Edelmetall Gold verblüfft die Fachwelt – die Hintergründe des rasanten Anstiegs

Selten hat sich Gold so schnell verteuert wie seit Ende Juni.
Frankfurt Edelmetallanalysten sind in diesen Tagen einem ganz besonderen Risiko ausgesetzt: dass ihre Langfristprognosen innerhalb kürzester Zeit von der Realität eingeholt werden. So schrieben die Analysten der UBS Ende Juli: „Wir erwarten, dass Gold in den kommenden sechs bis zwölf Monaten um die Marke von 2000 Dollar handelt.“ Nur eine Woche später war es so weit.
Jeff Currie, Rohstoffchef bei Goldman Sachs korrigierte sein Zwölf-Monats-Preisziel kürzlich von 2000 auf 2300 Dollar pro Unze. Und selbst die Analysten der Bank of America, die größten Gold-Bullen unter den US-Bankern, dürften überrascht sein, dass ihre Prognose vom April, der Goldpreis werde sein Allzeithoch 2020 in Angriff nehmen, bereits drei Monate später erreicht war. „Wir erneuern unser Preisziel von 3000 Dollar“ innerhalb der kommenden 18 Monate, schreiben sie in einer Studie am Mittwoch.
Der rasante Anstieg der Goldpreise verblüfft aktuell die Fachwelt: Am Mittwoch stieg der Preis auf zwischenzeitlich 2041 Dollar pro Unze (rund 31 Gramm), nachdem er erst am Dienstagabend die technisch wichtige Marke von 2000 Dollar überschritten hatte.
Auf Sicht von 30 Tagen betrug das Plus beim Goldpreis rund 14 Prozent. Zuletzt lag der prozentuale Anstieg des Goldpreises in einem 30-Tages-Zeitraum Ende April auf einem derart hohen Niveau – davor gab es solch rasante Preissteigerungen zuletzt auf dem Höhepunkt der Edelmetallrally 2011.
Auch in Euro und zahlreichen anderen Weltwährungen hat Gold ein neues Allzeithoch erreicht. So kostete das Edelmetall am Mittwoch 1723 Euro pro Unze – so viel wie noch nie. Gold gehört mit einem Plus von 35 Prozent zu den erfolgreichsten Anlageklassen 2020. Unter den Edelmetallen wurde Gold lediglich von Silber übertrumpft, das seit Jahresbeginn rund 50 Prozent zugelegt hat.
Der immense Wertzuwachs von Gold innerhalb kürzester Zeit wird besonders deutlich, wenn man die absoluten Preisveränderungen betrachtet. Von Ende Juni bis Anfang August benötigte der Goldpreis lediglich rund sechs Wochen, um 250 Dollar pro Unze, von 1750 auf 2000 Dollar, zu steigen.
Ende März kostete Gold noch 1500 Dollar pro Unze. Damit dauerte es kaum mehr als vier Monate, bis der Preis um 500 Dollar pro Unze zulegte. Zum Vergleich: Während der Aufwärtsbewegung im Zuge der Finanz- und Euro-Krise benötigte der Goldpreis eineinhalb Jahre für einen Anstieg um 500 Dollar. Nach der Aufhebung des Goldstandards Mitte der 70er-Jahre dauerte es sogar vier Jahre, bis der Goldpreis von 100 Dollar pro Unze auf 600 Dollar stieg.
Nach Ansicht der meisten Analysten hängt die Geschwindigkeit des Preisanstiegs mit der Ausnahmesituation zusammen, in der sich die Weltwirtschaft seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie befindet. So schrieben die Analysten der Bofa: „Realzinsen sind aus statistischer Sicht der wichtigste Treiber für den Goldpreis.“
Die lockere Geldpolitik der Notenbanken und die historisch einmalige Ausweitung der Zentralbankbilanzen hätten das Zinsniveau immer weiter fallen lassen, während die Inflationserwartungen in den USA zuletzt anzogen. Die Folge: Die reale Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen fiel kürzlich unter minus ein Prozent auf den tiefsten Stand in der Geschichte der USA.
Derzeit scheint es, dass alle wichtigen Faktoren, die Gold als Vermögensanlage attraktiv machen, zusammenkommen: Das niedrige Zinsniveau weltweit lässt den wichtigsten Konkurrenten von Gold, Staatsanleihen, weniger lohnend erscheinen. Gleichzeitig befeuern immer neue Konjunkturpakete in den USA und Europa die Sorge vieler Anleger, dass nach Corona eine Phase mit höheren Inflationsraten folgt. Gold gilt traditionell als Absicherung gegen Inflation.
