 35.000 Menschen gegen den „Mieten-Wahnsinn“, initiiert von der Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. In München kamen am selben Tag Tausende Menschen unter dem Motto „Ausspekuliert“ zusammen.

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Noch immer werden viel zu wenige neue Wohnungen gebaut, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Wenn der Politik überhaupt Antworten auf dieses Problem einfallen, dann bevorzugt solche, die das Problem vielleicht kurzfristig lindern, aber nicht auf Dauer lösen. So wie das fünfjährige Verbot von Mieterhöhungen, das der rot-rot-grüne Senat ebenfalls am Dienstag beschloss.

Die einzige nennenswerte Amtshandlung der Großen Koalition im Baubereich war bislang das Baukindergeld. Eine Subvention für Immobilienkäufer, die Seehofer als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnet, aber nach Ansicht der meisten Ökonomen vor allem die Kaufpreise noch schneller in die Höhe treiben wird.

In der Union wird eingeräumt, dass es ein Fehler war, die Wohnungspolitik in den Randgewässern von Seehofers Superministerium zu versenken. Für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ist klar: Wie das Innenministerium jetzt zugeschnitten sei, habe viel mit dem Verlauf der Koalitionsverhandlungen zu tun. Es sei sicherlich „nicht der klügste Zuschnitt“. Ein klassisches Innenministerium sei schon ohne den Baubereich herausfordernd genug.

Nun will die Große Koalition bis August liefern. Ein ganzes Paket von Maßnahmen soll her, so hat es der Koalitionsausschuss im Kanzleramt am vergangenen Wochenende beschlossen, für mehr bezahlbaren Wohnraum, zusätzliche Wohneinheiten und ökologisches Wohnen. Inhaltliche Details haben die Koalitionsspitzen sorgfältig vermieden.

Kein Wunder, denn in der GroKo bahnt sich Streit übers Wohnen an. SPD-Übergangschef Thorsten Schäfer-Gümbel will sich in der Großen Koalition für einen bundesweiten Mietpreisdeckel einsetzen. Eine Position, die im Handelsblatt-Interview auch seine Co-Vorsitzende, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, unterstützt.

Der sozialdemokratische Bundesfinanzminister Olaf Scholz kann zumindest nachvollziehen, dass angesichts der „außergewöhnlichen Preissteigerungen der letzten Jahre“ eine solche Entscheidung in Berlin getroffen worden sei. Seehofer hingegen lehnt den Mietpreisdeckel ab: „Einen Mangel kann man nur bekämpfen, indem man ihn beseitigt. Der beste Mieterschutz ist deshalb ein ausreichendes Angebot an Wohnungen“, sagte er dem Handelsblatt. Zuständig ist indes keiner dieser Politiker, sondern die neue Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Mietrecht fällt in ihr Ressort.

Die Zinswende fällt aus

Der in Sachen Wohnungspolitik weitgehend paralysierten Großen Koalition steht eine Immobilienbranche gegenüber, die mittlerweile das zehnte Boomjahr in Folge erlebt. Allen Warnungen vor Preisübertreibungen oder gar einer Spekulationsblase zum Trotz steigen die Kaufpreise und Mieten immer weiter.

Im vergangenen Jahr hat zwar das Tempo des Anstiegs etwas nachgelassen. Das lag nach Ansicht der Immobilienexperten aber an der prognostizierten Zinswende, die die meisten Investoren für die Euro-Zone erwartet hatten. Ein Ende der Niedrigzinspolitik hätte Kredite teurer gemacht und so die Renditen von Immobilieninvestments geschmälert. Allein die Aussicht darauf dämpfte die Kauflaune.

Doch nun ist die Zinswende vorerst abgesagt. In dieser Woche kündigte Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, sogar weitere geldpolitische Lockerungen an. Damit ist auch das Ende des Immobilienbooms in Deutschland aufgeschoben.

Während Anleger für zehnjährige Bundesanleihen Negativrenditen erzielen, also Geld bezahlen müssen, um dem Staat Geld zu leihen, locken bei Wohnimmobilien in den Großstädten immerhin noch Vorsteuerrenditen zwischen zwei und drei Prozent – Spekulationsgewinne aufgrund weiterer Preissteigerungen noch nicht eingerechnet.

Das auf den Immobilienmarkt spezialisierte Analyseinstitut vdp Research hat untersucht, wie sich die Preise am deutschen Immobilienmarkt entwickelt haben. Grundlage bilden dabei die tatsächlichen Transaktionspreise, wie sie die Gutachterausschüsse registriert haben. Die Statistiken, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen, bestätigen: Die Preise in den Großstädten steigen weiter, nur halt etwas langsamer als bisher.

