Wohnungs- und Häusermarkt Deutschland: Der Wahnsinn geht weiter
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Wohnungs- und Häusermarkt DeutschlandDer Wahnsinn geht weiter
Berlin, Stuttgart, Essen: Unsere exklusive Studie verrät, in welchen Vierteln Mieten und Kaufpreise besonders schnell steigen. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Was sind die Gründe? Und was lässt sich dagegen tun?
Eine ganz normale Straße in Hamburg. Ein- und Zweifamilienhäuser, die meisten bereits vor dem Krieg errichtet. Der hörbar nahe Flughafen und die Nachbarschaft zum düsteren Zentralgefängnis „Santa Fu“ haben dafür gesorgt, dass die Welt hier preislich noch in Ordnung war. Allein schon deshalb, weil kaum je ein Haus zum Verkauf stand.
Doch jetzt ist die alte Dame gestorben, die jahrzehntelang in einer der Kaffeemühlen gewohnt hat. Kaffeemühle, so heißt im Maklerjargon das typische hanseatische Einfamilienhaus aus den 20er- und 30er-Jahren: Rotklinker, zwei Vollgeschosse, Walmdach. Die Erben haben keine Verwendung für das stark renovierungsbedürftige 160-Quadratmeter-Haus, und so taucht es wenig später auf der Website von Engel & Völkers auf – für 1,3 Millionen Euro plus Courtage. Wer hier einzieht, wird nach der Sanierung für jeden Quadratmeter Wohnfläche über 10.000 Euro bezahlt haben.
Seitdem kennt der Schwatz über den Gartenzaun kaum ein anderes Thema. Ein siebenstelliger Kaufpreis, den gab es in dieser Straße noch nie. Wer soll sich das denn leisten können? In den Gesprächen offenbart sich jene Mischung aus Ekel und Erregung, die manchen beim Betrachten von Pornografie überfällt: Eigentlich ist dieser Kaufpreis ja völlig krank. Aber wenn den jemand wirklich zahlt, Moment mal, dann heißt das ja für den Wert unseres eigenen Hauses ...
Immerhin, das Angebot stand lange genug im Netz, damit sich die Nachbarschaft das Maul darüber zerreißen konnte. Andernorts verschwinden solche Objekte bereits nach wenigen Stunden aus den einschlägigen Internetportalen. Nicht, weil sie so schnell verkauft wurden. Sondern, weil der Anbieter genervt ist vom ständigen Klingeln des Telefons und bereits jetzt weiß, dass er beim Besichtigungstermin nicht über einen Preisnachlass, sondern über einen -aufschlag verhandeln wird. Neu ist auch, dass Käufer von Einfamilienhäusern, die das Objekt ihrer Begierde bereits reserviert hatten, vom Notar erfahren, dass sie Lospech hatten. So geschehen jüngst in Düsseldorf. Weil der Notar gleich mehrere Reservierungen für die Neubauten vorliegen hatte, wusste er sich keinen anderen Rat, als den künftigen Eigentümer auszulosen.
Willkommen im deutschen Immobilien-Wahnsinn 2016! Alle, die im vergangenen Jahr glaubten, der Preisauftrieb lasse allmählich nach, wurden eines Besseren belehrt. Das zeigen die Daten zur Entwicklung von Wohnungsmieten und Preisen für Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern in 20 Städten, die vdp Research, das Analysehaus der Pfandbriefbanken, exklusiv für das Handelsblatt aufbereitet hat. Aus den Daten hat das Institut die Trendviertel 2016 herausgerechnet. Jene Stadtteile in den 15 wichtigsten deutschen Städten und Ballungsräumen, in denen die Kaufpreise stärker als im Rest der jeweiligen Stadt gestiegen sind.
Dabei zeigt sich, dass die Preissteigerungen längst nicht mehr auf jene Kieze begrenzt sind, die man landläufig mit dem Begriff Trendviertel assoziiert, auf den klassischen Blend aus Altbauwohnungen, Straßencafés und 1.000-Euro-Kinderwagen. Trendviertel, das sind zumindest preislich längst auch Gegenden wie Stuttgart-Plieningen (plus 4,9 Prozent bei Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen).
