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Aktie im Fokus Dynamisches Wachstum, aber kein Gewinn: Warum Analysten Delivery Hero zum Kauf empfehlen

Der Halbjahresverlust türmt sich auf fast eine Milliarde Euro, doch die meisten Analysten glauben fest an den Wachstumskurs des Dax-Konzerns.
30.08.2021 - 14:23 Uhr Kommentieren
Kein anderer Dax-Chef spaltet die Privatanleger so sehr in zwei Lager wie der Lieferdienst. Quelle: Andreas Pein/laif
Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg

Kein anderer Dax-Chef spaltet die Privatanleger so sehr in zwei Lager wie der Lieferdienst.

(Foto: Andreas Pein/laif)

Hamburg Am Tag, nachdem Delivery Hero die Verdopplung des Halbjahresverlusts auf 918 Millionen Euro vermeldet hatte, stellte Vorstandschef Niklas Östberg beim Kurznachrichtendienst Twitter eine steile These auf: „Gute Unternehmen verdienen Geld. Die besten Unternehmen konzentrieren sich darauf, Werte zu schaffen.“ Als ein Nutzer diese Aussage mit der Feststellung kommentierte, das klinge danach, als werde jemand in der kommenden Dekade keine Gewinne machen, markierte Östberg dies mit: „Gefällt mir“.

Treue Anleger erleben eine bemerkenswerte Entwicklung beim Dax-Neuling. Beim Börsengang 2017 kündigte Östberg noch an, bis 2019 in die Gewinnzone wachsen zu wollen. Inzwischen ist ihm der Zeitpunkt des Break-even beim Lieferdienst demonstrativ gleichgültig.

Stattdessen steckt er viel Geld in ein neues Geschäftsfeld, mit dem bislang kaum jemand Gewinne erzielt: superschnelle Lieferungen von Supermarktartikeln innerhalb von zehn Minuten nach Bestellung. Östberg nennt das Modell, das auch Anbieter wie Gorillas, Flink und Getir verfolgen, Quick-Commerce. Zusätzlich baut er Beteiligungen an Konkurrenten auf.

Kein anderer Chef eines Dax-Konzerns spaltet die Privatanleger so sehr in zwei Lager. Die einen sehen in ihm einen deutschen Jeff Bezos, der wie der Amazon-Gründer visionär einen Weltkonzern aufbaut und dafür jahrelange Anlaufverluste vorausschauend in Kauf nimmt. Sie blicken auf den Umsatz und akzeptieren, dass sich Delivery Hero mit hohen Ausgaben für Werbung und niedrigen Preisen schnelles Wachstum erkauft. Den anderen schaudert es mit Blick auf die Verluste vor dem vermeintlichen Leichtsinn.

Dabei ist das euphorische Lager, das in Delivery Hero den visionären Weltkonzern sieht, in der Mehrheit. Das spiegelt zumindest der Aktienkurs wider: Seit Anfang 2019 hat sich die Aktie vervierfacht – und das alles mit steigenden Unternehmensverlusten. Das weckt Assoziationen zu hippen Start-ups an der US-Technologiebörse Nasdaq, ist aber im Dax einzigartig. Allerdings geht auch das zweite Lager, das der Skeptiker, nicht ganz leer aus: Seit Jahresbeginn hat die Aktie gut zwölf Prozent verloren, während der deutsche Leitindex Dax um 15 Prozent zulegte.

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Die professionellen Beobachter und damit die Analysten folgen überwiegend der Vision von Östberg.

Östberg gibt Anlegern Rätsel auf

Östberg hat zu der jüngsten Börsenschwäche beigetragen, indem er den Anlegern jüngst mit zwei strategischen Entscheidungen Rätsel aufgab. Nur zweieinhalb Jahre nach dem Verkauf des Deutschlandgeschäfts – die Marke Lieferando ging an den Konkurrenten JET – kündigte Östberg die Rückkehr an und stürzte sich in einen Zweifrontenkrieg.

