Aktienmärkte „Rosige Aussichten“ für Aktien: Warum Anleger keine Angst vor Inflation und steigenden Zinsen haben müssen

Anleger sind derzeit vor allem eines: optimistisch.
Bildmontage: Michel Becker
Düsseldorf Mehr als 32.000 Dow-Jones-Punkte, über 14.500 Zähler im Dax: Im Wochenrhythmus preschen wichtige internationale Aktienindizes auf Rekordhochs vor. Aus Sicht von Bankanalysten und Ökonomen gibt es dafür gute Gründe, auch wenn es klassische Hemmfaktoren wie anziehende Kapitalmarktzinsen gibt.
„Trotz Sorgen vor einer stärkeren Inflation dürfte die Rally der Aktienmärkte im ersten Halbjahr 2021 weitergehen“, ist Andreas Hürkamp von der Commerzbank überzeugt. Auch der Chefanlagestratege der Deutschen Bank, Ulrich Stephan, hält den „laufenden Bullenmarkt für intakt und fundamental gut unterstützt: angefeuert von der lockeren Fiskal- und Geldpolitik“.
Solange Inflation und Anleihezinsen „nicht zu schnell steigen, sollte dies mit höheren Aktienkursen einhergehen.“ Vorübergehende Kursrückgänge beurteilt er als Kaufgelegenheiten.
In einer längeren Analyse hat sich die DZ Bank mit aktuellen Warnsignalen an den Börsen auseinandergesetzt: Die Analysten der Dachorganisation der Volks- und Raiffeisenbanken sehen trotz der zuletzt gestiegenen Inflation und des damit verbundenen Zinsanstiegs keinen Grund, ihre erst Anfang Februar angehobene Dax-Prognose von zuvor 14.000 auf 15.000 Punkte zu revidieren.
Analysten erkennen ideales Umfeld für Aktien
„Wir stehen möglicherweise erst am Anfang eines neuen Bullenmarktes am Aktienmarkt“, prognostiziert Chefaktienanalyst Christian Kahler. Dieser habe im April des letzten Jahres begonnen. Haupttreiber sind seiner Meinung nach die steigenden Unternehmensgewinne in den kommenden Jahren.
Bei den 30 Dax-Unternehmen rechnet Kahler mit einem Plus bei den Konzerngewinnen von durchschnittlich 30 Prozent. Die Aussichten für die globale Konjunkturerholung sollten sich im Jahresverlauf verfestigen. „Die Mehrheit der Bürger hat viel Geld zur Seite gelegt und kann dann mehr ausgeben. Die Unternehmen werden dann auch mehr verdienen.“
Für die Aktienmärkte ist dies aus Sicht von Kahler ein ideales Umfeld: „Die nächsten Jahre könnten für die Aktienmärkte rosig werden, wenngleich die Kurse in Anbetracht der gestiegenen Bewertung langsamer ansteigen sollten als in den vergangenen Jahren.“
Stark gestiegene Kurse und damit Aktienbewertungen sind dabei für den Analysten nicht einmal die größten Warnsignale. Es gibt weitere: In den USA schossen die Jahreszinsen für zehnjährige Anleihen des amerikanischen Staates in nur sieben Monaten von einem halben auf 1,5 Prozent in die Höhe. Das ist bemerkenswert, denn mehr als 40 Jahre lang waren die Renditen gesunken: von einst über zehn auf fast null Prozent.
Grund für die jetzt abrupt steigenden Zinsen sind Spekulationen auf einen Konjunkturaufschwung in den drei großen Regionen China, Amerika und Europa. Befeuert werden die Hoffnungen aus den USA und durch mehrere Konjunkturprogramme mit einem Gesamtvolumen von fünf Billionen US-Dollar, um die Wirtschaft aus dem Corona-Tal zu führen.
Die Europäische Union hat bereits Hilfen von 1,8 Billionen Euro verabschiedet. Programme der Einzelstaaten samt Ausfall- und Überbrückungshilfen für Unternehmen und Selbstständige kommen obendrauf. Die Regeln des EU-Stabilitätspakts zur Eingrenzung der Neuverschuldung sind überdies ausgesetzt.
„Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wann die geöffneten Flut-Tore wieder geschlossen werden können“, meint Ibrahima Kobar vom französischen Vermögensverwalter Ostrum.
