Ölpreis bedroht die Wirtschaft Das schwarze Gift

Der Preisdruck steigt.
Düsseldorf Verkehrte Welt – ein Liter Rohöl kostet nur noch etwa 16 Euro-Cent. Das ist fast so wenig wie Verbraucher für einen Liter Mineralwasser beim Discounter bezahlen müssen. Das Wasser kostet etwa 13 Cent je Liter. Doch während Verbraucher billiges Öl freut, schreckt es Anleger auf. Der freie Fall der Ölpreise führte am Montag zu einem neuen Tiefststand seit gut zwölf Jahren. Der Preis für Öl der Nordseesorte Brent fiel angesichts des Endes der Sanktionen gegen Iran zeitweise auf 27,67 US-Dollar je Fass (159 Liter) und war damit so billig wie seit 2003 nicht mehr. Seit Mitte 2014 sind die Notierungen um 75 Prozent eingebrochen, davon um ein Drittel allein 2016.
Didier Borowski, Volkswirt des französischen Vermögensverwalters Amundi, spricht vom „stärksten Preisschock nach unten, den wir je erlebt haben“. Das Angebot sei einfach zu groß. Iran werde wieder fördern, die großen Exportländer wollten die Newcomer in der Förderung, wie die USA und Kanada, aus dem Markt drängen, analysiert er und warnt vor einem weiter fallenden Ölpreis.
Die Ölexperten von Morgan Stanley und Goldman Sachs erwarten, dass der Preis auf 20 Dollar je Barrel sinkt, die britische Bank Standard Chartered geht sogar von nur zehn Dollar aus. Gründe für den Einbruch sind neben Iran Wachstumssorgen in China und eingetrübte Aussichten in den USA nach schwachen Konjunkturzahlen. Es geht die Angst um, dass die Weltwirtschaft durch den Preisverfall des Öls Schaden nimmt. Die Insolvenzrate in der Ölbranche wird ansteigen“, fürchtet auch Stefan Kreuzkamp, Chefanlagestratege der Deutschen AM, einer Deutsche-Bank-Tochter. Noch sei der Stress auf Hochzinsanleihen im Energie-Bereich begrenzt. Bleibe der Ölpreis niedrig, könne dies auf andere Branchen, Anleihen besserer Bonität und auf die Aktienmärkte überschwappen.
Verstärkt wird der Preisdruck durch Hedgefonds. Für die auf Rohstoffe konzentrierten Fonds lief 2015 mit einem Verlust von 13 Prozent laut Hedge Fund Research schlecht. Mit Wetten auf weiter fallende Rohstoffpreise versuchen sie nun, verlorenen Boden zurückzugewinnen. Die Spekulanten wetten laut Bloomberg so stark wie nie zuvor: In den vergangenen zwei Wochen verdoppelten sie ihre Negativwetten gegen 18 Rohstoffe. Deutschbanker Kreuzkamp sieht deshalb Gefahren für die Finanzmärkte: „Auf dem derzeitigen Niveau von unter 30 Dollar je Barrel der US-Ölsorte WTI ist davon auszugehen, dass der kurzfristige Schaden für die Weltwirtschaft klar überwiegt.“
Bis zum letzten Tropfen
Der Stratege sieht Ölexporteure wie Venezuela und Russland in einer extrem angespannten Finanzsituation. Auch jahrelang durch Subventionen verwöhnte Bürger in den arabischen Golfländern müssen sich auf schwierigere Zeiten einstellen. Zusammen klafft bei den Staaten ein Etatloch von 260 Milliarden Dollar, schätzt JP Morgan. Saudi-Arabien hat bereits reagiert: Das Land kündigte neue Steuern an und will Subventionen auf Nahrungsmittel und Strom kürzen. Auch auf den Immobilienmärkten macht sich der fallende Ölpreis bemerkbar. Ob in Katar, Oman oder Saudi-Arabien, Entwicklungsprojekte würden zurückgestuft oder verschoben, betont Craig Plumb vom Berater JLL Mena.
Gleichzeitig greifen die Golfstaaten ihre Reserven in den Staatsfonds an. Fällt der Ölpreis auf 20 Dollar, müssten die sechs Golfstaaten in diesem Jahr Vermögen über 494 Milliarden Dollar liquidieren, warnt Goldman Sachs. Andernfalls wären sie nicht in der Lage, die hohen Staatsausgaben zu finanzieren, die sie für Rüstung und Subventionen aufwenden. Die Reserven der sechs Golfstaaten werden auf 2,3 Billionen Dollar geschätzt. Die Staatsfonds wären 2020 pleite, wenn sie jährlich eine halbe Milliarde Dollar entnehmen würden. In Norwegen will die Regierung wegen der durch den Ölpreisverfall ausgelösten Wirtschaftskrise in diesem Jahr mehr Mittel für den Haushalt aus ihrem Staatsfonds abziehen. Insgesamt könnten Notverkäufe der Staatsfonds die Turbulenzen an den Börsen noch verstärken, befürchtet Adnan Mazarei vom Internationalen Währungsfonds.
Die Ölpreise müssen wieder steigen!
In den USA gingen bislang erst 30 kleinere Förderunternehmen mit einem Gesamtkreditvolumen von 13 Milliarden Dollar in Konkurs. Denn viele Produzenten haben sich am Kapitalmarkt gegen Preisrückgänge abgesichert. So „hedgte“ Conoco Phillips seine Förderung für einen Preis von mehr als 50 Dollar. Andere Firmen sind mit ausreichend Kapital ausgestattet, um eine Durststrecke zu überbrücken, ihre Anleihen oder Kredite werden nicht in den nächsten Monaten fällig. Trotzdem ist die Stimmung miserabel. Die Produktionskosten liegen deutlich über dem Marktpreis, laut der Unternehmensberatung Alix Partners verlieren die US-Ölfirmen jede Woche zwei Milliarden Dollar. Langsam weicht der Optimismus der vergangenen Jahre, immer weniger Pioniere erwarten eine rasche Preiserholung. Die US-Bank Cowen & Co. prognostiziert, dass die US-Produzenten ihre Ausgaben für die Förderung 2016 im Vergleich zu 2014 um mehr als die Hälfte auf 90 Milliarden Dollar eindampfen werden.
Weitreichende Folgen
Bleibt der Ölpreis auf dem niedrigen Niveau, könnte bis Mitte nächsten Jahres bis zu ein Drittel aller US-Produzenten in die Knie gehen, warnt das Forschungsinstitut Wolfe. Besonders gefährdet sind Anbieter mit hohen Schulden wie Sandridge Energy, Energy XXI oder Halcón Resources, deren Aktien nur noch wenige Cent wert sind.
Angesichts der sich zuspitzenden Situation wird selbst über eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Europa diskutiert. „Gerüchte über zusätzliche Maßnahmen der EZB werden nicht so schnell verstummen“, meint Robert Czerwensky, Analyst der DZ Bank. In der Euro-Zone sei bei einem Rohölpreisverfall um zehn Prozent die Inflationsrate in den vergangenen Jahren um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte zurückgegangen. Nach dem jüngsten Ölpreisrutsch erwartet er eine Revision der Inflationsprognose der EZB nach unten.
Selbst in Amerika flackern ähnliche Diskussionen auf, nachdem die US-Notenbank Fed im Dezember die Zinsen erstmals seit fast zehn Jahren erhöht hat. Der Präsident der Federal Reserve Bank of St. Louis, James Bullard, bezeichnet den mit dem Ölpreisverfall verbundenen Rückgang der Inflationserwartungen als „besorgniserregend“ und schließt eine Reaktion der Fed auf Dauer nicht aus.