Dabei geht es um die Lieferung sowohl von Supermarktartikeln als auch von Restaurant-Essen. Damit legt sich Delivery Hero nicht nur mit Lieferando an, sondern auch mit den Newcomern wie Gorillas und Flink.

Östberg weicht somit in Deutschland von seinem bisherigen Diktum ab, die Marktführerschaft auf lokalen Märkten müsse stets in Reichweite sein. Plötzlich gibt sich Östberg zehn Jahre Zeit, um in Deutschland Marktführer zu werden. Der Verdacht steht im Raum, dass die Rückkehr auf den Heimatmarkt vor allem Prestigedenken folgt.

Das zweite Rätsel ist der Einstieg beim Konkurrenten Deliveroo, der Anfang August öffentlich wurde. Östberg hat an der Börse gut fünf Prozent der Aktien zusammengekauft. Zunächst begründete er den Schritt damit, die Aktie sei aus seiner Sicht seit dem vermasselten Deliveroo-Börsengang im März deutlich unterbewertet. Nach Kritik von Analysten, „Aktien-Picking“ könnten die Anleger gut allein leisten, schob er hinterher, der Aktienkauf folge auch einem strategischen Interesse – ließ aber offen, worin dieses besteht.

In Kürze könnte noch ein drittes Rätsel hinzukommen. Das „Manager Magazin“ meldet, Delivery Hero wolle sich mit zunächst 200 Millionen Euro an einer anstehenden Finanzierungsrunde beim Schnelllieferdienst Gorillas beteiligen – einem direkten Konkurrenten im neuen Deutschlandgeschäft. Zuvor hatte der US-Konzern Doordash offenbar kurzfristig ein Angebot zurückgezogen.

Nur wenige Analysten zweifeln

Die professionellen Beobachter schreckt die Flexibilität in Strategiefragen kaum. Nur zwei von 24 Analysten empfehlen laut dem Finanznachrichtendienst Bloomberg, die Aktie zu verkaufen. Zu dieser Minderheit gehört Thomas Hofmann von der LBBW. Er sieht den fairen Wert der Aktie nur bei 83 Euro. Zum Vergleich: Das Konsens-Kursziel der Analysten liegt bei 148 Euro. Aktuell liegt der Kurs bei rund 120 Euro.

Hofmann warnt, Delivery Hero sei einem „sehr hohen Wettbewerbsdruck“ ausgesetzt. Tatsächlich weiten Konkurrenten wie Uber Eats ihr Geschäft stetig aus. Auch der neue Delivery-Hero-Deutschlandchef Artur Schreiber gestand ein, mit so vielen Konkurrenten zum Neustart in Berlin nicht gerechnet zu haben.

Analyst Hofmann stört sich zudem an der unklaren Perspektive: „Wir gehen davon aus, dass Delivery Hero auch mittelfristig sehr dynamische Umsatzzuwächse erzielen wird. Wann aber letztendlich die Gewinnschwelle erreicht wird und auf welchem Niveau die nachhaltige Rentabilität des Unternehmens liegen wird, lässt sich aktuell nur schwer abschätzen“, analysiert er. Mit einem Gewinn unter dem Strich sei frühestens für das Jahr 2025 zu rechnen.

Doch Skeptiker wie Hofmann sind die Ausnahme. Wesentlich optimistischer für die Aktie ist Sarah Simon von Berenberg. Zwar sieht auch sie Gewinne in weiter Ferne – das gilt auch für den Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda): „Wir prognostizieren ein Ebitda-Break-even nicht vor 2023“, sagte sie auf Anfrage. Dennoch verortet sie das Preisziel bei 160 Euro und empfiehlt die Aktie zum Kauf.

Umsatz steigt schneller als der operative Verlust

Ein zentrales Argument für ihre Zuversicht: Delivery Hero gebe zwar viel Geld für das Marketing aus – etwa steigende Summen in Asien. Allerdings fließe ein großer Teil davon nicht in die Werbung für Endkunden, sondern in die Akquise von Restaurants. Sei das Netz an Gastronomen erst einmal dicht genug, könne Delivery Hero hier wieder sparen.