Schwacher Dollar stützt
Hinzu kommt, dass der Dollar eine Schwächephase durchmacht. Ein schwacher Greenback verbilligt Gold in anderen Währungsräumen und heizt zusätzlich die Nachfrage an. Hans-Günther Ritter, Leiter des Edelmetallhandels bei Heraeus, sagt angesichts der Gemengelage: „Die Motivation, Liquidität in Gold zu schieben, bleibt für Anleger hoch.“
Zumal viele Investoren noch immer erstaunlich wenig Gold im Portfolio haben. Den Analysten der Bank of America zufolge beträgt der Wert des von Investoren gehaltenen physischen Goldes nur rund drei Prozent der Marktkapitalisierung der weltweiten Aktienmärkte. „Investoren halten noch immer unterdurchschnittlich viel Gold“, so die Bofa-Analysten.
Um das Rendite-Risiko-Profil eines breit gestreuten Portfolios zu optimieren, seien 4,5 Prozent Goldanteil empfehlenswert. „Um den globalen Goldbesitz auf dieses Niveau zu erhöhen, wären Käufe in Höhe von 49.000 Tonnen nötig“, schreiben die Bofa-Analysten weiter. Das ist mehr als das Zehnfache der jährlichen Goldproduktion. „Wir sehen gewaltiges Potenzial für Händler, ihren Goldanteil zu erhöhen“, so das Fazit der Analysten.
Doch die jüngsten Zuflüsse in physisch gedeckte Indexfonds nähren den Verdacht, dass immer mehr Profi-Investoren den Goldanteil in ihren Portfolios erhöhen. Die weltweit von Gold-ETFs gehaltene Menge Edelmetall stieg im ersten Halbjahr 2020 Daten des World Gold Council zufolge auf über 3600 Tonnen.
Damit halten die ETF-Anbieter zusammen mehr Gold als die Bundesbank und sind nach den USA der größte bekannte Goldbesitzer der Welt. Allein der größte US-Gold-ETF, der SPDR Gold Trust, hält mit 1150 Tonnen mehr Gold als die Schweizer Nationalbank.
Auch Daten der New Yorker Rohstoffbörse NYMEX verdeutlichen, wie groß die Nachfrage nach physischem Edelmetall aktuell ist. Dort werden Terminkontrakte gehandelt, die eine Lieferung von 100 Unzen Gold zu einem bestimmten Termin verbriefen.
Viele Finanzinvestoren gehen dort gehebelte Wetten auf den Goldpreis ein, sind an einer physischen Auslieferung jedoch nicht interessiert. Kurz vor dem Liefertermin ersetzen sie die gehandelten Kontrakte durch Papiere mit längerer Laufzeit.
Hohe Nachfrage nach physischem Metall
Doch Ende Juli haben sich so viele Anleger wie noch nie physisches Gold über die New Yorker Rohstoffbörse ausliefern lassen. Die Zahl der für eine Lieferung vorgemerkten Kontrakte stieg auf über 30.000 – das entspricht mehr als 85 Tonnen Gold. John Reade, Chefmarktstratege des World Gold Council führt das auf die gestiegenen Kosten zurück, mit denen Investoren ihre Positionen am Terminmarkt verlängern können.
Aus Sicht von Christian Brenner, Edelmetallexperte und Co-Chef beim Goldhändler Philoro, steckt mehr dahinter: Für ihn sind die Daten Ausdruck einer wachsenden Risikoscheu bei Profi-Investoren. „In dieser Phase zählt nur, was man physisch bekommt“, sagt er. „Für Lieferverpflichtungen kann man sich nichts kaufen, wenn es hart auf hart kommt. Daher wollen viele Investoren das Gold in ihrem Besitz wissen.“
Bereits im März mussten US-Investoren hohe Aufschläge hinnehmen, um an Gold zu kommen. Damals hatten Betriebsschließungen bei Schweizer Goldbarrenproduzenten für eine Knappheit bei dem Edelmetall gesorgt. Die hohe Nachfrage nach Auslieferungen an der New Yorker Rohstoffbörse könnte eine ähnliche Situation herbeiführen, so Brenner: „Sollten viel mehr Investoren an der Rohstoffbörse auf die Auslieferung bestehen, käme das einem Bankrun gleich.“
Denn der größte Teil der Transaktionen beinhalte Gold, das lediglich auf dem Papier existiert. Daher warnt der Philoro-Chef: „Sollte es wirklich zu einem Versorgungsengpass kommen, könnte der Goldpreis förmlich explodieren.“
Großer Profiteur der Gold-Hausse sind auch die Minenaktien: Der Index der größten Goldminenkonzerne, der NYSE Arca Gold Bugs, hat seit Jahresbeginn rund 50 Prozent zugelegt. Seit Mitte März beträgt das Plus sogar 120 Prozent.