Der beste Mieterschutz ist ein ausreichendes Angebot an Wohnungen. Horst Seehofer (CSU), Bundesbauminister

In den acht größten Metropolen der Republik kletterten die Preise für Eigentumswohnungen zwischen 4,6 Prozent in Düsseldorf und 10,6 Prozent in Berlin. Obwohl die Anstiege mancherorts deutlich geringer sind als im Vorjahr – in Berlin verteuerten sich Wohnungen 2017 noch um knapp 16 Prozent –, kann von einem Ende des Preisauftriebs keine Rede sein.

Je länger die Nullzinsen den Immobilienboom befeuern, desto größer wird die Gefahr von Spekulationsblasen, die irgendwann platzen könnten. Vor allem ein Punkt bereitet Franz Eilers Sorgen. „Die Kaufpreise steigen immer noch deutlich stärker als die Mieten“, sagt der Leiter der Immobilienmarktforschung bei vdp Research.

Die Mieten kletterten im vergangenen Jahr zwischen 3,2 Prozent in München und 6,6 Prozent in Berlin. Normalerweise sei zu erwarten, dass Mieten und Kaufpreise langfristig im gleichen Tempo steigen, sodass die Renditen auf Immobilieninvestments konstant bleiben. Steigen aber die Preise über Jahre stärker als die Mieten, wie das nun schon lange der Fall ist, sei dies ein Indiz für ein gewisses Maß an Überbewertung.

Auch Michael Voigtländer, Immobilienökonom vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, warnt vor Preisübertreibungen. In den vergangenen Jahren konnte man die Kluft zwischen den Kaufpreis- und den Mietanstiegen mit den fallenden Zinsen erklären. Je niedriger der Zins, desto geringer die Finanzierungskosten und desto eher lohnten sich Immobilieninvestments auch bei niedrigen Mieteinnahmen. Heute aber könne der Zins kaum weiter fallen. „Wenn Marktteilnehmer die Preisentwicklungen der vergangenen Jahre fortschreiben, kommt es zu Fehleinschätzungen. Der Markt könnte kippen“, sagt Voigtländer.

Schon seit Monaten warnt die Bundesbank vor Preisübertreibungen von bis zu 35 Prozent in den Großstädten. Laut den Immobilienmarktforschern von Empirica wächst das Rückschlagpotenzial mittlerweile sogar in Regionen, in denen die Bevölkerung zurückgeht; das Institut taxiert die Übertreibungen dort auf sieben Prozent. „Wenn die gute Konjunktur wegbricht, wird auch der Immobilienpreisboom ein Ende finden“, sagt Thomas Mayer, Leiter des Research-Instituts beim Kölner Vermögensverwalter Flossbach von Storch. Angesichts der aktuellen Konjunktursorgen sei dies sogar ein „ziemlich reales Risiko“.

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Dass der Immobilienboom selbst in einer Niedrigzinsphase nicht ewig währt, zeigt laut Mayer auch das Beispiel Japan: Dort erreichte der Wohnungsmarkt Anfang der 1990er-Jahre seinen Höhepunkt, bevor die Preise deutlich fielen. Selbst in Metropolen wie Tokio haben sich die Immobilienpreise bislang nicht von diesem Einbruch erholt, trotz dauerhafter Nullzinsen.

Langfristig werden sich die Preise also wieder nach unten an die Mieten anpassen müssen – oder die Mieten nach oben an die Preise. Wer heute immer höhere Kaufpreise zahlt, der rechnet meist mit künftigen Mietsteigerungen. Nun könnte die Politik den Investoren einen Strich durch die Rechnung machen.

Eine Branche ist genervt

Als die Wohnimmobilienbranche im vergangenen September mit der politischen Führungsriege im Kanzleramt zum Wohngipfel zusammenkam, hoffte die Branche noch auf einen New Deal für den Immobilienmarkt: mehr Bauland, beschleunigte Baugenehmigungen, eine Entschlackung der Bauordnungen, steuerliche Erleichterung – alles, um den Wohnungsbau anzukurbeln und den Druck auf dem Wohnungsmarkt zu senken.

Ein Dreivierteljahr später ist von den Hoffnungen wenig geblieben. Das seit Jahresbeginn in Kraft getretene Mieterschutzgesetz nahm die Branche noch murrend hin. Mieterhöhungen nach Modernisierungen werden nun auf maximal drei Euro pro Quadratmeter gedeckelt, und in angespannten Wohnungsmärkten dürfen höchstens noch acht statt elf Prozent der Kosten umgelegt werden.

