Neuemissionen Didi-Desaster beendet China-IPO-Welle in den USA: Firmen legen Börsenpläne auf Eis

Die Hongkonger Börse will den Listingprozess verkürzen, um mehr Börsenkandidaten anzulocken.
Düsseldorf Mehr als ein halbes Dutzend chinesischer Firmen, darunter der Fahrradverleiher Hellobike, der Ökolebensmittel-Lieferdienst Meicai und das auf Onkologie spezialisierte Datenportal Linkdoc, hat den geplanten Börsengang in den USA auf Eis gelegt.
Als erstes Unternehmen kündigte der Hongkonger Lieferdienst Lalamove an, nun statt in New York in seiner Heimatstadt an die Börse zu gehen. Weitere könnten folgen. Die Hongkonger Börse HKEx will nun den Listingprozess verkürzen, um mehr Interessenten anzulocken.
Am Samstag hatte die chinesische Cybersicherheitsbehörde CAC die Regeln für Auslandsbörsengänge chinesischer Tech-Firmen verschärft. Plattformunternehmen mit mehr als einer Million Nutzer müssen eine Datensicherheitsprüfung durchlaufen, bevor sie im Ausland an die Börse gehen dürfen.
Die Schwelle ist relativ niedrig und dürfte fast alle Tech-Unternehmen mit Börsenplänen betreffen. Um die strengeren Regeln zu umgehen, könnten Börsenaspiranten aus China künftig ein Listing in Hongkong anstreben, erwarten Experten.
Die neuen Vorschriften sind eine Reaktion auf den Börsengang des chinesischen Fahrdienstvermittlers Didi Ende Juni in New York.
Didi hatte im Vorfeld offenbar Warnungen der CAC ignoriert. Das hat ein juristisches Nachspiel: Die Aufseher werfen dem Fahrdienstvermittler vor, illegal Daten gesammelt zu haben und durch den Börsengang im Ausland die nationale Sicherheit zu gefährden. Bis die Probleme gelöst sind, ist Didi das Neukundengeschäft untersagt. Die App kann in China nicht mehr heruntergeladen werden.

Chinas Aufseher werfen dem Fahrdienstvermittler Didi vor, illegal Daten gesammelt zu haben und durch den Börsengang im Ausland die nationale Sicherheit zu gefährden.
Die neuen Auflagen haben die IPO-Flut chinesischer Unternehmen in den USA jäh gestoppt. Im ersten Halbjahr hatten sich 34 Firmen aus China in New York listen lassen und dabei 12,7 Milliarden US-Dollar eingesammelt, wie Daten des Dienstleisters Refinitiv zeigen. Das ist schon jetzt mehr als im gesamten Vorjahr. Weitere 70 Börsenkandidaten aus China und Hongkong standen laut Bloomberg bereits in den Startlöchern.
Neben den strengeren Datenschutzauflagen, die auf Tech-Unternehmen abzielen, will die chinesische Wertpapieraufsicht CRSC grundsätzlich die Regeln für Auslandsbörsengänge verschärfen.
Bislang nutzten viele chinesische Unternehmen eine Gesetzeslücke, indem sie eine Mantelgesellschaft in Steueroasen gründeten und diese im Ausland an die Börse brachten. So ist bei genauerem Hinsehen auch nicht der Taxidienstleister Didi Chuxing selbst an der New Yorker Börse gelistet, sondern der Börsenmantel Didi Global mit Sitz auf den Kaimaninseln.
China will keine Angriffspunkte seiner Tech-Konzerne offenlegen
Denn die Offenlegungspflichten für US-Börsengänge sind nicht mit chinesischen Gesetzen vereinbar. China will verhindern, dass sensible Informationen etwa über wichtige Zulieferer und Abnehmer der heimischen Tech-Konzerne in die Hände der US-Behörden gelangen. Denn dadurch könnten „Angriffspunkte für die Cybersicherheit im Netzwerk dieser Unternehmen oder bei der lokalen Datenspeicherung in China entstehen“, erklärt der Cybersecurity-Experte John Lee vom Chinaforschungsinstitut Merics.
Deshalb verhindert China bereits seit Jahren die eigentlich vorgeschriebene Überprüfung der lokalen Wirtschaftsprüfer durch die US-Bilanzpolizei PCAOB. Das hat zur Folge, dass Investoren keine Sicherheit haben, ob die aus China gemeldeten operativen Geschäftszahlen korrekt sind.
Nach dem Bilanzskandal um die inzwischen insolvente chinesische Kaffeehauskette Luckin Coffee im vergangenen Jahr haben die USA im Dezember die Offenlegungspflichten für börsennotierte Unternehmen aus dem Ausland verschärft. Diese müssen innerhalb von drei Jahren nachweisen, dass sie nicht in Besitz oder unter Kontrolle eines ausländischen Staates stehen. Überprüft wird dies durch die PCAOB.