Martin Siegel, Manager des auf Minenaktien spezialisierten Fondshauses Stabilitas, sagt: „Minenaktien reagieren üblicherweise mit einem Hebel auf die Edelmetallpreise, sodass sie sich zuletzt deutlich stärker entwickeln konnten. Dies bestätigt auch, dass sich der gesamte Edelmetallsektor in einem gesunden Aufwärtstrend befindet“, so Siegel.
Die rasante Edelmetallrally wird manchem Experten langsam unheimlich. Heraeus-Experte Ritter warnt: „Nach dem ungewöhnlich starken Anstieg steigt allerdings die Gefahr von größeren Korrekturbewegungen.“ Tatsächlich nimmt auch die Zahl der spekulativen Investoren, die auf weiter steigende Goldpreise wetten, deutlich zu. In der Vergangenheit war das häufig ein Anzeichen für eine kurzfristige Korrektur.
Doch an dem fundamentalen Trend niedriger Zinsen, steigender Staatsausgaben und einem Mangel an Anlagealternativen dürfte sich jedoch vorerst wenig ändern. Das dürfte die Edelmetallrally weiter treiben, erwarten unter anderem die Bofa-Analysten: „Die finanzielle Repression ist in vollem Gang, das ist bullisch für Gold.“
Mehr: Deutschland ist der weltweit größte Absatzmarkt für Goldbarren und Münzen. Lesen Sie hier mehr.
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"Der rasante Anstieg der Goldpreise verblüfft aktuell die Fachwelt:..."
Also ehrlich: mich wundert es nur, warum der Goldpreis erst jetzt so stark anzieht. Das ist das gleiche Phänomen wie bei allen Aktienindizes und bei Immobilien.
Denn durch das unablässige Gerneriern von durch nichts gedecktem Luftgeld ist es doch klar, daß sich dieses Luftgeld sichere Spekulationsgüter sucht, anstatt - wie von den Notenbanken/der Politik geplant - in die Kreditvergabe zu fließen und damit die Wirtschaft anzukurbeln.
Daß die "Fachwelt" zu so einem einfachen Gedanken nicht in der Lage ist - zumal mit den Vorbildern Aktien/Immobilien -, spricht Bände....
Ist Gold wirklich im Wert gestiegen also wertvoller geworden oder hat der US-Dollar, Euro, Jen usw. nur an Wert verloren?
Sind das nicht die ersten Anzeichen das unser FIAT-Geld oder besser Monopoly-Geld rasant einer Inflation entgegen geht, die es nicht erst seit dem Goldanstieg gibt, sondern schon längere Zeit sichtbar ist durch steigende Vermögenswerte wir Immobilien, Aktien usw.
Man kann die Geldmenge verdoppeln, verdreifachen. Wenn dieser Geldmenge immer noch die gleiche Menge und Qualität an Waren und Dienstleistungen gegenüber steht, dann passt sich der Preis für diese langfristig der Geldmenge an, besonders bei Werthaltigen Waren und Immobilien.
Die Arbeitnehmer werden dies Geldmengenausweitung noch drastisch zu spüren bekommen, denn wenn dem gleichen Gehalt die dreifache Geldmenge gegenüber steht ist das Gehalt auch nur noch ein Drittel Wert. Es ist wie bei einem Aktienunternehmen dass seine Aktienmenge verdreifacht so wie hier sich ihre Anteile im Wert um 2/3 reduzieren ist es auch gesamtwirtschaftlich.
Ökonomen die nicht speichelleckend dem politischen Mainstream hinterher hecheln warnen schon lange dass diese Geldmengenausweitung ein gefährliches Spiel ist.
Ist das Vertrauen dann erst einmal in das FIAT-Geld weg, kommt die Hyperinflation über Nacht ohne lange Ansage.
@ Frau Karin Schmitt: Gold wird in der Elektronik- und Raumfahrtindustrie im Wesentlichen für die Kontaktveredlung eingesetzt. Die Volumenangaben schwanken stark nach Quellen. Geology.com zeigt die industrielle Verwendung von Gold nur für die USA (ohne Barrengold für Zwecke der Wertaufbewahrung): 50% Schmuck, 37% Elektronikindustrie, 8% Münzen, 5% Sonstiges.
Ein wichtiges Motiv für den Besitz von Edelmetallen ist zudem ein Mißtrauen gegenüber der Solidität der Banken. Die Bilanzierungsregeln für den Bankensektor wurden in der Finanzkrise 2008 gelockert, damit die Häuser nicht schließen mussten. Sie leben heute ausschließlich von dem ständigen Kreditzufluss seitens der Zentralbanken. Das ist alles wenig vertrautenerweckend.
Liebe Handelsblatt-Schreiber,
ich vermisse eine Stellungnahme zum Bedarf von Gold. Ist Gold im Vergleich zu anderen Metallen/natürlichen Rohstoffen heute unersetzbar?
Ich weiß es nicht, daher freue ich mich auf jede Antwort.
Bin gespannt!