Versicherer-Aktien Besser auf Nummer sicher gehen

Der Konzern ist bedeutendster Erstversicherer mit geringem Lebenspolicengeschäft.
Frankfurt Aktien der Versicherungsbranche locken mit hohen Dividendenausschüttungen. Dennoch sollten Anleger nur in ausgewählte Einzeltitel dieses Sektors investieren, warnen Experten. Skeptisch sehen die Fachleute vor allem Anteilsscheine von Unternehmen mit einem hohen Geschäftsanteil bei Lebenspolicen. Denn im Umfeld anhaltend niedriger Zinsen bergen deren Bilanzen kaum kalkulierbare Risiken.
„Die Dividende ist der neue Zins“, lautet ein viel zitierter Slogan, mit dem die Investmentbranche die Werbetrommel für Engagements in Aktien rührt. Während etwa klassische Sparbücher im Schnitt nur noch 0,04 Prozent Jahreszins bieten und zehnjährige Bundesanleihen bei 0,01 Prozent rentieren, schütten beispielsweise die Dax-Konzerne im laufenden Jahr 2,9 Prozent ihres aktuellen Aktienkurses an ihre Anteilseigner aus. Bei den 50 bedeutendsten Bluechips der gesamten Euro-Zone liegt die Dividendenrendite sogar bei 3,8 Prozent. Unter den Einzelsektoren sticht dabei vor allem der Wert der Versicherer hervor, der mit 4,6 Prozent deutlich über dem des Gesamtmarkts liegt.
Deutet der auffällig hohe Quotient aus Dividendenzahlung und Aktienkurs auf einen unterbewerteten Sektor hin, bei dem auch defensive Anleger zugreifen können? Schließlich signalisiert die Europäische Zentralbank (EZB) immer wieder, dass sie an ihrer extrem lockeren Geldpolitik weiter festhalten will – zuletzt vergangene Woche: „Das erforderliche Ausmaß an geldpolitischer Anpassung legt für eine längere Zeit ein Umfeld mit sehr niedrigen Zinssätzen nahe“, sagte EZB-Chefvolkswirt Peter Praet unmissverständlich auf einer Veranstaltung in Madrid. Für Privatanleger bedeutet das übersetzt: Wer sich mit den Magerzinsen nicht zufriedengeben möchte, muss auf renditeträchtigere Alternativen zu Anleihen und Spar- oder Festgeldkonten setzen.
„Doch gerade viele optisch besonders günstig erscheinende Versicherungsaktien eignen sich dafür nicht: die Titel der Lebensversicherer“, sagt Max Schott von der Vermögensverwaltung Sand & Schott, die Europas Branchenschwergewichte in einer umfangreichen Studie durchleuchtet hat. Hauptgrund für die vergleichsweise günstige Börsenbewertung sei hier nicht, dass der Markt besondere Renditechancen übersehe, sondern vielmehr die auf lange Sicht bedrohlichen Geschäftsaussichten in Deutschland und in ganz Europa. „Deren Aktien sind daher zu Recht auffällig niedrig bewertet“, urteilt Finanzprofi Schott.
Lebensversicherer kämpfen derzeit mit dem Problem, dass sie das Geld auslaufender Anleihen, in die sie investiert hatten, nur noch zu einem Zinssatz wieder anlegen können, der niedriger ist als der sogenannte „Garantiezins“ der Altverträge. Hintergrund: Die Gesellschaften zahlen den Käufern ihrer Assekuranzen einen Zins, der bei Abschluss des Vertrags festgelegt wurde und während der gesamten Laufzeit gleich bleibt – den Garantiezins. Die Versicherer finanzieren diese vereinbarten Zinszahlungen, in dem sie das Kundengeld in Anleihen investieren, mit denen sie einen höheren Kuponertrag erwirtschaften. Dieses Vorgehen hatte sich über Jahrzehnte bewährt. Doch inzwischen sind die erzielbaren Anleihezinsen weit unter den Garantiezins von derzeit 1,25 Prozent gefallen.
Zwar gehen die Versicherungsfirmen dazu über, keine Verträge mehr mit einer klassischen Zinsgarantie anzubieten, sondern mit variabler Verzinsung – wie etwa bei fondsgebundenen Varianten. Für die Bestandsverträge bleibt das Problem der negativen Zinsdifferenz aber bestehen, was zu Verlusten in den Konzernbilanzen führt.
Neben den Renditeproblemen bei der Anlage der Kundenbeiträge stellt das Niedrigzinsumfeld die Versicherer auch beim Neugeschäft vor Herausforderungen. So haben etwa die deutschen Lebensversicherer im ersten Halbjahr einen Prämienrückgang in Höhe von 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verkraften müssen. „Natürlich wird es immer schwerer, die Renditen zu erzielen“, sagt der Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Alexander Erdland. Dazu kommt, dass die anhaltend tiefen Zinsen auf die Kapitalpolster der Unternehmen drücken, wie jüngst die Finanzaufsicht Bafin in einer ersten Bilanz der neuen Kapitalvorschriften der Versicherer berichtet hatte.
Niedrige Quote bei den Rückversicherern
„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis viele Lebensversicherer in finanzielle Bedrängnis geraten werden“, sagt Schott. Der Experte erwartet, dass es langfristig zu einer Bereinigung des Marktes kommen werde – „mit Fusionen, Übernahmen – aber auch Insolvenzen, so wie in Japan seit den 90er-Jahren“. Dort war in Folge des bereits seit 1990 sinkenden Zinsniveaus zwischen 1997 und 2008 etwa jedes fünfte Lebensversicherungsunternehmen pleitegegangen.
Der problematische Geschäftsanteil, den die großen Policenkonzerne im Lebensversicherungsbereich generieren, variiert jedoch von Fall zu Fall stark. So sticht etwa als einziges reines Lebensversicherungsunternehmen die britische Prudential unter den 15 höchstkapitalisierten europäischen Branchenvertretern hervor. Einen besonders hohen Lebensversicherungsanteil weisen auch Aegon, NN Group, Old Mutual und CNP Assurances auf. Das Dax-Mitglied Allianz – der einzige deutsche Erstversicherungskonzern unter den Top 15 – ist mit einem Anteil am Gesamtgeschäft von 53 Prozent ebenfalls maßgeblich vom Lebenspolicenbereich abhängig.
Besonders niedrig dagegen ist die Quote nicht nur bei den Rückversicherern Swiss Re, Hannover Rück und Munich Re, sondern auch bei der hierzulande wenig bekannten finnischen Sampo sowie bei Zurich Insurance – dem an der Börse höchstkapitalisierten Branchenvertreter mit einem geringen Lebensversicherungsanteil.
Drei Viertel aller Analysten, die Zurich Insurance regelmäßig unter die Lupe nehmen, raten derzeit, Aktienbestände im Depot zu halten oder aufzubauen: „Kaufen“ heißt es etwa bei der US-Investmentbank JP Morgan: Er bevorzuge Versicherer mit guter Positionierung, um die Phase sehr niedriger Zinsen in Europa zu beherrschen – und dazu zähle Zurich, sagt Analyst Ashik Musaddi. Ähnlich begründet sein Kollege Nick Holmes von der Société Générale sein Kauf-Votum: Zurich Insurance zähle zu den Akteuren, denen das „aktuelle Niedrigzinsumfeld im Branchenvergleich am wenigsten anhaben kann“. Grund sei der hohe Anteil der Schaden- und Unfallversicherung. Und für die Barclays Bank gehören die Aktien des Schweizer Erstversicherers zu den Favoriten in der europäischen Versicherungsbranche: Wichtigstes Anlageargument sei die Stabilität der Ausschüttungen. 6,7 Prozent beträgt die Dividendenrendite momentan. Und in den vergangenen fünf Jahren haben die Ausschüttungen kontinuierlich zugelegt – um insgesamt 17 Prozent.
Für überdurchschnittliche Dividendenerträge ohne übermäßiges Engagement im Lebensversicherungssektor stehen auch die Sampo-Aktien: Das Schwergewicht im finnischen Aktienleitindex OMX Helsinki erfreut seine Anteilseigner seit fast einem Vierteljahrhundert mit ununterbrochenen Ausschüttungen, die zudem meistens immer weiter angehoben werden. Aktuell liegt die Dividendenrendite des größten Versicherungskonzerns des Landes bei satten 4,6 Prozent.
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