Am stärksten steigen die Preise für Eigentumswohnungen in der ohnehin schon teuersten Großstadt der Trendviertel-Untersuchung – in München. Dass die Stadt trotz Spitzenmieten und -preisen auch noch die höchsten Steigerungsraten aufweist, erklärt Franz Eilers, Leiter Immobilienmarktforschung bei vdp Research, mit dem „extrem engen Wohnungsmarkt“ der bayerischen Hauptstadt. „In München wird Wohnbauland seit einiger Zeit jedes Jahr um acht bis neun Prozent teurer. Die Grundstückspreise machen je nach Objektart bis zu 60 Prozent der gesamten Baukosten aus.“
Trendviertelerhebung: So wurde gerechnet
Für die Trendviertel-Erhebung wurden die realen Kaufpreise für Eigenheime und Eigentumswohnungen herangezogen, die von einem der 37 Mitgliedsinstitute des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (VDP) finanziert wurden. Die Banken übermitteln die anonymisierten Immobilien-Verkehrswerte, die sie ihren Kreditgutachten zugrunde legten, an das Analysehaus VDP Research. Die Berliner Experten werteten jeden Postleitzahlbereich der ausgewählten Städte exklusiv für das Handelsblatt aus. Sie wenden bei ihren Analysen statistische Verfahren an, um Unterschiede zwischen Objekten, die aus Qualität und Lage resultieren, herauszurechnen.
Trendviertel sind nach der Definition der VDP-Analysten all jene Stadtteile, in denen die Preise für Wohneigentum und die Wohnungsmieten zwischen 2012 und 2015 stärker gestiegen sind als im Durchschnitt der gesamten Stadt.
Im München zeigt sich am deutlichsten, was für alle der zwölf Trendviertelstädte und die drei Ballungsgebiete gilt: Gemessen am Bevölkerungswachstum, wird zu wenig gebaut. Asylsuchende und Zuzügler aus Staaten der Europäischen Union reißen gemeinsam mit den Landflüchtlingen im eigenen Staat die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage immer weiter auf.
Dass diese Differenz wächst, ist Konsens. Um wie viel, wird immer wieder neu gerechnet. Die jüngste Prognose legte das Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln vor. Die Kölner bildeten zwei Szenarien. Im ersten gehen sie davon aus, dass nach 1,1 Millionen Flüchtlingen im Vorjahr bis 2020 jährlich 500.000 Personen nach Deutschland kommen. Daraus resultiert ein Neubaubedarf von jährlich 380.000 Wohnungen bis zum Jahr 2020. Im Falle des anderen Extrems, eines Zuwanderungsstopps ab 2017, würden immer noch 310 000 Wohnungen pro Jahr gebraucht. In jedem der beiden Szenarien müssten allein 71 000 Wohnungen gebaut werden, um Abriss und Zusammenlegung von Altbauwohnungen zu kompensieren.
Dabei klingen die Neubauzahlen auf den ersten Blick sogar ganz beruhigend – aber eben nur auf den ersten. 2015 wurden in Deutschland knapp 248.000 Wohnungen fertiggestellt und 309.000 Baugenehmigungen erteilt. IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer warnt aber davor, aufgrund der hohen Zahl an Baugenehmigungen Deutschland bereits nahe am Minimalziel zu wähnen: „Die Erfahrung zeigt, dass Baugenehmigungen nicht vollständig umgesetzt werden.“ Ganz abgesehen davon, dass zwischen Genehmigung und Fertigstellung zwei bis drei Jahre liegen.
Das ist eine schlechte Nachricht für alle Haushalte, die aus beruflichen Gründen mobil sein müssen oder Nachwuchs erwarten. Mieterwechsel sind der Zeitpunkt, zu dem Vermieter am leichtesten Mieterhöhungen durchsetzen können. Wer in einer Stadt neu zuzieht oder eine größere Wohnung benötigt, zahlt folglich überdurchschnittliche Mieten. Deswegen versuchen Mieter, Umzüge zu vermeiden, hat das Baufinanzierungsportal Baufi24 festgestellt. 2007 habe die Umzugsquote in Deutschland bei 13 Prozent gelegen, 2015 nur noch bei 9,3 Prozent. Doch wenn sich Menschen aus Angst vor dem Wohnungsverlust nicht mehr trauen, den besser bezahlten Job in der anderen Stadt anzunehmen, dann drohen handfeste volkswirtschaftliche Schäden.
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