Und steigende Zinsen mit höheren Anleiherenditen sind für Aktien eine mächtige Konkurrenz. Denn je mehr Rendite es für Anleihen gibt, desto mehr Anleger werden ihr Geld in die ihrer Meinung nach sicherere Anlage umschichten. Dies erst recht nach bereits stark gestiegenen Aktienkursen oder bei schlechten Nachrichten aus den Unternehmen. Dieser Zusammenhang gilt jedenfalls in „normalen“ Zeiten.
Doch Anleger kennen auch die Börsenregel: „Don’t fight the Fed.“ Frei übersetzt: „Stelle dich nie gegen die amerikanische Notenbank!“ Das bedeutet: Solange die Notenbank an ihren ultra-niedrigen Zinsen festhält, bleiben Aktien erste Wahl.
Dies aus der Spekulation heraus, dass die Anleihezinsen nur dann nachhaltig weiter steigen, wenn die Notenbanken mitziehen und ihre auf null herabgesetzten Leitzinsen erhöhen. Doch genau das haben sie schon vor Monaten ausgeschlossen, sogar für den Fall einer leicht höheren Inflation.
Die Argumentation der Fed lautet: Die Inflation war lange Zeit sehr niedrig; deshalb darf sie vorübergehend auch etwas höher sein, ohne dass mit höheren Zinsen - was die Kredite für Staaten und Unternehmen verteuern würde und deshalb Investitionen bremsen würde - gegengesteuert werden muss.
In Europa will die Europäische Zentralbank mit ihrer Chefin Christine Lagarde für lange Zeit an ihrer Nullzinspolitik festhalten. Deshalb hinterlassen eine höhere Inflationsrate – in den USA stieg sie seit Mai von 0,1 auf zuletzt 1,4 Prozent – und höhere Inflationserwartungen – Bundesbankpräsident Jens Weidmann erwartet kurzzeitig drei Prozent in Deutschland – keine Spuren am Aktienmarkt.
„Für eine schnelle Abkehr von der sehr expansiven Geldpolitik steht zu viel auf dem Spiel“, meint Marko Behring, Chef der Vermögensverwaltung der Fürst Fugger Privatbank. „Sie würde nicht nur die Aktienmärkte empfindlich treffen, sondern angesichts stark steigender Staatsschulden auch die Angst vor einer Schuldenkrise wieder befeuern.“
In den USA verdoppelte sich die Staatsverschuldung in zehn Jahren von 14 auf 28 Billionen Dollar. Länder wie die USA und Japan oder Spanien und Italien in Europa sind inzwischen so hoch verschuldet, dass sie jährliche Zinslasten von vier oder sechs Prozent, wie sie früher üblich waren, nicht mehr stemmen können. Die Zinslast wäre zu hoch. Deshalb bleiben die Leitzinsen niedrig.
Obendrein kaufen die Notenbanken Amerikas und Europas den Staaten ihre Schuldscheine ab und halten durch ihre Nachfrage die Kurse der Bonds hoch und damit deren Renditen niedrig. Erst in der vergangenen Woche hat die Europäische Zentralbank (EZB) das monatliche Kaufprogramm noch einmal erhöht. Die Folgen sind immer höhere Schulden, weil diese nichts mehr kosten.
„Anleihen keine Anlagealternative“
Viele Investoren wissen um dieses Schulden-Zins-Dilemma und werden deshalb wohl nicht nachhaltig aus den Aktienmärkten aussteigen. Eben weil es keine nachhaltige Zinswende nach oben geben wird. Dies auch deshalb nicht, weil die Voraussetzungen, also steigende Inflationsraten, bei einem näheren Blick nicht wirklich gegeben sind.
Viele aktuelle Preistreiber sind nur vorübergehend. Das Herunterfahren der Wirtschaft vor einem Jahr hat die Preise wichtiger Güter stark fallen lassen. Der Ölpreis ist mit sehr niedrigen Vorjahresniveaus zu vergleichen.
Zeitweise kostete Rohöl im Jahr 2020 gar nichts mehr, weil es im eingebrochenen Welthandel keine Schiffe mehr gab, die das frisch geförderte Öl aufnehmen konnten. Die Preissteigerungen für Öl, das daran gekoppelte Gas und das aus Öl hergestellte Benzin werden also vorübergehend sehr hoch sein.
Darüber hinaus lief zum Jahreswechsel in Deutschland die Mehrwertsteuersenkung aus, und in den USA wurde die Anhebung des Mindestlohns angekündigt. Auch hier gibt es also einmalige Effekte für eine kurzzeitig steigende Teuerung.
„Die Inflationswarner liegen völlig daneben“, sagte der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz dem Handelsblatt. Er fürchtet nach wie vor mehr die Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft als eine nachhaltige Teuerung.