Auch die Forderung, Wohnkonzerne zu enteignen, wurde zunächst als linke Berliner Folklore abgetan. Ebenso die Vorstellungen des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert. Der will Immobilienbesitz auf selbst bewohnten Wohnraum beschränken.

Doch nun sehen sich die Vermieter in Berlin mit einem höchst realen Mietendeckel konfrontiert. Damit will sich die Stadt Zeit zum Bauen neuen Wohnraums erkaufen. Doch das Gegenteil könnte geschehen. „Die Maßnahme wird dazu führen, dass weniger investiert wird und dass Immobilien nicht ausreichend instand gehalten werden“, sagt Ökonom Mayer. Der Wohnungsbestand werde sich verschlechtern.

Dass der Mietdeckel vorübergehender Natur sein soll, hilft laut Mayer kein bisschen: „Kein vernünftiger Investor vertraut dem Staat, wenn der sagt, dass die Maßnahme nach fünf Jahren aufgehoben werden soll. Investoren dürften davon ausgehen, dass die Entscheidung irreversibel ist.“

Durch das Verbot von Mieterhöhungen und die schwelende Enteignungsdebatte sieht sich die Immobilienbranche daran gehindert, Lösungen für den Wohnungsmangel zu liefern. „Im Rahmen von großangelegten Gipfeln werden Abkommen unterzeichnet, auf deren Umsetzung wir jedoch bis heute warten“, sagt Michael Zahn, CEO des MDax-Unternehmens Deutsche Wohnen.

Die private Wohnungswirtschaft habe das Kapital und die Möglichkeiten, bei Neubau und Nachverdichtung voranzugehen, so Zahn. „Was wir jedoch für die Umsetzung brauchen, sind verlässliche, stabile Rahmenbedingungen. Hier ist die Politik mehr denn je gefragt.“

Seehofer spielt den Ball an die Baubranche zurück. Er verweist auf derzeit 700.000 Wohnungen, die bereits genehmigt, aber noch nicht gebaut seien: „In diesen Fällen liegt ja ein Baugrundstück vor. Hier fehlt es oft schlicht an Fachkräften. Wenn wir diesen Bauüberhang abbauen, haben wir schon die Hälfte des Ziels erreicht.“ Ursprünglich hatte sich der Bund für die laufende Legislaturperiode den Neubau von 1,5 Millionen Wohnungen vorgenommen – ein Ziel, das wahrscheinlich weit verfehlt wird.

Während Immobilienkonzerne und Politiker noch über Schuldfragen streiten, suchen die Deutschen längst nach Strategien, um mit den steigenden Immobilienpreisen klarzukommen. Unter anderem, indem sie immer längere Pendelwege in Kauf nehmen.

Trend zum Fernpendeln

Bernd Eickenbusch wohnt mit seiner Frau und seinen drei Kindern seit vielen Jahren im eigenen Haus in einem kleinen Ort bei Wickede (Ruhr). Eickenbusch zahlt für sein Häuschen im Grünen einen hohen Preis: Zwei Stunden pendelt er zur Arbeit nach Düsseldorf – pro Strecke.

Der 51-Jährige ist Teamleiter in der IT eines großen Versicherungsunternehmens. Bei seiner Position sei Präsenz gefragt, sagt er. Die Alternative, wie manch anderer Kollege ein kleines Apartment in Düsseldorf zu mieten, habe er nur kurz erwogen. Eickenbusch ist es wichtiger, täglich zu Hause bei seiner Familie zu sein. Dank eines Firmentickets und der Pendlerpauschale komme er damit auch finanziell günstiger weg.

Einen kompletten Umzug in die Landeshauptstadt schließt er ebenfalls aus, schon wegen seiner Verwurzelung in seinem Heimatort. Und wenn er doch einmal im Vorübergehen die Angebote der Düsseldorfer Makler sieht, wird ihm jedes Mal bewusst, dass die Kosten in der Landeshauptstadt doch in einer ganz anderen Größenordnung rangieren als bei ihm in Wickede.

Die Zahl derer, die lange Wege pendeln, nimmt zu: Rund elf Millionen Erwerbstätige brauchen täglich mehr als eine halbe Stunde zur Arbeit, hat das Institut für Bevölkerungsforschung herausgefunden. Das ist mehr als jeder Vierte. 1991 waren es noch rund 20 Prozent. „Die in den letzten Jahren in vielen Städten deutlich gestiegenen Mieten haben diese Entwicklung noch verstärkt“, heißt es in dem Report.

