Gazprom-Aktie Eine riskante Wette

Die Analysten sind skeptisch.
Moskau Für Russlands mehrheitlich staatliche Gesellschaft Gazprom gelten Sonderregeln: Hatte die Regierung vor Wochen wegen der angespannten Haushaltslage noch darauf gedrungen, allen Staatskonzernen die Hälfte ihres Gewinns abzuknöpfen, so muss Gazprom nun deutlich weniger bezahlen – zumindest nach dem international üblichen Rechnungslegungsverfahren IFRS. Stattdessen wird der Konzern nur 50 Prozent des Gewinns nach dem russischen Standard RSBU als Dividende abführen. Die Tageszeitung „Wedomosti“ berichtet unter Berufung auf mehrere Regierungsquellen, dass Gazprom 175,2 Milliarden Rubel (2,4 Milliarden Euro) ausschüttet. Das entspricht nur 21,8 Prozent des Gewinns nach IFRS (rund elf Milliarden Euro).
Eigentlich hatte das russische Ministerkabinett den bei den unterschiedlichen Berechnungen jeweils höheren Wert als Basis durchsetzen wollen. Doch die Entscheidung sei auf „höchster Ebene“ getroffen worden, und an Gazproms Lobbyfähigkeiten gebe es wenig Zweifel, wird einer der Beamten zitiert.
Vor allem im Finanzministerium herrscht jetzt Enttäuschung. Nach dessen Berechnungen wird die vorgegebene Budgetdefizitgrenze von drei Prozent nun übertroffen. Auch bei den Anlegern, die auf Dividendenerlöse gehofft hatten, löste die Nachricht Ernüchterung aus. Der Kurs der Gazprom-Aktie fiel am Dienstag um rund drei Prozent. Seit April hatten die Papiere des Gasriesen auch mit Blick auf höhere Ausschüttungen deutlich zugelegt. „Nun löst sich die ganze Dividendengeschichte auf“, sagte Stanislaw Kleschtschew, Chefanalyst der Investitionsabteilung der Bank VTB 24.
Laut Sergey Rozhenko, Berater bei Arup, gibt es allerdings gute Gründe für den Rabatt, den Gazprom ausgehandelt hat: „Rein physisch hätte der Konzern schon Probleme bekommen, die Summe zu zahlen, weil der Net-Cashflow niedriger war als die Summe, die die Regierung plötzlich haben wollte“, sagte er dem Handelsblatt. Gazprom habe seinen Gewinn gegenüber RSBU optimiert, um weniger Dividenden zu zahlen, „die Regierung hat die Regeln dann in einem laufenden Prozess geändert und Gazprom damit auf dem falschen Fuß erwischt“, fügte er hinzu.
Ungewisse Ausgangsposition
Während das Dividenden-Hickhack eher Kurzzeitanleger beunruhigt, wirft die Zukunft von Gazprom auch bei langfristigen Investoren Fragen auf. Die meisten Gasverträge folgen der Preisformel für Öl mit rund halbjährlicher Verzögerung. Die Auswirkungen der Tiefststände stünden also noch bevor. „Wir verkaufen immer mehr Gas mit Verlust“, räumte Gazprom-Vizechef Waleri Golubew vor Tagen ein, was deutliche Auswirkungen auf das Investitionsprogramm habe. In diesem Jahr senkt der Exportmonopolist die Ausgaben in dem Bereich um fünf Prozent auf 1,5 Billionen Rubel (20,5 Milliarden Euro). Damit wird auch die Förderung langfristig eher sinken. Schon 2015 war der Wert mit 418,5 Milliarden Kubikmetern (2014: 443,9 Milliarden Kubikmeter) auf einem historischen Minimum gelandet.Analysten Award 2016Analysten Award 2016
Zudem steht auch das Exportmonopol Gazproms zur Disposition. „Langfristig wird Russland die Gasausfuhr liberalisieren, und die Verschiffung von Flüssigerdgas (LNG) wird zur ernsthaften Konkurrenz für Pipelines“, meint Rozhenko. Derzeit realisieren sowohl Novatek als auch Rosneft bereits Projekte zum Bau von LNG-Terminals in Russland. Die Gazprom-Aktie hat im Zug der Ölpreiserholung seit Februar deutlich zugelegt. Inzwischen warnen einige Analysten allerdings vor einer Überhitzung des Markts. Deutsche Bank, Morgan Stanley und Goldman Sachs haben die Papiere auf „Verkaufen“ eingestuft. Laut der jüngsten Prognose von Morgan Stanley sind die Aktien um 35 Prozent überbewertet.