Dazu passt, dass Östberg selbst immer wieder darauf verweist, dass der Umsatz schneller steigt als der operative Verlust, die operative Verlustmarge also sinkt. Hochgerechnet müsste Delivery Hero also bei steigendem Umsatz irgendwann Geld verdienen. Einen Haken gibt es allerdings: Für das neue Geschäftsfeld Quick-Commerce ist der Zusammenhang zwischen Wachstum und besserer Marge noch nicht bewiesen.

Auch Silvia Cuneo von der Deutschen Bank zeigt sich beeindruckt vom Wachstum. Zum zehnten Mal in Folge sei Delivery Hero im zweiten Quartal um rund 100 Prozent beim Umsatz gewachsen – getrieben vom Ende der Corona-Maßnahmen in Nahost und dem neuen Quick-Commerce-Segement.

Investitionen ins Wachstum blieben in dem wettbewerbsträchtigen Marktumfeld ein Kernthema, argumentiert Cuneo. Die Verluste, die durch diese Investitionen entstehen, überraschen die Expertin daher nicht. Sie sieht das Preisziel für die Aktie bei 150 Euro.

Die meisten Analysten verzeihen Östberg den lockeren Umgang mit dem Break-even. Seit dem Börsengang habe sich der Markt verändert, lautet die These. Zum einen habe sich das Modell durchgesetzt, eigene Fahrer zu beschäftigen, statt lediglich Aufträge an bestehende Pizza-Taxis zu vermitteln. Das erfordere höhere Investitionen. Zum anderen sei der Wettbewerb intensiver als anfangs vermutet. Das liegt auch daran, dass die Börse daran glaubt, dass der unerschlossene Markt noch riesig ist.

Entsprechend dieser Zukunftshoffnungen sind die Lieferdienste allesamt hoch bewertet und kommen über Kapitalerhöhungen immer wieder leicht an frisches Geld, können sich also Verluste erlauben. Delivery Hero hatte zuletzt im Januar neue Aktien ausgegeben. Das erleichtert die weitere Finanzierung.

Delivery Hero hält selbst viele Liefer-Aktien

Seit dem Bekanntwerden der Deliveroo-Beteiligung hebt Östberg die Bedeutung der guten Bewertungen an der Börse hervor. Schließlich besitzt Delivery Hero selbst Aktien mehrerer anderer Lieferunternehmen. So sei der Konzern 2018 beim lateinamerikanischen Lieferdienst Glovo bei einer Bewertung von 200 Millionen Euro eingestiegen. Heute halte der Konzern rund 43 Prozent an einem Unternehmen mit 2,3 Milliarden Dollar Marktwert, rechnete Östberg vor.

Auch die Beteiligungen an Zomatoo, Just Eat Takeaway und Rappi hätten deutlichen Wertzuwachs erlebt. Der Marktwert der Beteiligungen im Portfolio insgesamt liegt bei rund 2,3 Milliarden Euro. Das sind weniger als zehn Prozent der Marktkapitalisierung des Konzerns.

Generell ist Delivery Hero ein Konglomerat aus selbst gegründeten und zugekauften Landesgesellschaften. Zuletzt opferten die Berliner ihr selbst aufgebautes Korea-Geschäft und verkauften es an Finanzinvestoren. Nur so war es aufgrund einer Auflage der Kartellbehörden möglich, in Korea den größeren Konkurrenten Woowa übernehmen zu dürfen. Das asiatische Land wird damit endgültig zum wichtigsten Markt des Konzerns und zum Treiber für das stark wachsende Asiengeschäft.

Nicht zuletzt mit solchen Strategien überrascht Delivery Hero immer wieder seine Aktionäre und entfacht damit neuerliche Kursfantasie, aber auch kräftige Schwankungen, wie sie im Dax selten sind. Eines ist sicher: Die Aktie ist nichts für schwache Nerven.

Mehr: Delivery Hero – Die Strategie hinter dem aggressiven Wachstum

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