50 Kilometer entfernt von der Hamburger City steigen die Preise. Quelle: dpa
Altstadt von Lüneburg

50 Kilometer entfernt von der Hamburger City steigen die Preise.

(Foto: dpa)

Dass Deutschlands Städte trotz des Pendeltrends weiter wachsen, liegt vor allem an der Zuwanderung aus dem Ausland, vor allem aus den EU-Nachbarstaaten. Schaut man hingegen rein auf die Binnenwanderung in Deutschland, hat sich der Trend für die Top-7-Metropolen mittlerweile ins Negative gedreht: Aus Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln, München, Stuttgart und Düsseldorf ziehen mehr Menschen aus Deutschland heraus als herein.

Am stärksten ist der Wanderungssaldo in München, der mit Abstand teuersten deutschen Stadt. Laut vdp Research kostete eine Eigentumswohnung 2018 dort im Schnitt 7740 Euro pro Quadratmeter. Die Miete betrug 18,60 Euro.

In den vergangenen Jahren haben viele Kommunen leer stehende Kasernenflächen oder brachliegende Güterbahnhöfe zu Flächen für Wohnungsbau umgewandelt. In Städten von Hamburg über Freiburg bis München sollen ganz neue Stadtviertel entstehen, um der Nachfrage Herr zu werden.

Doch die Neubaupläne stoßen oft auf Widerstand. In Berlin stimmte 2014 eine Mehrheit der Berliner gegen die Bebauung des ehemaligen Flughafens auf dem Tempelhofer Feld. In Erlangen fiel 2018 ein geplanter neuer Stadtteil für 10.000 Menschen bei einem Bürgerentscheid durch. Vor wenigen Wochen hat sich die Mehrzahl der Bremer dagegen ausgesprochen, 1000 Wohnungen auf dem Gelände der alten Galopprennbahn zu errichten. In Frankfurt wirbt Stadtplanungsdezernent Mike Josef für einen neuen Stadtteil im Nordwesten der Stadt. Eine Online-Petition, die die Pläne verhindern will, hat knapp 17.000 Unterstützer gefunden.

Wo Proteste die Ausweisung von ausreichend Bauland verhindern, werden bebaubare Grundstücke zwangsläufig zu Spekulationsobjekten. In Düsseldorf hat sich Bauland zwischen 2007 und 2017 um 350 Prozent verteuert, in Jena um 200 Prozent, haben die Marktforscher von Empira herausgefunden. Spitzenreiter ist mal wieder München: Ein Quadratmeter Bauland kostete hier 2017 bereits 2400 Euro.

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Um die verbliebenen innerstädtischen Flächen für den Wohnungsbau zu mobilisieren, wird mancher Politiker kreativ: Boris Palmer, der Tübinger Bürgermeister, will Eigentümer von lange brachliegenden Grundstücken zum Bauen zwingen. Laut Baugesetzbuch kann die Gemeinde Eigentümer per Bescheid verpflichten, ihr Grundstück nach dem vorgesehenen Zweck des Bebauungsplans zu bebauen. Eine Methode, die auch Bauminister Seehofer gutheißt. Mit solchen Methoden können aber nur sporadisch Baulücken gefüllt werden.

Viele Immobilienexperten halten den Ausbau des Umlands für einen Schlüssel, um die überhitzten Märkte in den Metropolen zu entlasten. „Das Umland muss besser durch den öffentlichen Personennahverkehr angeschlossen werden. In den vergangenen Jahren konnten wir sehr gut nachvollziehen, dass die Wanderungen meist entlang der Schienen oder großen Straßenanbindungen verlaufen“, sagt Reiner Braun, Immobilienökonom bei Empirica.

Die Analysefirma hat die Entwicklung der Kaufpreise für Einfamilienhäuser in den Umlandkreisen der Großstädte zwischen 2014 und heute untersucht. Ergebnis: Die Welle der Preissteigerungen schwappt immer weiter in die Provinz. Am deutlichsten zeigt sich das im Moment in Berlin.

In den Landkreisen Dahme-Spreewald und Oder-Spree haben sich Einfamilienhäuser in den vergangenen fünf Jahren im Preis nahezu verdoppelt. In Lüneburg, etwa 50 Kilometer vom Hamburger Stadtzentrum entfernt, sind die Preise im selben Zeitraum um knapp die Hälfte ihres Ursprungswerts gestiegen. Dabei hat Lüneburg nicht einmal einen S-Bahn-Anschluss.

Auch im Umfeld anderer Metropolen enden die Pendelströme nicht mehr an den Endstationen der Vorortzüge. In Fulda, knapp eine ICE-Stunde von Frankfurt am Main entfernt, kletterten die Preise um knapp 25 Prozent. Ähnlich stark war der Anstieg im Kreis Limburg-Weilburg. Limburg an der Lahn hat ebenfalls einen ICE-Anschluss mit Direktverbindung nach Frankfurt.