In der Konsequenz wird dies die Notenbanken davon abhalten, die Zinsen zu erhöhen – und Aktien daraus eine Konkurrenz entstehen zu lassen. „Hausgemachte Einmal- und Basiseffekte sind kein Grund zur Aufregung“, sagt Behring von Fürst Fugger.
Und DZ-Bank-Experte Kahler ist davon überzeugt: „Die Leitzinsen der EZB werden nach unserer Prognose in den nächsten drei bis vier Jahren auf dem aktuellen Niveau bleiben.“ Demzufolge würden auch die Kapitalmarktzinsen kaum steigen. „Anleihen dürften somit auf viele Jahre hinaus keine Anlagealternative für Aktien werden.“
Ähnlich argumentiert Marcel Müller, Leiter des Portfoliomanagements beim bankenunabhängigen Vermögensverwalter HQ Trust der Harald-Quandt-Gruppe. Die Zinsen seien noch gar nicht besorgniserregend gestiegen.
Und auch er glaubt, dass die Zentralbanken bestrebt sind, den Zinsanstieg nicht weit über das Vor-Corona-Niveau zuzulassen. „Daher bleiben Aktien auf lange Sicht die liquide Anlageform mit dem höchsten Ertragspotenzial.“ Starke Rückschläge an den Märkten erwartet er auch nicht aus einem Anstieg der Inflation, weil die Notenbanken bereits angekündigt haben, etwas höhere Inflationszahlen zu tolerieren.
Erst wenn diese Sichtweisen ins Wanken geraten, werden die Börsen anfällig für stärkere Rückschläge, als Anleger sie in den vergangenen Monaten erlebt haben.
Mehr: Wie Top-Investoren jetzt handeln – und was Anleger daraus lernen können
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- Fortsetzung -
"Zur Stagflation kommt es nämlich insbesondere dann, wenn die Zentralbanken massiv die Geldmenge ausweiten (also im eigentlichen Sinne inflationieren), um deflationäre Tendenzen zu verhindern, während die Wachstumsraten niedrig bleiben. (...)
Nun sitzen diem Zentralbanken aber in der Nullzinsfalle. Paul Volcker konnte die Leitzinsen Anfang der 1980er Jahre noch stark anheben, um die Stagflation zu durchbrechen. Das ist heute nun nicht mehr möglich."
https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/marktberichte/dax-aktuell-dax-haelt-die-marke-von-14-000-punkten-kursturbulenzen-rund-um-gamestop-lassen-profis-kalt/26882846.html
Tut mir leid. Das ist nur eine ganz üble Beruhigunspille für den Markt.
Wer diese blaue Pille der Politik und Zentralbanken schuckt, der verliert, wer es dagegen schafft, die rote Pille zu nehmen, gewinnt.
In einer STAGFLATION performen Aktien nämlich ganz und gar nicht gut. Natürlich performen sie besser als Staatsanleihen: aus diesem Sondermüll muss man auch sofort raus, und zwar ausnahmslos - also auch aus Triple-A-besicherten Bonds "erster Güte". Diesen Forderungs-Schrott dürfen die Notenbanken ganz alleine aufkaufen! Wieso sind Aktien in einer Stagflation kein besonders gutes Investment?
"Bei Aktien werden in einer Stagflation die künftig erwarteten Erträge durch geringe Wachstumshoffnung und hohe Inflationserwartungen entwertet. Während des zweiten Ölpreisschocks von 1979/80 wurden die Aktien, die im amerikanischen Börsenindex Standard & Poor’s enthalten waren, mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) von durchschnittlich 7,5 bewertet. In preisstabilen Zeiten sind KGV-Werte von 15 bis 18 üblich."
https://www.finanzen.net/eurams/bericht/inflation-stagflation-lohn-preis-spirale-globalisierung-das-gespenst-aus-den-70ern-1296710
In einer Stagflation muss man also noch weitaus mehr DUE DILIGENCE machen und seine Aktien sehr sorgfältig auswählen! Weitaus besser als Aktien performen in einer Stagflation dagegen Edelmetalle und Rohstoffe (und vermutlich auch die Kryptos - da gibt es wegen der Neuheit der Asset-Klasse aber keine "historischen Erfahrungen ;-) )
Da die Notenbanken einen deflationären Crash mit aller Macht (bzw. ihrer Druckerpresse) verhindern wollen, wird eine Stagflation zudem immer wahrscheinlicher. Hier nochmal, wie eine Stagflation (HOHE Teuerungsraten + HOHE Arbeitslosigkeit entsteht: