Angst um die Weltwirtschaft Die Ölpreis-Falle

Viele Verbraucher in Deutschland freuen sich, doch es drohen negative Folgen für die Weltwirtschaft.
Frankfurt/Berlin/Washington Der Verfall des Ölpreises hat die Weltwirtschaft zweigeteilt: In München verkündet der ADAC am Montag im Namen der deutschen Autofahrer freudig, dass sie im Januar so günstig tanken konnten wie seit elf Jahren nicht. 4 360 Kilometer südlich, in Nigerias Hauptstadt Abuja, erklingt zur selben Zeit ein Hilferuf: Afrikas größte Volkswirtschaft, hochabhängig vom Ölverkauf, braucht einen Notkredit.
Nigeria ergeht es wie vielen Ölexporteuren, die lange auf den gewinnbringenden Verkauf des schwarzen Goldes vertrauten. Die Staatseinnahmen hängen zu 70 Prozent am Öl. Nun fehlt das Geld. Die Regierung bittet bei Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank um 3,5 Milliarden Dollar. „Der niedrige Ölpreis ist zwar großartig für Europa, aber nicht für die Welt insgesamt“, warnt Willem Buiter, Chefvolkswirt von Citigroup.
Die Ölexporteure sitzen in der Preisfalle. Die Liste der Ölpreis-Geschädigten ist lang. Vor Nigeria meldete bereits Aserbaidschan Finanzierungsprobleme an. Die Regierung verhandelt mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank über einen Kredit in Höhe von vier Milliarden Dollar. Mexikos Regierung kündigte an, 25.000 Stellen zu streichen. Noch dramatischer ist die Lage in Venezuela. Aber auch Russland, Bahrain, Oman und Jemen stehen unter Druck. „Das größte Problem ist die Geschwindigkeit des Preisverfalls“, sagt Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.
Der Ölpreisverfall wird zunehmend zum globalen Problem. Beim Währungsfonds wachsen die Sorgen um die Weltkonjunktur; der Einbruch des Ölpreises werde für viele Firmen in ölexportierenden Staaten zum Existenzproblem. Viele Unternehmen hätten sich in den guten Jahren hoch verschuldet, zum Teil in fremden Währungen. Die Washingtoner Ökonomen fürchten nun eine Pleitewelle. Die Folgen würden auch die Industrienationen spüren, ihnen brächen Absatzmärkte für ihre Maschinen weg. Und die Öldividende, also die finanzielle Entlastung der Verbraucher, würde tendenziell gespart, das Wachstum also nur geringfügig angeschoben.
Gerade für Deutschland, das stark vom Export abhängt, könne das Folgen haben, warnt IfW-Ökonom Kooths. Man könne nicht darauf vertrauen, dass man auf der Gewinnerseite des Ölpreisverfalls bleibe.
Die starke Verbilligung des Rohöls macht allen Exporteuren zu schaffen – aber durchaus unterschiedlich. „Besonders Länder mit relativ geringen finanziellen Reserven trifft der Ölpreisverfall sehr“, sagt Christoph Witte, Deutschland-Chef des belgischen Kreditversicherers Credimundi. Günstiger stünden Länder da, deren Wirtschaft wie etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) besser diversifiziert sei. „Sie haben frühzeitiger Maßnahmen ergriffen, um sich auf die dauerhaft niedrigen Ölpreise einzustellen“, sagt Witte. Eine Übersicht:
Nigeria: Wenn die Staatseinnahmen eines Landes zu mehr als 70 Prozent vom Öl abhängen und der gleiche Rohstoff für praktisch all seine Deviseneinkünfte verantwortlich ist, muss man sich bei einem massiven Einbruch des Ölpreises größte Sorgen um dessen Wirtschaft machen. Nigeria ist dieses Land, Afrikas größte Volkswirtschaft vor Südafrika und Angola. In seiner Not hat Nigeria nun Weltbank und Afrikanische Entwicklungsbank um einen Notkredit in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar gebeten. Damit will die Regierung das stark angewachsene Haushaltsdefizit ausgleichen und die abgestürzte Währung Naira stabilisieren. Zu deren Verteidigung hatte die Zentralbank in den vergangenen 18 Monaten rund neun Milliarden Dollar an Devisenreserven auf den Markt geworfen – ohne größeren Erfolg.
Eigentlich wäre der Preisverfall eine gute Gelegenheit für Nigeria, die notwendige, aber stets versäumte Diversifizierung seiner Wirtschaft voranzutreiben. Doch davon ist kaum etwas zu spüren. Auf der einen Seite produziert das Land zwei Millionen Barrel Öl am Tag. Auf der anderen Seite befinden sich Nigerias Raffinerien in einem derart maroden Zustand, dass der Ölproduzent noch immer auf massive Benzineinfuhren angewiesen ist.
Venezuela: Als der Linkspopulist Hugo Chávez vor 16 Jahren als Präsident antrat, predigte er, die Wirtschaft diversifizieren zu wollen – weg vom Öl, dem „Exkrement des Teufels“. Doch das misslang gründlich: Heute ist Venezuela abhängiger denn je vom Öl. 85 Prozent der Exporte und die Hälfte der Staatseinnahmen hängen davon ab. Inzwischen ist das Fass venezolanisches Öl nur noch 25 Dollar wert – und das Land steckt in einer tiefen Krise: Es droht eine Hyperinflation, die Wirtschaft steckt seit zwei Jahren in der Rezession. Investoren stellen sich nun die bange Frage: Wird Venezuela seine Anleihen bedienen? Zehn Milliarden Dollar an Rückzahlungen stehen nächstes Jahr für Anleihen des Ölkonzerns PdVSA und des venezolanischen Staates an.