Ohnehin würde laut der Wohntraumstudie von Interhyp die Hälfte aller Großstädter lieber in kleineren Städten oder gar auf dem Land wohnen. Hier gibt es noch Leerstand, Bauland ist billig. Trotzdem sagen Prognosen konstant voraus, dass der Zuzug in die Großstädte anhalten wird.

Stadtluft macht krank

Das Verhältnis der Deutschen zum Stadtleben ist nicht immer leicht zu erklären. Je mehr Menschen in die Stadt ziehen, desto größer ist die Sehnsucht nach dem Land. Bücher über das Gefühlsleben der Bäume rangieren auf den Bestsellerlisten ganz oben. Und doch zieht es das Gros der Menschen in die urbanen Zentren.

„Mit den wachsenden Städten wächst auch die Sehnsucht nach der Natur“, sagt Mazda Adli, Stressforscher und Chefarzt der Berliner Fliedner-Klinik. An eine Umkehr zum Leben auf dem Land glaubt er aber nicht. In den Städten „gibt es größere Chancen auf einen besser bezahlten Job und Wohlstand“, sagt Adli.

Ins Zentrum der Politik gerückt. Quelle: Getty Images; Per-Anders Pettersson
Demonstration „gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ in Berlin

Ins Zentrum der Politik gerückt.

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Doch das Leben in den Zentren hat neben den hohen Wohnpreisen noch andere Nachteile: Unter Stadtbewohnern gebe es häufiger Stressfolgeerkrankungen wie zum Beispiel Depressionen. Das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, sei zwei- bis dreimal so hoch, sagt Adli. „Je größer die Stadt und je länger ein Mensch in der Stadt aufgewachsen ist, desto größer ist das Schizophrenierisiko.“ Sein Lösungsvorschlag mehr Natur in der Stadt. Neuere Studien hätten gezeigt, dass die Stressregulation besser wird, wenn Grünflächen in der Nähe der Wohnorte der Menschen existieren.

Auch Parks und Gärten brauchen Platz. Die Antwort auf die Frage, wie genug bezahlbarer Wohnraum für all die Stadtmenschen geschaffen werden kann, wird dadurch nicht einfacher. Aber immer dringender.

Die Große Koalition hat sich nun bis August Zeit gegeben, um zu beweisen, dass sie die Probleme ernst nimmt. Seehofer will dann unter anderem die energetische Gebäudesanierung besser steuerlich absetzbar machen: „So werden die Eigentümer bei den Sanierungskosten entlastet, und das Wohnen bleibt auch in energetisch hochwertigen Gebäuden bezahlbar.“

Der CSU-Politiker hat nun Gelegenheit, endlich das zu sein, was er laut seiner Staatssekretärin Bohle „nämlich auch ist: Bauminister“.

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2 Kommentare zu "Trendviertel 2019: Existenzfrage Wohnen – Wo die Preise besonders stark steigen"

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  • vor weniger als ca.50 Jahren war die Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung ca. bei 11000.-
    heute bei über 80000.-Vergleichen Sie das mit der Mietpreisentwicklung

  • Sehr geehrte Redakteure,

    nehmen Sie doch einfach einmal Ihre eigenen Zahlen und lassen diese andächtig auf der Zunge zergehen. Nach Ihren Recherchen locken bei Wohnimmobililien in den Großstädten immerhin noch Vorsteuerrenditen zwischen zwei und drei Prozent.

    Aber davon müssen Sie auch noch den Unterhaltungsaufwand bestreiten und die erhaltene Miete versteuern. Nach Erhaltungsaufwand und nach Steuern verbleibt eine Rendite von etwa 1 %. Das bedeutet, dass Sie die Miete von 100 Jahren benötigen um den Kaufpreis wieder einzuspielen. Soweit die Fakten. Diese sollten unstrittig sein.

    Unterschiedliche Auffassungen kann es nur bei ihrer Bewertung geben. Die meisten Kapitalanleger halten eine Nettorendite von 1 % für armselig und denken deshalb nicht im Traum daran, ihr Geld in den Wohnungsmarkt zu investieren. Aber aus der Sicht vieler Mieter bedeutet eine Nettorendite von 1 %, dass die Mieten schon heute kaum noch bezahlbar sind.


    Also müssen wir alle Überlegungen darauf konzentrieren, den Bau von Wohnungen billiger zu machen. Anders kommen wir aus dem Dilemma nicht heraus.

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