Die Finanzplätze in New York und Hongkong stehen in scharfem Wettbewerb um die Börsenaspiranten aus China.
Neben der guten Entwicklung der US-Börsen ist diese Dreijahresfrist ein wichtiger Grund für die regelrechte IPO-Welle chinesischer Unternehmen in den USA in diesem Jahr. Sie nutzen das Zeitfenster, um dort noch Geld einzusammeln, bevor die strengeren Regeln greifen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Zweitlistings in Hongkong und an den chinesischen Festlandsbörsen.
Die Finanzplätze in New York und Hongkong stehen in scharfem Wettbewerb um die Börsenaspiranten aus China, die internationale Investoren für eine globale Expansion gewinnen wollen. In Hongkong gingen 2021 bislang 40 Unternehmen aus China an die Börse und erlösten 18,9 Milliarden Dollar. Zuletzt hatte die Hongkonger Börse HKEx Marktanteile bei dem Geschäft mit China-IPOs gegenüber den US-Konkurrenten verloren. Das könnte sich nun wieder ändern.
US-Investmentbanken verdienen gut an China-IPOs
Der Chef von Goldman Sachs, David Solomon, geht davon aus, dass „die Schritte, die die chinesische Regierung unternommen hat, einige Unternehmen davon abhalten werden, in den USA an die Börse zu gehen“. Die langfristigen Folgen seien derzeit noch nicht abzusehen, sagte er am Dienstag im US-Börsensender CNBC.
Für die Wall Street ist das Geschäft mit den China-IPOs äußerst lukrativ: Im vergangenen Jahr kassierten US-Banken 1,5 Milliarden Dollar an Gebühren, um chinesischen Unternehmen in den USA an die Börse zu helfen, meldete Bloomberg. Allein am Didi-Börsengang hatten die drei Investmentbanken Goldman Sachs, Morgan Stanley und JP Morgan laut US-Börsenaufsicht SEC fast 90 Millionen Dollar verdient.
Jeremy Barnum, Finanzchef von JP Morgan, gab sich trotz der strengeren Regeln in China gelassen: JP Morgan könne Firmen auch bei künftigen Börsengängen in Hongkong helfen, falls IPOs in den USA künftig schwieriger würden, betonte er am Dienstag vor Journalisten.
Die neuen Vorschriften zielen jedoch vor allem auf nationale Champions wie Didi mit ihren immensen Datenschätzen. Daneben gebe es aber noch „zahllose Nullachtfünfzehn-Tech-Firmen in China, deren Geschäftsmodell nicht als sensibel eingestuft wird“, sagt Gary Dvorchak, Leiter des Asienteams der Beratungsfirma Blueshirt, die Unternehmen bei IPOs unterstützt. Er ist davon überzeugt, dass sie künftig auch wieder in den USA an die Börse gehen können, „sobald sich der Staub über der aktuellen Kontroverse gelegt hat“.
Sollten die Regulierer in Peking glaubhaft versichern, dass sie Listings in den USA wieder genehmigen, „dann wird es für die Aktien Nachfrage geben“, glaubt auch Goldman-Sachs-Chef Solomon und hofft auf eine Wiederbelebung eines lukrativen Geschäfts.
Mitarbeit: Astrid Dörner
Mehr: Nach Schlag gegen Didi: China verschärft Regeln für Auslandsbörsengänge seiner Tech-Konzerne
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